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Das soll vermieden werden: Wenn Unternehmen Anspruch auf staatliche Hilfe haben, sollen sie überleben.
© imago images/Ralph Peters

Schonfrist für Insolvenzen endet: Die Stunde der Wahrheit naht

Derzeit gilt: Wer auf Staatshilfe wartet, muss keinen Insolvenzantrag stellen. Die Regelung läuft Freitag aus. SPD und Union streiten über eine Verlängerung.

Die Zeit drängt. Nur noch bis Ende dieses Monats gilt für Firmen, denen das Wasser bis zum Hals steht, eine Sonderregelung. Unternehmen, die in normalen, also Nicht-Corona-Zeiten, Insolvenz anmelden müssten, werden von dieser Pflicht entbunden, wenn sie noch auf die Auszahlung der rettenden Finanzhilfen des Staates warten. Damit soll verhindert werden, dass Firmen, die mit der staatlichen Finanzspritze weitermachen könnten, nur deshalb aufgeben müssen, weil Bund und Länder trödeln.

Die Regelung läuft am Freitag aus, es sei denn, die Koalition einigt sich noch auf eine Verlängerung. Doch Union und SPD sehen die Frage, ob man die Insolvenzantragspflicht noch länger aussetzen sollte, unterschiedlich. Die SPD ist dafür, die Union hat Bedenken. Und obwohl nur noch wenige Tage Zeit bleiben, ist der Ausgang ungewiss.

Schwer gebeutelt: Gastronomen leiden unter dem Lockdown.
Schwer gebeutelt: Gastronomen leiden unter dem Lockdown.
© imago images/Chris Emil Janßen

Gastro- und Hotelbranche pocht auf Verlängerung

Vor allem der Hotel- und Gaststättenverband Dehoga drängt auf eine Verlängerung. Die Branche leidet schwer unter den wiederholten Lockdowns. „Die aktuelle Regelung muss unbedingt verlängert werden“, sagte Dehoga-Hauptgeschäftsführerin Ingrid Hartges dem Tagesspiegel. „Es kann nicht sein, dass Unternehmen ab dem 1. Mai Insolvenz anmelden müssen, nur weil die staatlichen Hilfen nicht rechtzeitig bei ihnen angekommen sind.“

Creditreform warnt vor Zombie-Unternehmen

Insolvenzexperten sehen das jedoch anders. Patrik-Ludwig Hantzsch, Chefökonom der Wirtschaftsauskunftei Creditreform, warnt vor Verzerrungen am Markt. Er spricht von „Zombie“-Unternehmen, die eigentlich wirtschaftlich am Ende sind und nur noch künstlich am Leben gehalten werden. Wer mit solchen Firmen Geschäfte mache, könne schnell mit in den Abgrund gerissen werden. Hantzsch, ein Freund drastischer Bilder, warnt: „Die Toten und Verwundeten liegen auf der Straße, man räumt sie aber nicht weg – und andere werden darüber stolpern“.

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Aber nicht nur für die Geschäftspartner, die nichtsahnend mit derart angeschlagenen Unternehmen zusammenarbeiten, auch für die Manager der notleidenden Firmen kann die Sache böse enden. Der Verband der Insolvenzverwalter Deutschlands (VID) appelliert an Unternehmer, genau zu prüfen, ob sie wirklich noch vom Stellen des Insolvenzantrags befreit sind oder nicht. „Ansonsten besteht die Gefahr erheblicher persönlicher Haftungsrisiken“, sagt der VID-Vorsitzende Christoph Niering. Worum geht es?

Insolvenzverschleppung droht

Nach Paragraf 15a der Insolvenzordnung müssen Geschäftsführer einer GmbH oder die Vorstände einer Aktiengesellschaft einen Insolvenzantrag stellen, wenn das Unternehmen zahlungsunfähig oder überschuldet ist. Viel Zeit haben sie nicht: Sie müssen das innerhalb von drei Wochen tun, sonst können sie wegen Insolvenzverschleppung belangt werden.

Ihnen droht in diesem Fall eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren. Außerdem darf man nach einer Verurteilung wegen Insolvenzverschleppung fünf Jahre lang nicht mehr als vertretungsberechtigtes Organ einer juristischen Person arbeiten.

Viele müssten schon jetzt einen Antrag stellen

Hantzsch befürchtet, dass schon jetzt vielen Unternehmern dieses Schicksal droht, sobald die Staatsanwaltschaften mit den Ermittlungen beginnen. Nur noch 20 Prozent der Unternehmen, die sich auf die Ausnahme von der Insolvenzregel berufen, seien auch wirklich dazu berechtigt, glaubt er. Oft stecke hinter dem Versäumnis gar kein böser Wille. Die Insolvenz-Regelungen haben sich in den vergangenen Monaten so häufig geändert, dass die Betroffenen schlicht nicht mehr durchblicken, vermutet er.

Viele Unternehmer blicken nicht mehr durch

So mussten bis Ende September vergangenen Jahres Unternehmen, die vor der Corona-Pandemie schwarze Zahlen geschrieben hatten, aber durch die Krise überschuldet oder zahlungsunfähig geworden waren, keinen Insolvenzantrag stellen. Von Oktober bis Dezember galt diese Schonregelung nur noch für überschuldete, aber nicht mehr für zahlungsunfähige Unternehmen. Die milderen Antragsregeln zeigten die politisch gewünschte Wirkung: Die Zahl der Firmenpleiten sank 2020 mit 15.841 Anmeldungen auf den tiefsten Stand seit 21 Jahren.

Was derzeit gilt

Seit Januar ist eine neue Regel in Kraft, die auch heute noch gültig ist: Nur Unternehmen, die noch auf die ihnen zustehenden staatlichen Finanzhilfen warten, brauchen keinen Insolvenzantrag zu stellen, wenn sie klamm sind. Nach Zahlen des Bundeswirtschaftsministeriums sind das aber nicht mehr so viele.

Ein Großteil der Hilfen ist inzwischen bei den Unternehmen angekommen. Bei der November- und der Dezemberhilfe habe der Bund mittlerweile rund 96 Prozent der Abschlagzahlungen geleistet, teilt das Ministerium auf Tagesspiegel-Anfrage mit. Allerdings klafft bei der Überbrückungshilfe III noch eine beträchtliche Lücke. Von dem beantragten Fördervolumen in Höhe von 8,7 Milliarden Euro sind bisher nur 4,2 Milliarden Euro ausgezahlt. Erschwerend kommt hinzu, dass einige Hilfsangebote erst kürzlich in die Überbrückungshilfe III aufgenommen worden sind: So können Unternehmen erst seit vergangenem Dienstag den neuen Eigenkapitalzuschuss beantragen.

Pleitegefahr: Auch der Textilhandel hat zu kämpfen.
Pleitegefahr: Auch der Textilhandel hat zu kämpfen.
© dpa

Hilfsprogramm wurde erst kürzlich erweitert

Für Dehoga-Vertreterin Hartges ist das ein Argument für eine Verlängerung der Insolvenzregel. „Die Unternehmen dürfen nicht die Leidtragenden sein, wenn die Programme so komplex sind und die Hilfen verspätet ausgezahlt werden“, mahnt sie. Und auch die November- und Dezemberhilfe sei bei einem nicht unbeträchtlichen Teil der Unternehmen noch nicht angekommen, betroffen seien vor allem große Firmen mit hohen Pachten.

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SPD ist für eine Verlängerung

Die SPD sieht das genauso. „Eine Verlängerung ist notwendig“, sagte der rechtspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Johannes Fechner, dem Tagesspiegel. „Die Wirtschaftsverbände berichten uns, dass nicht alle Unternehmen die beantragten Hilfszahlungen erhalten haben. Ohne eine Verlängerung der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht würde man Firmen unnötigerweise in die Pleite treiben, die mit den staatlichen Hilfen überleben könnten.“

Fechner schwebt eine Verlängerung um mindestens zwei Monate vor. Die Entscheidung müsse spätestens in dieser Woche fallen. Dann könnte der Bundestag die Regelung in der ersten Mai-Woche rückwirkend zum 1. Mai beschließen.

Die Union warnt vor einer Verkürzung der Gläubigerrechte

Doch die Union ist von einer weiteren Verlängerung nicht überzeugt. Fast alle Unternehmen hätten Zahlungen aus diversen Hilfsprogrammen bekommen, bis Ende des Monats würden weitere Auszahlungen erfolgen, gibt der rechtspolitische Sprecher der CDU-/CSU-Bundestagsfraktion, Jan-Marco Luczak, zu bedenken. Mit einer Aussetzung der Insolvenzantragspflicht dürfe man „nicht leichtfertig umgehen“, denn spiegelbildlich sei damit auch eine „Verkürzung von Gläubigerrechten“ verbunden. Die Unternehmen bräuchten nun „wieder mehr Rechtsklarheit“, sagte Luczak dem Tagesspiegel. „Dies gilt für Schuldner wie für Gläubiger.“

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) überlässt das Thema den Regierungsfraktionen.
Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) überlässt das Thema den Regierungsfraktionen.
© imago images/photothek

Klar ist: Der Ball liegt im Feld der Fraktionen. Das zuständige Bundesjustizministerium hat bereits erklärt, dass man gegenwärtig nicht an einer Verlängerung arbeitet. Der Druck ist hoch, der Wahlkampf hat begonnen. „Die Union nimmt in Kauf, dass eigentlich überlebensfähige Firmen Pleite gehen und Menschen ihren Job verlieren“, sagt SPD-Rechtsexperte Fechner. Creditreform-Experte Hantzsch sieht das anders: „Die Insolvenz ist nicht das Ende“. Im Gegenteil: Vielen Firmen biete der Insolvenzantrag die Chance, auf einem gesünderen Fundament weiterzumachen.

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