100 IT-Professuren: Die Zeichen der Zeit
Mehr IT-Professoren forderte Sebastian Turner im Leitartikel des Tagesspiegels. Seitdem wird über das Iinformatik-Studium in Berlin diskutiert. Unternehmer fordern mehr Praxisbezug in der IT-Ausbildung. Zu wenige Tech-Gründer könnten richtig Software programmieren.
Wie muss Berlin sich aufstellen, um fit für die Zukunft zu sein? Tagesspiegel-Herausgeber Sebastian Turner hatte in seinem Leitartikel im März den Vorschlag ins Spiel gebracht, 100 neue IT-Professuren in der Stadt zu schaffen, um den Wirtschaftsstandort nach vorne zu bringen (siehe Kasten). Seither wird in Berlin darüber diskutiert – mit unterschiedlichen Akzenten.
Cornelia Yzer (CDU), Berlins Senatorin für Wirtschaft, Technologie und Forschung, zum Beispiel begrüßte die Idee im Kern und kündigte an, Gespräche mit Vertretern der Digitalwirtschaft über die Umsetzung zu führen. Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) sagte eher Grundsätzliches: „Berlins Zukunft hängt wesentlich von der Wissenschaft ab. Sie ist der Impulsgeber für die Stadt.“ Insbesondere komme es darauf an, dass auch die Wirtschaft von den Ergebnissen der Wissenschaft profitiere. Es sei der richtige Weg, auf die Stärken der Stadt zu setzen und diese weiter auszubauen. „Dazu gehören insbesondere die Gesundheitsforschung und Gesundheitswirtschaft sowie der Bereich IT/Mathematik. Letzterer ist nahezu für alle Wirtschaftszweige von zentraler Bedeutung.“ Allerdings sagt Scheeres nicht, mit welchen Mitteln zusätzliche Professorenstellen in der Stadt finanziert werden könnten. „Ich hielte es für falsch, gleich mit Bedenken diese Debatte abzuwürgen“, sagt sie.
Viel Theorie, doch wo bleibt die Praxis?
Auch für den Unternehmer Andreas Eckert geht Turners Vorstoß in die richtige Richtung. Wie die Universitäten zum Wohl der Stadt beitragen könnten, sei die entscheidende Frage, sagt der Vorstandsvorsitzende der Medizintechnikfirma Eckert & Ziegler. „Im Allgemeinen geht den Standesvertretern der Wissenschaft manchmal der Blick fürs große Ganze verloren“, kritisiert er.
Aus Sicht des Start-up-Unternehmers Stefan Michaelis ist es mit mehr IT-Professoren alleine aber nicht getan. Der Betriebswirt meint, dass die derzeitige IT- Ausbildung an deutschen Hochschulen den Studierenden nicht genügend praktische Kenntnisse vermittelt.
„Die Hochschulen in und um Berlin könnten den Gründergeist der Studenten noch mehr fördern, indem in den wirtschaftswissenschaftlichen Fächern das Thema IT wesentlich intensiver aufgegriffen wird“, sagt der Gründer der Wäscherei und Textilreinigung Jonny Fresh. „Die Studenten sollten wissen, wie eine Suchmaschine wie Google oder Bing funktioniert“, fordert er. Rückblickend hätte sich der Unternehmer in seinem Studium zum Beispiel einen obligatorischen Programmierkurs oder in der Branche häufig angewandte Methoden der Software-Entwicklung gewünscht. „Gut ausgebildete Entwickler sind Mangelware“, bestätigt Phillipp Butscher. Er ist Vertriebschef des Berliner Start-ups DocCirrus, das diese Woche als eine von fast 400 Firmen auf der Messe Connecting Healthcare IT (Conhit) unter dem Funkturm um neue Geschäftspartner geworben hat. Die Conhit ist die größte europäische Messe für digitales Gesundheitswesen. „Ich würde es auf jeden Fall begrüßen, wenn die Stadt 100 neue IT-Professuren bekommen würde“, sagt Butscher.
Mehr Professoren für immer weniger Studenten?
Ähnlich sieht es Florian Heinemann, Mitbegründer und Geschäftsführer von Project A Ventures. Sein Unternehmen, ein „Inkubator“, baut Firmen im Internetbereich auf. „Durch die wachsende Zahl an Start-ups kumuliert sich das IT- und Technologie-Know-how am Standort Berlin. Gleichzeitig wächst natürlich der Bedarf an gut ausgebildeten Talenten in diesem Bereich“, erläutert er. „Die Einrichtung von zusätzlichen Lehrstühlen und Instituten kann hier mit Sicherheit einen wertvollen Beitrag leisten. Wichtig ist dabei, dass die Zusammenarbeit und der Austausch mit der Digitalwirtschaft gewährleistet ist.“
Volkswirt Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) mag Turners Idee nicht bis zum Ende folgen. „Man kann so etwas natürlich in den Raum stellen“, sagt der Ökonom. „Aber man muss auch danach fragen, was sich daraus ableitet“, sagt Brenke. So gibt der Forscher zu bedenken, dass die Zahl der Studenten laut Prognosen in den kommenden Jahren zurückgehen werde – ergo also eher weniger als mehr Dozenten benötigt würden. Statt noch eine „Baustelle“ aufzumachen, solle Berlin sich darauf konzentrieren, die bekannten Standortdefizite abzubauen, fordert der Wissenschaftler. Als Beispiele nennt Brenke den Investitionsstau, den Personalmangel in Teilen des öffentlichen Dienstes sowie Mängel im Bildungsbereich. „Da muss investiert werden“, sagt der Volkswirt. „IT ist nicht alles.“
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