Wirtschaft: Die Macht der Mark veränderte das Leben
Es ist die Macht der Mark, die im Nachkriegsdeutschland Identitäten und Grenzen veränderte.Mit der Währungsreform am 21.
Es ist die Macht der Mark, die im Nachkriegsdeutschland Identitäten und Grenzen veränderte.Mit der Währungsreform am 21.Juni 1948 vereinigten sich die amerikanische und die britische Besatzungszone mit der französischen zur Trizone - dem späteren Westdeutschland.Unvollkommen zwar - noch fehlten West-Berlin und das Saarland - doch erkennbar.Die Währungsunion im Juni 1990 ging der Wiedervereinigung voran.Die D-Mark wurde zum Fundament des vereinten Deutschlands.
Im Anfang war die Masse - sie glaubte an das neue Geld.Sie glaubte an den neuen Mann.Und weil sie an beides glaubte, baute sie auf und handelte rege.So oder so ähnlich beginnen die Geschichten über den Aufstieg der Deutschen Mark, das deutsche Wirtschaftswunder und den Mann, der beides verkörpert: Ludwig Erhard.
Die Geschichten sind falsch.Der Mythos "Deutsche Mark" hat mit ihrer Geschichte genauso wenig zu tun wie die Erfolgslegende des Wirtschaftsministers Ludwig Erhard etwas mit seinem tatsächlichen Lebenslauf gemeinsam hat: Das deutsche Wirtschaftswunder wurde erst spät zum Wunder.Und Ludwig Erhard erst spät zum Helden.Zuerst waren beide ein Desaster.So empfanden es jedenfalls weite Teile der Bevölkerung.
Zwar gab es 40 Mark am Sonntag, dem 20.Juni, und vier Wochen später noch einmal für jeden 20 DM zum Kurs von eins zu eins.Zwar verlor die Reichsmark am Montag, 21.Juni, ihren Wert.Doch trotz des Schuldenmoratoriums hagelte es Rechnungen, die freigegebenen Preise kletterten auch in der neuen Währung rasant, während die Löhne erst einmal eingefroren wurden.In Berlin drohte der Polizeipräsident in der Sonntagsausgabe des Tagesspiegels wegen der Nichtteilnahme Berlins jedem Ladenbesitzer der Westbezirke, der am Montag nicht öffne oder sich weigere, seine Waren zu verkaufen, mit empfindlichen Strafen.Es herrschte Mißtrauen - bei aller Hoffnung auf eine neue Zeit.
Vor allem in Berlin.Die drei Westsektoren der Stadt wurden zunächst von der Währungsreform ausgenommen, weil die Westalliierten immer noch glaubten, eine Währungsreform gemeinsam mit der sowjetischen Besatzungszone und den drei Westzonen Berlins stemmen zu können.Daran aber glaubten die Berliner nicht."Die drei Militärregierungen werden jedoch gemeinsam dafür Sorge tragen, daß die wirtschaftlichen Verbindungen Berlins zum Westen, die für den Wohlstand der Stadt unentbehrlich sind, aufrechterhalten und verstärkt werden", berichtet der Tagesspiegel in seiner Ausgabe vom 19.Juni.
Ein Irrtum: In den Ostsektoren wurde die Ostmark eingeführt, das russisch kontrollierte Radio sendete ununterbrochen ernste Musik.Am 24.Juni wurde die Deutsche Mark auch in Berlin Zahlungsmittel.Die Krise zwischen den Alliierten spitzte sich zu.Der Tagesspiegel druckte folgende Notmaßnahmen der Westmächte: "Alle Banken sind zu schließen.Alle Geschäfte sind zu schließen.Alle Lebensmittelgeschäfte und Apotheken müssen während der gesetzlichen Öffnungszeiten geöffnet bleiben und ihre Waren zu den gesetzlich festgelegten Preisen gegen Zahlung von Reichsmark verkaufen."
Das Wirtschaftsleben West-Berlins war gelähmt.Die Sowjets schnitten die Verkehrsverbindungen von und nach West-Berlin ab: Die Blockade begann.Von den Segnungen der neuen Währung und der Aufhebung der Markenwirtschaft bekam die Stadt wenig zu spüren.Das neue Geld hatte einen Aufdruck "B" für Berlin.Bis 1949 war die "aufgezwungene Ostzonenwährung" (Tagesspiegel vom 23.Juni) in Westberlin genauso Zahlungsmittel wie die D-Mark.Erst im März 1949 beendete West-Berlin seine eigene Geschichte der Währungsreform: Die Ostmark galt hier nicht mehr.
Viel unauffälliger als der Währungsschnitt, der das Wirtschaftsleben Westdeutschlands und West-Berlins revolutionierte, war ein zweites wirtschaftspolitisches Maßnahmenpaket.In derselben Ausgabe des Tagesspiegels, in der die Währungsreform verkündet wird, wird auf einer hinteren Seite knapp ein Gesetz referiert, das zum deutschen Wirtschaftswunder mindestens genauso beitrug wie die Währungsreform selbst: Das Leitsätzegesetz.In diesem Gesetz wird den Direktoren für Wirtschaft "Vollmacht auf dem Gebiet der Preispolitik und der Bewirtschaftung eingeräumt".Ein Recht, das der zuständige Direktor für die Bizone, Ludwig Erhard, nicht nur selbst auf den Weg gebracht hatte, sondern auch gleich schamlos ausnutzte.Mit der Währungsreform hob Erhard in Westdeutschland die meisten Preisvorschriften auf, für den größten Teil der Konsumgüter wurden die Marken abgeschafft, der Handel war "frei".
Ein Vorpreschen, das nicht nur bei der amerikanischen Besatzungsmacht ungläubiges Erstaunen und Bestürzung hervorrief.Auch deutsche Ökonomen hielten den Bizonendirektor, der bislang weder als Wissenschaftler noch als Wirtschaftspolitiker in Erscheinung getreten war, schlicht für verrückt.Entgeistert kehrte die Ökonomin und heutige Herausgeberin der Hamburger Wochenzeitung "Die Zeit", Marion Gräfin Dönhoff, von einer Pressekonferenz Erhards zurück und berichtete: "Wenn Deutschland nicht eh schon ruiniert wäre, dieser Mann mit seinem absurden Plan, alle Bewirtschaftung aufzugeben, würde es gewiß fertigbringen.Gott schütze uns davor, daß er einmal Wirtschaftsminister wird!"
Gott schützte Deutschland nicht.Kaum waren die Preise frei, schossen sie in die Höhe.Vor allem die Arbeitnehmer fühlten sich um die Hoffnung betrogen, daß nun alles besser werde.Am 12.November 1948 riefen die Gewerkschaften zum ersten und bisher einzigen Generalstreik in Deutschland - gegen die Wirtschaftspolitik Ludwig Erhards.
Die D-Mark war nicht stabil und wurde es in den ersten Jahren auch nicht.1949 mußte sie gegenüber dem Dollar drastisch abgewertet werden, um die Devisenreserven zu schonen, den Export anzuschieben und die überbordenden Importe zu drosseln.Der frisch gewählte Bundeskanzler Konrad Adenauer war drauf und dran, seinen neu ernannten Wirtschaftsminister Ludwig Erhard zu feuern, weil er die Wirtschaft nicht in den Griff bekam und die Außenhandelsrechnung erst recht nicht.Erst nach der Abwertung und deutlichen Lohnsteigerungen stabilisierte sich die Lage - bis zum nächsten Schock.Im drohenden Korea-Krieg manövrierte der Wirtschaftsminister die Bundesrepublik in der zweiten Hälfte des Jahres 1950 an den Rand der Zahlungsunfähigkeit.Das zerstörte Deutschland importierte Rohstoffe, obwohl die seine Devisenzuteilung längst überzogen war.Erhard unternahm nichts dagegen, und wieder einmal verzweifelte der Kanzler an seinem regulierungsfeindlichen Minister.Wieder einmal hatte sich Adenauer das Einverständnis der Besatzungsmächte geholt, um Erhard zu entlassen.Und wieder einmal behielt Erhard Recht.Im Mai 1951 schlug die Korea-Krise in einen langanhaltenden Boom um.Deutschland war nun bestens gerüstet: Die Industrie hatte ausreichende Kapazitäten für Exporte von Stahl, Maschinen und Investitionsgütern aufgebaut.Das Land hatte dank seiner zuerst latenten, dann immer offensichtlicheren Unterbewertung seiner Währung glänzende Exportchancen.Die ersten Rückzahlungen deutscher Unternehmen an den Marshallplan brachten nun auch den Mittelstand in Schwung.Kurz: Das Wirtschaftswunder begann - ziemlich genau vier Jahre nach der Währungsreform.Gegen politische Widerstände aller Parteien hatte Erhard die Weichen richtig gestellt.Die Entscheidung, das Marshall-Plan-Geld nur auszuleihen und nicht zu verschenken, die Freigabe der Preise zum Zeitpunkt der Währungsreform, die laxe Haltung gegenüber den Forderungen der Alliierten: Das alles erwies sich nun als glückliche Weichenstellung: Westdeutschland war bereit für den Aufschwung.
Die D-Mark war deshalb aber noch lange nicht in einem sicheren Hafen.Erst mit den Pariser Verträgen des Jahres 1955 bekamen die Deutschen die Souveränität über die Währung, die ihnen längst zum Symbol für den "Wohlstand für alle" geworden war.Und einig waren sich Konrad Adenauer und Ludwig Erhard lange nicht, wer die weiteren Geschicke der D-Mark steuern dürfe.
Im März 1956 kam es zum Eklat, der das Verhältnis der beiden bedeutendsten Politiker Westdeutschlands nachhaltig zerrüttete.Ludwig Erhard war der Meinung, die überschäumende Konjunktur Deutschlands müsse gebremst werden.Anziehende Inflationsraten, Vollbeschäftigung und Lieferengpässe aufgrund explodierender Exporte waren auch dem Chef der Bank Deutscher Länder (BDL) Grund genug, über Zinserhöhungen nachzudenken.Am selben Tag, an dem Wirtschaftsminister Erhard eigenmächtig die Importzölle senkte, schraubte BDL-Chef Wilhelm Vocke den Diskontsatz nach oben.
Adenauer schäumte: "Wir haben hier ein Organ, das niemandem verpflichtet ist, nicht einem Parlament, nicht einer Regierung.Ich weiß nur eins, es ist der deutschen Konjunktur ein schwerer Schlag versetzt worden." Der Skandal war perfekt.Erhard drohte mit Rücktritt, wenn der Kanzler sich nicht entschuldige.Adenauer dachte an die bevorstehenden Bundestagswahlen - und versöhnte sich oberflächlich.Seit diesem Tag aber murrte der "Alte", wo immer er war, laut über seinen Wirtschaftsminister: "Den bringe ich auch noch auf Null."
Im Bundesbankgesetz von 1957 setzte Ludwig Erhard noch einmal alles auf eine Karte: Gegen den Willen des Bundeskanzlers setzte er die Unabhängigkeit der Notenbank von der Bonner Politik durch.Erst an diesem Tag bekam die Erfolgsgeschichte der D-Mark ihr Fundament: eine unabhängige Notenbank, die nur der Preisstabilität verpflichtet ist.
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