Henkel-Chef im Interview: "Die nächsten Jahre werden schwer für Europa"
Kasper Rorsted, Vorstandsvorsitzender von Henkel, spricht im Interview mit dem Tagesspiegel über die Wirtschafts- und Finanzkrise, Vielfalt im globalen Unternehmen und die Vorteile der USA.
Herr Rorsted, wie deutsch ist Henkel noch?
Deutschland ist nach wie vor sehr wichtig für uns. Der Sitz unseres Unternehmens ist hier, der deutsche Markt ist nach den USA der größte für uns, und wir tätigen die größten Investitionen in Deutschland. Wir sind ein deutsches, aber vor allem auch ein sehr internationales Unternehmen. Das ist kein Widerspruch, beides gehört bei uns zusammen.
Als erster Vorstandschef, der von außen kam und noch dazu ein Ausländer ist, stehen Sie für einen Kulturwandel bei Henkel. Wie würden Sie den beschreiben?
Erstens sind wir in den vergangenen Jahren viel globaler geworden. Heute kommen 43 Prozent unseres Umsatzes aus Wachstumsmärkten, dort sind 55 Prozent unserer Mitarbeiter beschäftigt. Drei der sechs Vorstandsmitglieder stammen nicht aus Deutschland, auch auf den Führungsebenen darunter sind mehr als die Hälfte international. Das ist gewollt: Wir brauchen Vielfalt und sehen sie als Wettbewerbsvorteil. Wir müssen ein Spiegel der Gesellschaft und Märkte sein, in denen wir tätig sind. Mit der steigenden Bedeutung der wachstumsstarken Märkte verschieben sich natürlich auch die Gewichte in einem Konzern.
Und was noch?
Zum Zweiten haben wir heute eine sehr starke Ergebnis- und Leistungskultur. Wir legen Wert auf Performance, die Kriterien zur Leistungsbewertung sind sehr transparent. Wir belohnen Mitarbeiter für ihren Einsatz und bieten attraktive Karrieremöglichkeiten in verschiedenen Geschäftsfeldern rund um die Welt. Wir legen auch sehr viel Wert auf die interne Förderung und Entwicklung unserer Talente. So haben wir einen der jüngsten Vorstände unter den Dax-Konzernen, und alle Vorstandsmitglieder außer mir kommen von Henkel.
Sie haben das starke Wachstum in den Schwellenländern angesprochen. Was ist mit Europa?
In den nächsten drei bis fünf Jahren liegt eine ausgesprochen schwierige Phase vor Europa. Die einzige Ausnahme ist Deutschland, weil hier viele der dringend notwendigen Reformen bereits erfolgt sind. Die Rezession in Europa spüren wir zwar, deswegen gehen wir auch stärker in andere Regionen. Aber das eine schließt das andere nicht aus. Wir haben uns das Ziel gesetzt, 2016 einen Umsatz von 20 Milliarden Euro zu erreichen. Das sind 3,5 Milliarden mehr als im vergangenen Geschäftsjahr. Davon soll die Hälfte aus den Wachstumsregionen kommen. Das heißt, dass wir zehn Milliarden Euro in reifen Märkten erlösen wollen. Auch Europa soll dazu einen Beitrag leisten.
Sie haben diese Strategie formuliert, als das Ausmaß der Krise in Europa noch nicht absehbar war.
Das ist ein Déjà-vu. 2008 haben wir unsere Strategie bis 2012 formuliert, dann kam die Finanzkrise. Jetzt finden wir uns mit unserer Strategie bis 2016 erneut in einem schwierigen Umfeld. Der Vorteil an einer langfristigen Strategie ist, dass sie unabhängig von kurzfristigen Marktentwicklungen und Verwerfungen ist. Wir spüren die Krise, unser Europageschäft war im ersten Quartal leicht rückläufig, und wir gehen nicht von einer schnellen Verbesserung der Situation aus. Aber das ist kein Grund, von unserer langfristigen Strategie abzuweichen.
Was halten Sie vom geplanten transatlantischen Freihandelsabkommen?
Das ist eine große Chance für Europa. Mehr als eine Million Arbeitsplätze können hier entstehen, das schafft Wachstum. Dieses Abkommen darf man nicht mit einer zu kurzfristigen Betrachtung gefährden.
Sie beziehen sich auf Frankreich, das die Filmindustrie und digitale Medien von dem Abkommen ausnehmen will.
Es geht mir um das Prinzip. Wenn man ständig Sonderregelungen und Ausnahmen fordert, werden die Verhandlungen erschwert und in die Länge gezogen. Wir müssen jetzt alles tun, um Europa wettbewerbsfähiger zu machen. Dazu muss Europa mit einer Stimme sprechen. In 2009 hatten die EU und die USA zehn Prozent Arbeitslosigkeit, 2012 waren es in der EU zwölf Prozent und in den USA acht Prozent. Wir sind viel abhängiger von Amerika als umgekehrt.
Warum haben die USA die Krise besser bewältigt?
Amerika hat einige Vorteile. Die USA können eine einheitliche Finanzpolitik umsetzen, und sie sind schneller und entschlossener an die Probleme herangegangen. Reformen sind in den meisten Ländern Europas überfällig. Denken Sie nur daran, wie Deutschland noch vor ein paar Jahren als der kranke Mann Europas galt. Heute gelten wir als Musterbeispiel für erfolgreiche Reformen in Europa. Das zeigt: Reformen lohnen sich! Aber die Amerikaner haben auch eine andere Kultur und Mentalität. Es mag trivial klingen, aber: Yes, we can – das ist typisch amerikanisch. Europa geht zum Beispiel an die Regulierung sehr defensiv heran. Aus dem Fußball wissen wir, dass man nur mit Defensive kein Spiel gewinnt.
Die USA haben bei der Krisenbewältigung enorme Staatsschulden angehäuft.
Das ist richtig. Aber die USA haben jetzt wenigstens eine Chance, ihre Schulden dank der besseren Wirtschaftslage wieder abzubauen. Das notwendige Wachstum haben wir in Europa nicht. Wir werden die Schulden aber auch nicht mit höheren Steuern abbauen können. Das kann keine langfristige Strategie sein. Mit höheren Steuern lässt sich ein Land nicht nachhaltig voranbringen. Hinzu kommt, dass Amerika viel offener für Zuwanderung ist, während die Bevölkerung in Europa schrumpft und altert.
Henkel soll ein Spiegel der Gesellschaft sein, sagen Sie. Die Menschheit besteht zur Hälfte aus Frauen, Henkel kommt in den drei obersten Managementebenen auf einen Frauenanteil von weniger als einem Fünftel. Das ist zwar mehr als anderswo, aber eben auch noch weit weg von echter Ausgewogenheit. Wie wollen Sie das ändern?
Wir sind auf einem guten Weg und stehen im Dax mit an der Spitze. Insgesamt liegt der Frauenanteil im Konzern bei über 30 Prozent, bei allen Führungskräften bei rund 31 Prozent. Der Anteil von Frauen in Führungspositionen legt im Schnitt pro Jahr um einen Prozentpunkt zu. Man kann das aber nicht über Nacht oder durch starre Quoten lösen.
Sie haben Quoten einmal als eine implizite Ungerechtigkeit bezeichnet. Aber ist die explizite Ungerechtigkeit, nämlich die Benachteiligung von Frauen, nicht das viel größere Problem?
Man kann lange darüber diskutieren, was für wen gerecht ist. Aber die Frage ist doch, wie man das Problem löst. Wir möchten bei Henkel mehr Ausgewogenheit, und wir tun alles dafür. Wir bieten unseren Mitarbeitern zum Beispiel die Möglichkeit, schon in jungen Jahren ins Ausland zu gehen, bevor die Familienplanung einsetzt. Ich halte es aber für falsch, jemanden nur zu befördern, um eine Quote zu erfüllen. Henkel steht für gleiche Chancen, nicht für Gleichmacherei. Vielfalt gehört zu unserer Kultur, bei uns haben Frauen alle Chancen. Aber am Ende muss der Beste den Job bekommen, egal ob Mann oder Frau.
Sie sind der einzige Chef eines Dax-Konzerns mit einer Frau an der Spitze des Aufsichtsrats. Wie ist es denn so, von einer Frau kontrolliert zu werden?
Das habe ich mich nie gefragt. Wir sind eine Generation, haben eine ähnliche Familiensituation, teilen die gleichen Werte und kommunizieren ähnlich. Wir haben ein sehr gutes Verhältnis und arbeiten eng und unkompliziert zusammen. Ihre Frage zeigt, in Deutschland ist die Frauenfrage ein großes Thema. Aus der Sicht von Henkel ist aber die internationale Vielfalt insgesamt viel herausfordernder. Ich bin sicher, dass wir bald eine Ausgewogenheit zwischen Frauen und Männern haben werden. Aber ich habe viel eher Zweifel, dass sich unsere Märkte ausreichend in der Herkunft unserer Mitarbeiter spiegeln. Habe ich genug Algerier, Ukrainer, Inder? Als globales Unternehmen brauchen wir Vielfalt.
Wie erreichen Sie das?
Dafür muss ich Vertrauen schaffen. Doch das ist nicht einfach. Ein Chinese muss sich doch fragen, warum er ausgerechnet nach Europa gehen soll. Sein Land entwickelt sich rasant, hier ist das wirtschaftliche Umfeld schwierig. Sie und ich haben gemeinsame Referenzpunkte: Sie haben in Hamburg gewohnt, das ist nicht weit weg von meiner Heimat Dänemark. Mit einem Chinesen, einem Brasilianer habe ich nicht solche Referenzpunkte, und daran muss ich arbeiten.
Das heißt, Sie gehen auf die anderen zu.
Ich muss diese Referenzpunkte, diese Welten kennenlernen. Deswegen reise ich viel. Es hilft nichts, den anderen zu sagen, sie sollten Dänemark oder Düsseldorf kennenlernen. Es ist falsch zu erwarten, dass China so wie Deutschland wird. Wir müssen uns öffnen, wenn wir in der Welt Erfolg haben wollen.
Fehlt es hier an einer Willkommenskultur?
Ich glaube nicht. Ich bin ja sehr deutsch und schätze die deutschen Tugenden. Die Menschen hier sind freundlich, hilfsbereit, offen. Man kann hier als Ausländer sehr gut leben. Die Lebensqualität ist sehr hoch. Wenn überhaupt, dann muss Deutschland seine Attraktivität besser vermarkten. Hier wird manchmal gemeckert, wenn der Zug drei Minuten zu spät kommt. Anderswo ist man froh, wenn überhaupt ein Zug kommt.
In Ihrer neuen Strategie setzen Sie auf Zukäufe. Wo sehen Sie auf der Landkarte weiße Flecken?
Im Konsumgütergeschäft vor allem in Asien. Allerdings bieten sich derzeit nur sehr wenige Chancen. Aber wir haben Geduld. Wir denken sehr langfristig und sind nicht gezwungen, morgen etwas zu kaufen. Wir müssen nicht überall sein, damit keine weiße Flecken mehr auf einer Landkarte zu sehen sind. Wir wollen nur dort sein, wo wir auch eine Chance haben, mit unseren Geschäften eine führende Position zu besetzen. Man darf sich nicht blenden lassen, die Größe eines Marktes allein ist nicht ausschlaggebend. Deswegen sind wir zum Beispiel vor einigen Jahren in China aus dem Waschmittelmarkt ausgestiegen. Gleichwohl sind wir dort sehr erfolgreich mit Haarpflegeprodukten. Auch im Klebstoffbereich sind wir dort sehr erfolgreich. Wir haben in China mit unserem Fokus auf organisches Wachstum gute Erfahrungen gemacht.
Der Aktienkurs von Henkel ist aktuell sehr hoch. Ist das Fluch oder Segen?
Wir haben im vergangenen Jahr unsere Strategie und unsere Finanzziele klar kommuniziert und auch, wie wir sie erreichen wollen. Als wir das 2008 gemacht haben, hat uns niemand geglaubt, und die Börse hat entsprechend reagiert. Hätten wir uns davon beeindrucken lassen, wären wir heute nicht so erfolgreich. Inzwischen hat sich gezeigt, dass wir auch ambitionierte Ziele erreichen. Dieses Vertrauen in Henkel spiegelt sich nun in der Bewertung der Finanzmärkte wider. Unsere Aufgabe muss sein, Überraschungen zu vermeiden. Wir müssen langfristig denken. Es wäre fatal, wenn ich den Aktienkurs kurzfristig beeinflussen wollte.
Kasper Rorsted, 1962 im dänischen Aarhus geboren, kam 2005 in den Henkel-Vorstand, dem er seit April 2008 vorsitzt. Zuvor arbeitete er bei den IT-Konzernen Hewlett Packard und Compaq. Rorsted, der an der International Business School in Kopenhagen studierte, ist verheiratet und hat vier Kinder.
Henkel, 1876 gegründet, ist heute mit drei Geschäftsbereichen (Waschen, Kosmetik, Klebstoffe) in aller Welt unterwegs. Von den rund 47 000 Mitarbeitern sind rund 80 Prozent außerhalb Deutschlands tätig. Der Dax-Konzern hat seinen Sitz in Düsseldorf; zu den bekanntesten Marken gehören Persil, Schwarzkopf, Loctite und Pritt. Das Gespräch führte Moritz Döbler.
Moritz Döbler