Rotkäppchen-Kellereien: Die Schaumweinkönige
Jede dritte getrunkene Flasche Sekt stammt aus einer der Rotkäppchen-Kellereien. Eine gesamtdeutsche Erfolgsgeschichte.
Freyburg an der Unstrut - Die schwere Eichentür öffnet sich, klassische Musik ertönt aus Boxen unter der gut 20 Meter hohen Decke des Kellers. Es riecht muffig, die Kellerwände sind mit schwarzem Moos bewuchert. „Das ist Kellermoos, das ernährt sich vom Alkohol in der Luft“, sagt Ilona Kaiser, die durch die alten Gemäuer der Rotkäppchen Sektkellerei im sachsen-anhaltinischen Freyburg führt. In der Mitte des dunklen Raumes steht die Hauptattraktion der Führung: Ein überdimensioniertes schwarzes Holzfass, Durchmesser sechs Meter, Fassungsvermögen 160 000 Flaschen. Vier Tage lang haben die Kellermeister in diesem Fass die typische Rotkäppchen-Cuvée zusammengerührt. Im Gegensatz zu den meisten Weinen besteht Sekt aus einer Vielzahl von unterschiedlichen Rebsorten, die miteinander vermengt die Cuvée ergeben. Dieser Weinmix wird anschließend mit Hefe und einer Zuckerlösung ein zweites Mal vergoren.
Das gigantische Fass wurde 1896 gebaut und war bis 1935 im Einsatz. Die Rotkäppchen-Sektkellerei selbst ist viel älter. Sie wurde 1856 in Freyburg an der Unstrut gegründet. Das Weinbaugebiet Saale-Unstrut ist eines der kleinsten in Deutschland. Nur auf 650 Hektar wächst die Frucht. Die Jahresproduktion könnte bloß fünf Prozent des Ausstoßes der Rotkäppchen-Kellerei decken. Heute kommt der Großteil des verarbeiteten Weins aus Spanien, Italien und den großen deutschen Anbaugebieten. Jährlich verlassen rund 71 Millionen Flaschen das Freyburger Werk. Gelagert und vergoren wird der Rotkäppchen-Sekt in großen beigen Stahltanks mit einem Fassungsvermögen von 40 000 Litern. Nach sechs Monaten wird der Sekt abgefüllt, dazu werden die Tanks abgesaugt und der prickelnde Inhalt per Sektleitung in die Abfüllanlage gepumpt.
Dort rauschen die grünen Flaschen achtspurig nebeneinander auf einem Förderband. Die riesige Abfüllanlage schafft 20 000 Flaschen pro Stunde. In der Halle riecht es nach Sekt, ständig stoßen die einzelnen Flaschen aneinander, es klirrt ohrenbetäubend. 23 Sekunden dauert es, bis der kohlensäurehaltige Wein in die Flasche gefüllt, etikettiert und mit dem traditionell roten Plastikkorken verschlossen ist.
Steckt der rote Stopfen erst einmal in der Flasche, sind auch gleich 1,02 Euro Sektsteuer fällig – ein Relikt aus der Kaiserzeit. Damals finanzierte Wilhelm II. seinen Flottenausbau mit der Abgabe. Zu DDR-Zeiten musste man keine Sektsteuer bezahlen. Bis zur Wende produzierte die VEB-Sektkellerei Rotkäppchen 15 Millionen Flaschen Schaumwein pro Jahr. Nach der Einheit kam der Einbruch. 1991 wurden nur noch eine Million Flaschen abgefüllt.
„Eine Million Flaschen verkaufen wir heute an einem einzigen Tag in unseren umsatzstarken Monaten November und Dezember“, sagt Rotkäppchen-Geschäftsführer Gunter Heise.
Die gesamtdeutsche Erfolgsgeschichte beginnt 1993. Heise, der ehemalige technische Leiter, übernimmt mit vier Kollegen den maroden Staatsbetrieb. Seit 1973 hatte Heise in Freyburg für Rotkäppchen Sekt hergestellt. Im Gegensatz zu anderen ostdeutschen Marken gelingt es Heise, mit Rotkäppchen konkurrenzfähig zu sein. „Wir haben unser Glück selbst in die Hand genommen und Rotkäppchen auf die neue Situation eingestellt“, erinnert sich der Geschäftsführer. Nach der Privatisierung investiert er in neue Technik, baut Arbeitsplätze vorübergehend ab und schaltet Werbung in Zeitschriften und im Fernsehen. „Die Privatisierung 1993 war ein Glücksfall für uns“, sagt Heise rückblickend, von Jahr zu Jahr verbesserten sich die Absatzzahlen. Schon sieben Jahre nach der Privatisierung übernimmt Rotkäppchen mit 50 Millionen Flaschen die Marktführerschaft in Deutschland. „Danach haben wir uns ein neues Ziel gesucht“, sagt Heise. 2002 kaufte das Unternehmen die hessischen Konkurrenten MM Extra und Jules Mumm. 2003 folgt die badische Edel-Sekt-Marke Geldermann. Seitdem stammt jede dritte in Deutschland getrunkene Flasche Schaumwein aus einer der Rotkäppchen-Kellereien. Der ärgste Verfolger Freixenet muss sich mit einem Marktanteil von 19 Prozent in Deutschland begnügen.
Der jüngste Coup ist erst knapp ein Jahr alt: 2006 fädelte Heise die Übernahme des deutschen Spirituosenherstellers Eckes ein. „In der nächsten Zeit planen wir aber keine weiteren Akquisitionen, wir müssen erst mal verdauen“, sagt Heise. Dass dies eine Menge Arbeit sein dürfte, weiß auch er. Das Image des deutschen Schnaps’ ist schlecht, das Eckesprodukt „Mariacron“ gilt bei den Konsumenten als bieder und billig.
„Die deutschen Spirituosenhersteller haben in der Vergangenheit zu wenig in ihre Produkte investiert“, weiß auch Heise. Um auf dem Markt für Hochprozentiges mitzumischen, will er das Image altbackener Klassiker wie Chantré oder Eckes Edelkirsch verbessern. Außerdem sollen neue Produkte die Kunden locken. Neben Bioeierlikör wird es deshalb in den Supermarktregalen bald auch Wodka aus mecklenburgischem Quellwasser geben, ein geschickter Zug, denn an der Küste wird traditionell etwas härterer Stoff getrunken.
Christoph Giesen
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