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In den Volkswagen-Werken rollen die Bänder nach der Einigung mit dem Zulieferer wieder an.
© REUTERS

VW-Einigung mit Zulieferer: Die teuren Folgen des Streits

Nach einem heftigen Streit hat Volkswagen sich mit dem Zulieferer Prevent geeinigt. Sind nun alle Probleme gelöst, und wie groß ist der Schaden? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Das Drama hat ein vorläufiges Ende gefunden. Volkswagen und seine beiden sächsischen Zulieferer Car Trim und ES Automobilguss haben am Dienstag ihren Streit beigelegt. Der in der deutschen Automobilindustrie beispiellose Konflikt dürfte die Branche aber noch länger beschäftigen. Das schwierige Verhältnis von Herstellern und Zulieferern ist in die Schlagzeilen geraten. In den sechs vom Lieferstopp betroffenen VW-Werken, in denen fast 30.000 Beschäftigten die Arbeit ausgegangen ist, sollen bald wieder die Produktionsbänder laufen.

Wie sieht die Einigung aus?

Über die Details der nach 20 Stunden Verhandlungsmarathon erzielten Einigung haben Volkswagen und die Zulieferfirmen Stillschweigen vereinbart. Es geht um sensible Geschäftsgrundlagen, in die Wettbewerber keinen Einblick nehmen sollen. Volkswagen und die Prevent-Gruppe, zu der die Lieferanten Car Trim und die ES Automobilguss gehören, bestätigten nur, dass die Lieferung von Sitzbezügen und Getriebeteilen „in Kürze“ wieder aufgenommen werden soll. Wie lange die Verträge mit den beiden Zulieferern noch laufen und ob sie geändert wurden, wollten weder VW noch die Unternehmen sagen. Nach Informationen der „Süddeutschen Zeitung“ hat Volkswagen große Zugeständnisse gemacht. So soll VW die Kündigung einer umfangreichen Kooperation teilweise rückgängig gemacht haben. Zudem sollen die beiden Zulieferer mindestens sechs Jahre mit dem VW-Konzern im Geschäft bleiben. Volkswagen und Prevent verzichteten dem Blatt zufolge gegenseitig auf Schadenersatzansprüche.

Nach Angaben von VW bereiten die betroffenen Standorte die Wiederaufnahme der Produktion vor, das Thema Kurzarbeit dürfte sich für die Werke in Emden, Wolfsburg, Kassel und Zwickau somit rasch wieder erledigen. Im VW-Werk Kassel-Baunatal wurde die Getriebeproduktion am Dienstag wieder hochgefahren. Am Donnerstag werde die volle Kapazität wieder erreicht, sagte ein Sprecher.

Wie teuer war der Streit?

Analysten der Schweizer Großbank UBS haben den finanziellen Schaden eines einwöchigen Produktionsstopps in Wolfsburg auf etwa 100 Millionen Euro geschätzt. In dieser Höhe sinke der Bruttoertrag des Werks, in dem in normalen Zeiten bis zu 3850 Fahrzeuge täglich vom Band rollen, davon mehr als 1000 Golf und etwa 500 Wagen des geräumigeren Sportsvan. Frank Schwope, Autoanalyst bei der NordLB, geht maximal von einem „niedrigen dreistelligen Millionenbetrag“ aus. VW selbst hat keine Summen genannt. Experten hatten mit etwa 10000 Fahrzeugen gerechnet, die in dieser Woche nicht von den Bändern rollen können. Ob es auch nach der Einigung bei dieser Zahl bleibt, ist offen.

Schwer zu kalkulieren ist der Reputationsschaden, den VW, aber auch die beiden Tochterfirmen der Prevent-Gruppe, davongetragen haben. Analyst Schwope glaubt, dass VW den jüngsten Streit im Vergleich zum Diesel-Skandal leicht verkraften kann. Schwope erinnerte an die Aufregung rund um die VW-Korruptionsaffäre vor gut zehn Jahren. „Auch diese Affäre hat die Reputation des Konzerns nicht nachhaltig beschädigt.“

Hat Prevent eine Zukunft als Zulieferer der Automobilbranche?

„Kurzfristig bleiben sie im Geschäft, langfristig sind sie aus dem Rennen“, glaubt ein Branchenkenner. Diese Einschätzung teilen freilich nicht alle Beobachter. Andere sehen in der Andeutung der Streitparteien, man habe sich auf eine langfristige Partnerschaft verständigt, einen Hinweis, dass Prevent zumindest Teile seiner Forderungen gegen Volkswagen durchsetzen konnte.

Wegen einer von VW einseitig gekündigten Entwicklungspartnerschaft hatte Prevent Schadenersatz von rund 50 Millionen Euro gefordert. Der Streit darüber landete vor Gericht. Von einem „neuen Typ an Zuliefermacht“ spricht sogar Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer, Leiter des Car-Instituts der Universität Duisburg-Essen. „Die vermeintlichen Zwerge können die Gullivers der Autobranche in Nöte bringen.“ Moderne, verschachtelte Zulieferer-Konglomerate wie die Prevent-Gruppe seien nicht mehr „die netten mittelständischen Unternehmer mit Familientradition, sondern smarte Investmentbanker, die mit international exzellenten Anwaltskanzleien zusammenarbeiten“, sagt Dudenhöffer.

Wurden andere Unternehmen von dem VW-Streit in Mitleidenschaft gezogen?

Bis zu 500 Zulieferer sind nach Branchenschätzungen allein in die Produktion eines VW Golf involviert. Das Modell wird im Wolfsburger VW-Werk zurzeit nicht gebaut – entsprechend weniger Teile nimmt der Hersteller von seinen Lieferanten ab. Die Firmen müssen Bestände aufbauen. „Damit zieht sich das Problem wie eine Kettenreaktion durch die gesamte Lieferkette, bis hin zum Endverbraucher“, teilte der Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik mit. Jede Störung der Lieferkette bringe auch die Produktionsketten durcheinander und führe „umgehend zu massiven Verwerfungen“. Konkrete Klagen anderer Zulieferer wurden aber nicht laut. Am Dienstag war stattdessen die Erleichterung groß. „Das ist ein gutes Signal für den Automobilstandort Deutschland“, sagte Volker Schmidt, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands Niedersachsen-Metall. Jetzt herrsche Planungssicherheit.

Drohen Volkswagen noch andere Konsequenzen aus dem Streit?

Die Finanzaufsicht Bafin nimmt die Kommunikation des Konzerns über den Zuliefererstreit unter die Lupe. „Wir schauen uns an, ob im Zusammenhang mit den Streitigkeiten mit den Zuliefern und dem daraus folgenden Produktionsstopp eine veröffentlichungspflichtige Insider-Tatsache vorlag, die VW per Ad-hoc-Mitteilung hätte herausgeben müssen“, sagte eine Bafin-Sprecherin. Solche Pflichtmitteilungen an der Börse sind vom Gesetz vorgeschrieben, wenn Ereignisse – wie etwa ein großer Produktionsstopp – den Börsenkurs eines Unternehmens erheblich beeinflussen können. Ad-hoc-Mitteilungen sollen verhindern, dass Insider ihr Wissen nutzen, um Aktiengeschäfte zu tätigen. Vielmehr sollen alle Marktteilnehmer zur gleichen Zeit über ein kursrelevantes Ereignis informiert sein.

Welche Verantwortung trägt der Konzern-Vorstand für den entstandenen Schaden?

Die Frage, wer letztlich verantwortlich war für die Eskalation des Streits, ist schwer zu beantworten. Gesichert ist zweierlei: Volkswagen steht nach dem Dieselskandal unter Kostendruck, den der Weltkonzern – wie schon in der Vergangenheit – mit harten Bandagen an seine Zulieferer weitergibt. Auf der anderen Seite gilt auch die Prevent-Gruppe, hinter der die bosnische Hastor-Familie steht, als unbequemer Zulieferer, der ungern nachgibt und zu unkonventionellen Geschäftspraktiken neigt. Experten werfen dem VW-Vorstand vor, dies unterschätzt und die Eskalation zugelassen zu haben. „Es ist aus dem Ruder gelaufen“, sagt NordLB-Analyst Frank Schwope.

Bei einem jährlichen Einkaufsvolumen von 149 Milliarden Euro hat der VW-Konzern eine gewaltige Verhandlungsmacht. Zugleich liegt beim Einkauf eine wichtige Stellschraube, um Kosten zu senken. „Gelingt es, die Einkaufskosten im VW-Konzern um nur ein Prozent zu senken, steigt der Konzerngewinn um 1,5 Milliarden Euro“, rechnet Autoexperte Dudenhöffer aus. „Der eigentliche Grund für die Posse liegt auf dem VW-Einkaufssystem“, meint er. Bei VW regiere ein System, das unter Einkaufsvorstand Francisco Javier Garcia Sanz „nach allen Regeln der Kunst mit den López-Ideen verfeinert wurde“, aber die „elementarsten Regeln der Risikoabsicherung“ außer Acht gelassen habe. VW-Einkäufer José Ignacio López („Kostenkiller“) hatte in den 90er Jahren die Branche aufgemischt. Bis heute prägt sein aggressives Gebahren die Beziehung von Herstellern und Zulieferern.

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