Modelabel Lala Berlin: Die Welt ist noch nicht genug
Ihr Label "Lala Berlin" ist eines der erfolgreichsten Modelabels, das die Hauptstadt hervorgebracht hat. Leyla Piedayeshs Strickmode wird mittlerweile auf der ganzen Welt getragen. Doch damit gibt sie sich nicht zufrieden – sie hat große Pläne.
Man erblickt sie nicht sogleich, als man den Laden betritt. Zwischen den Kleiderständern, auf denen die Röcke, Hosen, Jacken, Blusen und Pullover so akkurat hängen, als habe kein Kunde sie je auch nur mit den Fingerspitzen berührt, fällt zuerst eine Verkäuferin auf – sehr groß, sehr schlank, sehr blond.
Leyla Piedayesh selbst ist nicht gerade großgewachsen. Doch sobald man vor ihr steht, spürt man ihre enorme Präsenz, ihre Ausstrahlung. Man sieht in ihre Augen und weiß: Da brennt ein Feuer in ihr. Aber wie sollte es auch anders sein bei einer Frau, die noch mit Anfang 30 kein Schnittmuster gesehen hat, mit 44 Jahren aber ein viel beachtetes, erfolgreiches Modelabel führt. Lala Berlin wird längst nicht mehr einfach nur erwähnt, wenn sich die Szene in der Hauptstadt zur Fashion Week trifft. Das Label und ihre Schöpferin sind einer der Hauptgründe, warum Einkäufer und Journalisten nach Berlin pilgern. Vor zwei Jahren war die Aufregung entsprechend groß, als es kurzfristig hieß, Lala Berlin sage die Show ab. Die Show fand dann doch statt. Zum Glück.
Leyla Piedayesh ist auf die Sekunde da, sie legt los, da hat man sich gerade die Hände zur Begrüßung gereicht und sich aufs Du geeinigt. Alles geht jetzt zackig. Mantel holen, Tasche über die Schulter werfen, Hündchen an die Leine nehmen, raus aus dem Laden, rein ins Café nebenan, einen Ingwertee ordern. Man könnte jetzt gemütlich Platz nehmen an einem der langen Tische im Freien, könnte eine Stunde plaudern über ihren steilen Aufstieg in die oberste Mode-Liga, vom „Elle-Girl“-Tipp zum international gefeierten Label. Aber gemütlich ist so ziemlich das letzte, womit man Piedayesh in Verbindung bringen kann. Kaum, dass vier, fünf Sätze gesprochen sind, wendet sie ihre Augen wieder ab, blickt hierhin und dorthin, grüßt vorbeikommende Passanten, ruft ihren Hund zur Raison: „Dolores, es reicht! Wenn Du jetzt nicht lernst, einfach mal stillzuhalten, bin ich stinksauer auf Dich. Willst Du in die Tasche, komm rein, husch, husch.“ Dolores bleibt lieber draußen, an der frischen Luft.
„Oberflächlich betrachtet lebe ich gesund“, sagt Piedayesh. Sie trinkt kaum Alkohol, raucht nicht, nimmt Tee statt Kaffee, macht jeden Morgen Yoga. „Aber es gibt viele andere Sachen, die weniger gesund sind, wie Stress, sich aufregen. Ich rege mich ganz gerne auf.“
Manchmal scheint die Aufregung gespielt, wie beim Umgang mit dem Hündchen, einem Chihuahua-Mix, das nicht nur die spitze Stimme der Herrin hört, sondern auch den warnenden Zeigefinger zu sehen bekommt. So ähnlich laufe das auch zwischen ihr und ihrer Tochter ab, gibt Piedayesh zu, aber „die lacht sich kaputt“. Den gleichen Impuls hat man selbst. Denn das, was da abläuft, sieht derart nach Bühnenshow aus, dass man als Zuschauer gar nicht anders kann, als zu schmunzeln. Oft regt sich Piedayesh aber ernsthaft auf, wie man später noch erleben wird, als man sie zurück in den Laden begleitet. „Da liegt ein Stück Papier im Schaufenster“, zischt sie die Verkäuferin an. Kurz danach beschwert sie sich über eine Fluse an einem Mantel. „Ich dürfte überhaupt nicht hierherkommen“, sagt Piedayesh. „Wenn nicht alles so sitzt, wie es sollte …“
Sie lässt den Satz unvollendet, erklärt stattdessen, warum ihr so sehr an Perfektion gelegen ist, warum gerade jetzt und hier. Der Laden, der natürlich Flagship Store heißt, ist ganz neu. Anfang Oktober 2014 hat Piedayesh ihn eröffnet, weil das vorherige Geschäft in der Nähe zu klein geworden war. Jetzt bespielt die Designerin 120 Quadratmeter in der Alten Schönhauser Allee. Und jeder Quadratmeter ist durchgeplant. Das gilt für die Innenarchitektur – ein kontrastreiches Zusammenspiel aus Beton, Holz, Schwarz und Messing – ebenso wie für die Auswahl der ausgestellten Labels. Piedayesh verkauft nämlich nicht nur die eigene Kollektion in ihrem Store. Sie komplettiert das Angebot mit Kerzen, Schuhen und Schmuck anderer Designer. Und natürlich wird auch bei der Präsentation der Produkte nichts dem Zufall überlassen. Holt man einen Kleiderbügel von der Stange, um sich den Pullover einmal vor die Brust zu halten, dauert es keine halbe Minute, bis eine Verkäuferin den eher achtlos wieder hingehängten Bügel zurechtrückt. Bei einem Pullover für 600 Euro gehört sich das so.
Kinderabenteuer im Li-La-Launeland
Lala Berlin hat ein Level erreicht, das nur wenige Labels in der Hauptstadt erreichen. Als einziges Label aus Deutschland wird Lala Berlin regelmäßig in der britischen Vogue gewürdigt, Prominente wie Heidi Klum, Barbara Schöneberger oder Cameron Diaz tragen die Kleidung der Wahlberlinerin. Bei ihren Modeschauen sitzen Heike Makatsch oder Jasmin Tabatabai in der vordersten Reihe. Piedayesh selbst schmeißt nicht mit den Namen um sich, um zu zeigen, wie stolz sie auf ihre Leistung ist. Sie verweist stattdessen auf die vielen Modefirmen, denen der Atem ausgegangen ist auf dem langen, steinigen Weg zum Ruhm. Irgendetwas muss die Betriebswirtin, die nie eine Modeschule besucht hat, besser gemacht haben. Es muss die Naivität gewesen sein, glaubt die Unternehmerin. „Ich hatte keine Zweifel, keine Angst, ich habe nicht viel nachgedacht“, sagt sie. Sie sei mit „Leichtigkeit“ an das Neue herangegangen. „Das ist aber gerade das Gute. Wenn man sich keine Ziele setzt, wenn man sich aus einer Leidenschaft heraus entwickelt.“
Lala Berlin. Das klingt ein bisschen nach Li-La-Launebär, nach Kinderabenteuer im Li-La-Launeland. Kein Wunder, dass schon mehrere Zeitungsartikel über das Label mit der Überschrift „Im Lala-Land“ erschienen sind. Und ganz falsch ist die Gedankenkette auch nicht. Lala war Leylas Spitzname, er kommt von Laa-Laa, dem gelben Teletubby, der manchmal ein rosa Tutu trug. Die Teletubbies waren auch mal eine Fernsehserie für Kleinkinder.
Wer von den Teletubbys auf Piedayeshs Mode schließt, liegt komplett daneben. Ihre Kollektionen sind weder bunt noch süß noch sonst wie infantil. Sie sind cool, urban, sie sind, um eine Pressemitteilung zu zitieren, „anarchisch flüchtiger Hauptstadt-Chic“, sie sind, jetzt O-Ton Leyla, „Rock ’n’ Roll und Bohemian“.
Außerdem erzählen die Kleider eine Geschichte. Die Geschichte des in Teheran geborenen Mädchens, das seine Heimat im Alter von neun Jahren verlassen musste. Die Familie gehörte zum iranischen Mittelstand, der Vater war Ingenieur. Doch als Ajatollah Chomeini die Islamische Revolution ausrief, flüchtete die Mutter mit ihren beiden Kindern nach Wiesbaden. Der Vater kam ein Jahr später nach. Vage erinnert sich Piedayesh an Szenen kurz vor der Ausreise, als Geschäftshäuser in Flammen standen.
In ihren Kollektionen thematisiert Piedayesh immer wieder die Begegnung des Orients mit dem Okzident. Besonders deutlich wird das bei ihren Palästinensertüchern, den Kufiyas, die den Durchbruch markieren und bis heute ein Renner im Sortiment sind. Piedayesh ließ das aus ihrer Heimat bekannte Muster auf Kaschmirschals drucken. Aber auch bei der neuen Frühjahrs- und Sommerkollektion besinnt sich Piedayesh auf ihre Heimat, der sie, „obwohl im Herzen mehr Deutsche, sehr treu geblieben ist“. Sie projiziert die Visionen und Luftspiegelungen aus der Wüste in den urbanen Kontext, hat die Wüstenblume in Prints verarbeitet.
Bei den Schnitten orientiert sich die Wahlberlinerin am eigenen Geschmack. Die Stücke sind immer eher fließend und weit. Piedayesh mag „oversized“, sie mag es „boyish“, das ist seit 30 Jahren ihr Stil, sagt sie. Und ihr Stil sei prägend fürs Label – auch wenn Piedayesh längst nicht mehr jedes Teil selbst entwirft. Bei 120 bis 150 Teilen pro Kollektion und zwei Kollektionen pro Jahr ist das auch nicht mehr möglich. Da muss sich die Chefin auf ihr Team verlassen können. „Das ist kein Vergleich zu den Anfängen, als ich fünf Pullover designt habe“, sagt Piedayesh. Die Anfänge. Sie hören sich wie ein modernes Märchen an, oder wie die Modemacherin sagt: „Ich kam dazu wie die Jungfrau zum Kind.“
Die Lala-Berlin-Story beginnt, als sich Piedayesh ein Paar Stricknadeln und einen Knäuel Wolle kauft. Es sind die frühen Nullerjahre, die studierte Betriebswirtin arbeitet beim Fernsehsender MTV, berichtet über Stars und Sternchen und Größen der Rockmusik. Eines Tages kündigt sie ihren Job, weil sie kein Weiterkommen mehr sieht. Und weil sie gelangweilt ist von den Biografien derer, die sie portraitiert. „Du stellst dir das Leben der anderen immer interessanter vor“, sagt sie. „Aber wenn du die Jennifer Lopez’ und Madonnas’ dieser Welt triffst, die am Ende genauso glücklich oder unglücklich sind wie jeder, ist der Reiz verloren. Es hat mich einfach nicht mehr interessiert.“ Piedayesh kündigt ihre Stelle – und macht erst einmal: nichts. Weil Nichtstun aber auf Dauer auch langweilig ist, beginnt sie eine Handarbeit, die sie in der vierten Klasse einmal gelernt hat: Sie strickt. „Ich hatte Zeit, und es war Winter“, sagt Piedayesh.
Zuerst strickt sie Pulswärmer nach, die sie auf einem Flohmarkt findet, später Schals, Pullover, Mützen. Und sie fühlt sich sehr gut dabei. „Ich habe es eigentlich selber belächelt“, sagt sie heute. „Wenn ich Bekannte von MTV getroffen habe und die fragten, was ich mache, habe ich gesagt: ›Ich strick jetzt.‹ Ich fand das witzig.“
Piedayesh strickt und strickt, noch immer ohne Plan, ohne Ziel. Bis Anita Tillmann, eine gute Freundin und zudem Chefin der Modemesse Premium, ihr zum Geburtstag einen Standplatz auf der Messe schenkt. „Das war die einzige Förderung, die ich je bekommen habe“, sagt Piedayesh. Aber es war offensichtlich die richtige Förderung zum richtigen Zeitpunkt. Denn sie sagt auch: „Das war ein Moove“. Mit vier Aufträgen ist sie von der Messe gekommen, „alle international und alle so hoch, dass ich dachte, wenn ich das Verzehnfache, gehört mir die Welt.“
Die geplante Expansion in die USA erweist sich als schwierig
Die ganze Welt gehört ihr gut zehn Jahre später nicht. Noch nicht. Aber in vielen Teilen dieser Welt hüllen sich Frauen in die geschmeidigen Stoffe des Labels. Lala Berlin hängt in den angesagten Boutiquen von London, Paris und Tokio. Piedayesh verkauft ihre Produkte in 150 Läden in 15 Ländern, in Belgien, den Niederlanden, der Schweiz, im Iran oder in Australien. In Kopenhagen hat sie vor drei Jahren eine eigene Boutique eröffnet. Skandinavien, insbesondere Dänemark, sei nach Deutschland, Österreich und der Schweiz der wichtigste Markt für Lala Berlin. Etwa zur gleichen Zeit hat sie einen Online-Shop eröffnet. Piedayesh ist erstaunt, wie gut dieser Vertriebskanal läuft. Der Umsatzanteil beträgt bereits zwölf Prozent – Tendenz stark steigend. Weitere Zahlen nennt sie allerdings keine. Über die Höhe ihrer Umsätze schweigt sie sich aus. „Es bleibt geheimnisvoller, wenn man keine Zahlen nennt“, sagt sie.
Bei anderen Themen ist Piedayesh weniger verschlossen. Ohne Punkt und Komma spricht sie über ihre Tochter, der sie unbedingt die Heimat näher bringen will. Seit sechs Jahren, seit ihr Kind auf der Welt ist, plant sie, mit ihr in den Iran zu reisen, um ihr die Wurzeln näher zu bringen. Aber immer geht die Firma vor. Oder die Jahreszeit passt gerade nicht. „Im Sommer ist es zu heiß, über Weihnachten zu kalt“, sagt die Lala-Chefin. Vielleicht im nächsten Jahr …
Das Private steht hinten an. Leyla Piedayesh hat so viele „Baustellen“ zu bedienen, dass die Zeit hinten und vorne nicht reicht. Eine dieser Baustellen ist die geplante Expansion in die USA. Seit geraumer Zeit verhandelt sie mit Investoren, um Geld dafür einzusammeln. Die Suche erweist sich allerdings als so schwierig, dass die Unternehmerin mittlerweile dazu tendiert, den Schritt aus eigener Kraft zu schaffen. „Es ist so mühselig, sich dauernd mit Menschen zu unterhalten, und nach dem fünften Gespräch festzustellen, dass die Chemie doch nicht stimmt.“ Dann lieber langsamer groß werden, aber autark bleiben.
Dass Lala Berlin richtig groß werden soll – daran lässt die Frau mit den langen schwarzen Haaren keinen Zweifel. So viele Ideen sind in ihrem Kopf – die müssen raus. Ganz vorne steht da die Kinderkollektion, die bereits konkrete Züge angenommen hat. Die ersten Teile sind in Zusammenarbeit mit dem süddeutschen Garnhersteller Lana Grossa entstanden. Aber es sollen noch viel mehr werden. Auch intern will Piedayesh umstrukturieren. Sie will sich mehr ums Design kümmern und weniger Zeit auf das Kaufmännische verwenden. Dabei liegen der Betriebswirtin die Zahlen. „Unternehmertum“, sagt sie, „finde ich total spannend und kreativ.“
Dieses Stück erschien zuerst im Wirtschaftsmagazin "Köpfe" aus dem Tagesspiegel-Verlag, das Sie hier bekommen können: Tagesspiegel Köpfe bestellen
Sabine Hölper