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Sparen allein bringt es nicht, meint Gustav Horn und rät zu mehr öffentlichen Investitionen.
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Exklusiv

IMK-Chef Gustav Horn im Interview: „Die Wirtschaft ist tief verunsichert“

Die Panik an den Börsen setzt sich fort, am Montag rutschte der Dax unter 10 000 Punkte. Gustav Horn, Chef des Wirtschaftsinstituts IMK, über China, die extrem nervösen Börsen und die Investitionsschwäche in Europa.

Herr Horn, Ihr Institut sieht in den nächsten Monaten keine Rezessionsgefahr. Gibt es keinen Rückschlag wegen China?

Bis Oktober droht keine Gefahr, da sind wir aufgrund verschiedener Daten sicher. Aber was danach passiert, ist offen. Die Abwertung des Yuan schlägt erst mit einer gewissen Zeitverzögerung auf die deutschen Exporte durch. Und die Abschwächung in weiteren Schwellenländern kann auch noch Spuren bei den Exporten hinterlassen.

Die Schwellenländer, zumal Russland und Brasilien, stecken in der Rezession.

Seit Jahren beobachten wir dort und in Ländern wie der Türkei und Indien Probleme, die zum Teil auch mit der Angst vor Zinserhöhungen in den USA und dann wiederum mit der Angst um Kapitalabflüsse zusammenhängen.

Hierzulande ist die Börse seit Wochen wegen China schwach. Hat sich die chinesische Wachstumsmaschine erschöpft?

Die Entwicklung an der Börse zeigt vor allem, wie schreckhaft der Dax ist. Wenn irgendetwas auf der Welt passiert, das als schlechte Nachricht interpretiert werden könnte, fallen die Kurse. Wir haben in der Wirtschaft im Moment eine tief sitzende Verunsicherung.

Wegen China?

Nein, vorrangig wegen Europa. Wenn wir in Europa eine halbwegs stabile Entwicklung hätten, wenn wir viel nach Italien, Frankreich oder auch Griechenland exportieren würden, dann bräuchten wir uns keine Sorgen um den chinesischen Markt machen, der unsere Wirtschaft in der Tat in den letzten Jahren gestützt hat. Es ist diese Verunsicherung in Europa, die wir wirtschafts- und finanzpolitisch bekämpfen müssen, um wieder einen robusten Aufschwung zu bekommen.

Aber ohne China hätte sich die deutsche Wirtschaft nicht so gut von der Finanzkrise 2008/2009 erholt.

Die Industrie hat eine große Leistung geschafft, indem sie ihre Exporte diversifiziert hat: Weniger Abhängigkeit von Europa, mehr Ausfuhren in Schwellenländer, vor allem auch die Lieferung von Investitionsgütern nach China.

Noch kaufen die Chinesen, noch ist der Euro schwach und die Binnennachfrage stark, weil die Verbraucher hierzulande weniger Geld fürs Tanken ausgeben müssen und weil die Löhne gestiegen sind. Schließlich ist das Geld so billig wie nie. Trotz alledem wächst die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr bestenfalls um zwei Prozent. Warum fehlt der Schwung?

Das ist eine Folge der Unsicherheit. Die Ausgangsbedingungen sind eigentlich gut für einen kräftigen Aufschwung. Doch die Investitionsentwicklung ist erschreckend schwach, vor allem sehr instabil. Mal erholt sie sich ein wenig, dann bricht sie wieder ein. Die Investoren glauben noch immer nicht an ein stabiles wirtschaftliches Umfeld und halten sich deshalb zurück.

Geht es – von Griechenland abgesehen – nicht langsam aufwärts im Euroraum?

Es gibt aber immer noch Debatten darüber, ob sich die Inflation in eine Deflation verkehrt. Und über Monate wurde diskutiert, ob Griechenland im Euroraum bleibt oder nicht. Und wer wäre dann der nächste Austrittskandidat? Das verunsichert Investoren, und auf dieser Basis kann kein Aufschwung entstehen.

Was ist mit den negativen Standortfaktoren in Deutschland, zum Beispiel den hohen Energiekosten, der schlechten Verkehrs- und IT-Infrastruktur und dem Fachkräftemangel?

Das ist alles nicht schön, aber nicht entscheidend für die Investitionsschwäche, die ganz klar mit Europa zu tun hat. Wir haben ja nicht nur in Deutschland, sondern in Europa insgesamt eine eklatante Investitionsschwäche.

Im ersten Report Ihres damals neuen Instituts hieß es im August 2005: „Die Zukunft des Euroraum muss skeptisch gesehen werden.“ Wie würden Sie heute formulieren?

Wir haben immer noch nicht die Lösungsmechanismen für Krisen gefunden, die die Wirtschaft auf eine stabile Grundlage setzen. Mit Austeritätspolitik allein schafft man keinen Wohlstand.

Haben Sie nach dem Griechenland-Theater der vergangenen Monate und der Debatte über Jean-Claude Junckers Investitionsprogramm den Eindruck, dass die Austeritätspolitik überwunden wird?

Ich gebe die Hoffnung nicht auf. Der Juncker-Plan ist ein Zeichen für veränderte Denkprozesse. Das Problem ist erkannt. Auch während der Verhandlungen mit Griechenland. Man hat gesehen, dass man zu weit gegangen ist, und hat die Sparauflagen etwas abgeschwächt. Es gibt Verbesserungen, aber die reichen noch nicht aus.

Die vermutlich in vier Wochen anstehenden Neuwahlen in Griechenland verunsichern erneut. Alles in allem haben wir dann ein verlorenes Jahr hinter uns.

Die meisten Verwerfungen in Griechenland und Europa sind politischen Ursprungs, und dann darf man sich nicht wundern, wenn der Investitionsprozess nicht richtig in Gang kommt.

Sind die Auflagen für die Griechen geeignet, der dortigen Wirtschaft auf die Beine zu helfen?

Eine Mehrwertsteuererhöhung war noch nie dazu geeignet. Als in Deutschland die Mehrwertsteuer 2007 um drei Prozentpunkte angehoben wurde, war der Konsum anschließend rückläufig. Obwohl wir damals, anders als die Griechen heute, in einem Aufschwung waren.

Sie waren immer gegen einen Schuldenschnitt, weil der Investoren noch mehr verunsichere. Also den Schuldendienst strecken?

Ja, die entlastende Wirkung ist die gleiche. Wobei natürlich am besten eine wachsende Wirtschaft wäre, die es den Griechen erlaubt, ihre Schulden auch zu bedienen. Das würde die Märkte auch am ehesten überzeugen. Aber dazu müsste die Mehrwertsteuer eher gesenkt werden.

Haben Sie ökonomischen Sachverstand in den Griechenland-Verhandlungen vermisst?

Ich bin schon manchmal entsetzt darüber, wie opportunistisch auch Politik ist und ökonomische Expertise in die Ecke stellt.

Werden Sie gehört?

Ich denke schon. Das IMK ist jetzt zehn Jahre alt, und wir werden gehört bei den Parteien, in den Gewerkschaften und teilweise auch in der Regierung. Wir sind zu einem ernst zu nehmenden Ratgeber auf dem Feld der Makroökonomie geworden.

Es war damals die Idee, ein wissenschaftliches Gegengewicht hierzulande gegenüber dem neoliberalen Mainstream aufzubauen. Ist das gelungen?

Eindeutig ja. Vor zehn Jahren galt man als Exot, wenn man bestimmte Vorstellungen vertreten hat, die sehr gesamtwirtschaftlich orientiert waren, weil vieles nur auf einzelwirtschaftliche Optimierung ausgerichtet war. Ganz platt gesagt: Wenn es den Firmen gut geht und die Gewinne groß genug sind, dann geht es auch der Gesamtwirtschaft gut. Heute glaubt das kaum noch jemand. In den großen wirtschaftswissenschaftlichen Instituten denkt man heute breiter, und der Sachverständigenrat ist in seiner Mehrheit intellektuell auf dem Rückzug. Das hat sich auch durch die Finanzkrise verändert. Studenten zum Beispiel fordern mehr Pluralität in der Ausbildung. Ich erwarte einen Wandel in der ökonomischen Lehre in den nächsten fünf bis zehn Jahren, der grundlegend ist.

Und Auswirkungen hat auf die Politik der Dauerkanzlerin Angela Merkel?

Auch die Bundesregierung war 2008/2009 gezwungen Rezepte anzuwenden, die teilweise von den gleichen Leuten zuvor verteufelt worden waren. Das zeigte doch, dass die vorherrschende Lehre nicht geeignet war, Krisen zu überwinden. Es gibt andere Instrumente, und das wird auch Angela Merkel nicht vergessen haben.

Übertreibt sie es mit dem Sparen?

Wir haben eine Schuldenbremse und damit auch eine Wachstumsbremse. Aber im Moment sind die Staatskassen gut gefüllt. Der Ernstfall wird interessant: Was passiert mit der Schuldenbremse, wenn die Wirtschaft nicht gut läuft? Vor allem die öffentlichen Investitionen gehen seit Langem zurück. Das hat nicht nur zu tun mit Austeritätspolitik, sondern auch mit der zunehmenden Bedeutung des Finanzsektors, in dem kurzfristige Renditen eine größere Rolle spielen als in der Realwirtschaft. Wir müssen das wirtschaftliche Umfeld in Europa stabilisieren, dann geht es auch Deutschland besser.

In manchen Krisenstaaten scheint die Krisenpolitik zu wirken.

In Spanien und Irland hat sich der Außenhandel gut entwickelt, aber das erklärt sich vor allem mit dem unterbewerteten Euro. Eine nachhaltige Verbesserung im gesamten Euroraum sehe ich nicht.

Also mehr Geld ausgeben?

Ich denke schon, das Geld ist günstig zu haben. So billig wie jetzt können wir unsere Infrastruktur vermutlich nie wieder modernisieren.

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