Kampagne "Die EZB hört zu": Die neue Charmeoffensive der Europäischen Zentralbank
Nicht erst seit den Minuszinsen steht die EZB in der Kritik. Die neue Chefin sucht nun den Dialog mit den Bürgern. Doch ändert das auch etwas an ihrer Politik?
Die Europäische Zentralbank wird von vielen Bürgern skeptisch beäugt. Warum das so ist, dazu gibt es unterschiedliche Auffassungen. Die neue EZB-Präsidentin Christine Lagarde glaubt, dass die Notenbank Sinn und Zweck ihrer Arbeit nicht verständlich erläutert, zu weit weg ist von den Bürgerinnen und Bürgern. Viele Notenbanker hingegen sehen sich Unwissen gegenüber. Wenn hochrangige Zentralbank-Manager ihr Tun in öffentlichen Veranstaltungen erklären, wüssten die Zuhörer manchmal nicht, was eine Notenbank von einer Geschäftsbank unterscheide. Eine Informationsoffensive ist deshalb wichtiger Teil der Strategie-Überprüfung, die die EZB im Januar gestartet hat.
„Die EZB hört zu“ betiteln die europäischen Währungshüter eine ganze Reihe von Veranstaltungen in allen Eurostaaten, bei denen Vertreter und Organisationen der Zivilgesellschaft – von Verbraucherverbänden, Gewerkschaften, Arbeitgeber-Organisation, Studentinnen und Studenten, Vertreter der Kirchen und anderen gesellschaftlichen Gruppen - angehört und mit ihnen diskutiert werden soll.
Auftakt ist am 26. März in Brüssel mit Lagarde und EZB-Chef-Ökonom Philip Lane. Die Debatte wird live im Internet übertragen. Veranstaltungen der nationalen Notenbanken, also auch der Bundesbank, sollen in den Wochen danach folgen. "Wir möchten zuhören und für die Meinungen, Erwartungen und Anliegen der Bürgerinnen und Bürger offen sein. Teilen Sie uns ihre Ideen mit", sagt Lagarde dazu. "Alle Ideen und Standpunkte fließen in die Strategieüberprüfung ein." Es gibt auch ein dazugehöriges Portal im Internet.
Isabel Schnabel stärkt den neuen Kurs
Besonders stark für diesen Ansatz macht sich auch die seit Jahresanfang amtierende deutsche EZB-Direktorin Isabel Schnabel. Sie will für mehr Verständnis in der Bevölkerung werben und Missverständnisse ausräumen. "Wenn die Menschen immer wieder hören, dass die EZB ihnen mit ihrer Politik schadet, ist das irreführend und gefährdet das Vertrauen."
Auch Lagarde stellt gegenüber den Menschen in der Eurozone klar: "Preisstabilität hilft ihnen in vielen Bereichen des Lebens, beim Sparen, bei Kreditverträgen und beim Investieren." Es geht der EZB insgesamt um eine einfachere, verständlichere Sprache, mit der sie ihre Politik erläutern will.
Die gesamte Strategieüberprüfung - die erste seit 17 Jahren - wird ein umfangreicher Prozess, der elf Themenfelder umfassen und bis Jahresende abgeschlossen sein soll. Neben der Kommunikation geht es unter anderem um den Klimawandel, die Globalisierung, die Digitalisierung, um Produktivität und technischen Fortschritt und deren Auswirkungen auf die Geldpolitik. Auch die Instrumente der Geldpolitik sollen auf den Prüfstand gestellt werden. "Jeder Stein wird umgedreht", hatte Lagarde schon im Dezember wenige Wochen nach ihrem Amtsantritt gesagt.
Wird der Preistreiber "Wohnen" übersehen?
Als ein schwieriges Feld dürfte sich dabei die Frage der Messung von Inflation und Preisstabilität erweisen. Die Wahrung der Preisstabilität ist die Hauptaufgabe der Notenbank. Dabei wird der Faktor Wohnen derzeit zu wenig berücksichtigt, auch nach Ansicht von Bundesbank-Präsident Jens Weidmann. In den europäischen Verbraucherpreisindex HVPI fließt Wohnen zur Miete nur bedingt mit einem Anteil von 6,5 Prozent ein. "Der Index enthält auch Mieten. Viele Menschen leben aber in ihren eigenen Wohnungen oder Häusern. Das selbst genutzte Wohneigentum jedoch fehlt im Warenkorb", weist Weidmann auf einen problematischen Punkt hin.
Würde dies berücksichtigt, hätte die Inflationsrate in der Vergangenheit um etwa 0,2 Prozentpunkte höher gelegen, sagt der Bundesbank-Präsident. Ökonomen sprechen sogar von bis zu 0,5 Punkten. Das hätte möglicherweise Auswirkungen auf geldpolitische Entscheidungen der EZB. Weidmann wünscht sich, dass die Notenbank "näher an die Lebenswirklichkeit der Menschen" heranrückt.
Ähnlich argumentieren auch Volkswirte mit Blick auf den Faktor und Preistreiber Wohnen. Auch nach Ansicht von EZB-Chef-Ökonom Lane sollte dies mehr Gewicht bei der Messung von Inflation erhalten. Bei vielen Bürgern dürfte der geringe Anteil der Miete für die Berechnung der Inflationsrate für Kopfschütteln sorgen. Ist sie doch mit einem Anteil von einem Drittel oder oft noch mehr der größte Batzen ihrer Ausgaben.
Und auch das Wohnen in der eigenen Wohnung oder dem eigenen Haus ist ja nicht umsonst, obwohl dabei auch die Wertsteigerung der Immobilie berücksichtigt werden müsste. Das Thema Wohnen und Inflation ist ein schwieriges, wenngleich wichtiges Feld bei der Strategieüberprüfung und auch in der Kommunikation nach außen. Die EZB und die nationalen Notenbanken hören in den nächsten Wochen und Monaten schließlich auch Mietern und Eigenheimbesitzern zu.