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Kochen als Statussymbol: Die Küche ist das neue Auto

Jahr für Jahr geben die Deutschen mehr Geld für Küchen aus - preislich gibt es keine Grenze nach oben. 97 Prozent sind „Made in Germany“. Nur Ikea tanzt aus der Reihe.

Von Maris Hubschmid

Raum, viel Raum. Und gefühlt noch mehr Platz. Nichts steht im Weg. Erst dem, der gegen die Wand tippt, tut sich eine Küchenwelt auf: Da fahren plötzlich Arbeitsplatten und Gerätschaften hervor, Besteck und Geschirr in zahlreichen Schubladen, raffiniert verborgen hinter grifflosen Türen. Das Skiba-Küchenhaus in der Berliner Karl-Marx-Allee, ein Partner der bayerischen Firma Bulthaup, ist seit der Wiedereröffnung im Februar ein Beispiel für sachliche Eleganz. Bulthaup-Geschäftsführer Marc Eckert drückt es so aus: „Einfachheit ist der ultimative Luxus.“

Luxus. Jahr für Jahr geben die Deutschen mehr Geld für Küchen aus. 8000 Euro sind es derzeit im Schnitt, 2012 waren es noch zwölf Prozent weniger, nach oben sind keine Grenzen gesetzt. 1,2 Millionen Küchen werden jährlich in Deutschland verkauft. Die Küche hat das Auto als Statussymbol abgelöst, zeigt die von Siemens in Auftrag gegebene Studie „Future Living“. Auch weil die Zinsen niedrig sind und immer mehr Menschen sich Eigentumswohnungen und Häuser zulegen, gewinnt die Küche als Besitztum an Bedeutung. Damit sie bewundert werden kann, bittet man Gäste hinein: Wohnküchen sind der neue Standard – jeder Vierte hat schon eine.

Der "Hausfrauenknast" ist passé

Vorbei die Zeit, als Gastgeberinnen im „Hausfrauenknast“ vor sich hinwerkelten, wo kein Mann ihnen beim Arbeiten zusehen musste. Erst wurde das Zimmer größer, mit Platz für einen Esstisch, dann kam die Kücheninsel, sodass wer schnibbelte und briet, anderen nicht mehr den Rücken kehren musste. Alsbald wichen auch die Wände. Beim Bau neuer Häuser, heißt es beim Bund deutscher Innenarchitekten, werden Koch- und Wohnbereich stets als eine Einheit geplant.

Gut ein Drittel dessen, was Menschen in Deutschland für Möbel ausgeben, entfällt jetzt auf die Küche. Pro Jahr summieren sich diese Ausgaben auf zehn bis zwölf Milliarden Euro. Überall entstehen deshalb großzügige Küchenstudios wie das von Skiba – allein in Prenzlauer Berg gibt es zehn. Bundesweit sind es 6000. Darunter Fachhändler wie Musterhausküchen (MHK), der jüngst einen Rekorderlös von 3,92 Milliarden Euro vermelden konnte. Und etliche Vertreter namhafter Hersteller. Branchenführer ist der ostwestfälische Anbieter Nobilia mit einem Umsatz von einer knappen Milliarde und einem Marktanteil von rund einem Drittel. Sein härtester Mitbewerber ist die Firma Alno vor Namen wie Häcker, Nolte und Schüller. Poggenpohl, Siematic und Bulthaup sind bei einer besonders vermögenden Klientel beliebt. Registriert sind rund 150 weitere.

Türe ohne Griffe - und ein bisschen Leder

Tatsächlich ist die deutsche Küchenindustrie eine höchst seltene Art: 97 Prozent aller Küchen, die in Deutschland gekauft werden, wurden auch in Deutschland produziert. Allerdings tauchen Ikea-Küchen nicht in den offiziellen Statistiken auf: Der schwedische Möbelkonzern verrät nicht, wie viele Küchen er verkauft. Vergangene Woche kündigte das Unternehmen an, seine Küchenserie „Faktum“ aus dem Programm zu nehmen. Ab Juni soll es stattdessen ein Baukastensystem namens „Metod“ geben, das mit Faktum jedoch nicht kompatibel ist. Bis 2016 werden weiter Ersatzteile geliefert, dann ist Schluss. Zahlreiche Faktum-Besitzer taten ihren Ärger im Internet kund.

Davon abgesehen feiert sich die Branche – erst vor wenigen Tagen wurde im Berliner Estrel-Hotel in Neukölln auf Initiative von MHK und in Anwesenheit von 2600 Gästen die „Schönste Küche des Jahres“ gekürt. Barbara Schöneberger moderierte, Prominente wie Fernsehkoch Ralf Zacherl und „Mutter Beimer“, Marie-Luise Marjan, traten auf. Sieger war ein Konzept des Dresdner Küchenhauses Hillig, das wie die Ausstellungsstücke bei Bulthaup vor allem dadurch auffällt, dass es kaum auffällt. Glatte Fronten, klare Kanten. „Man ist weg vom Überladenden und weg vom Möbel mit viel Zierde. Das Aussehen ist auf das Notwendige reduziert“, sagt Kirk Mangels, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Die Moderne Küche (AMK), dem Verband der Küchenwirtschaft. Jeder Dritte setzt bereits auf die grifflose Tür.

Funktional und leicht zu reinigen sind die Flächen, matte Varianten haben gegenüber Hochglanz wieder aufgeholt. Die Mehrheit der Küchen ist weiß oder zumindest nur sanft getönt – müssen sie sich doch diskret ins Gesamtbild einfügen. Erwünscht sind in diesem Kosmos aber durchaus robuste Materialien wie Palisander- oder Pinienholz. Auch Leder zieht vermehrt in die Küche ein.

Warum auch die "Landhaus"-Küche nicht ausstirbt

Und nicht nur optisch, auch technisch wird es exklusiver. „Kombidampfgarer lösen herkömmliche Backöfen ab, sie können backen und grillen, dämpfen und mit Heißluft garen, aber auch alles miteinander kombinieren“, sagt Ralph Bosshammer vom Küchenhaus in der Karl-Marx-Allee. Jahr für Jahr steigt auch der Absatz an Tiefkühlprodukten und Fertiggerichten. Wenn sich aber die Menschen Zeit nehmen für’s Kochen, dann muss es aufwendig und professionell zugehen – bei Skiba liegt der Preis für so einen Kombidampfgarer allein bei knapp 4000 Euro.

Wie hat sich die Küche noch verändert? Lange Zeit waren 85 Zentimeter die gängige Höhe, inzwischen sind es oft 90. Die Menschen werden größer. Damit trotzdem alle unter gleich guten Voraussetzungen hantieren können, bieten die renommierten Marken höhenverstellbare Möbel an und Sitzgelegenheiten auch an den Arbeitsflächen. Der Backofen wird grundsätzlich weiter oben eingebaut, die Spüle tiefergelegt. Und nützliche Extras werden mannigfaltig offeriert: Abschließbare Fächer zum Aufbewahren von Messern und Putzmitteln zum Beispiel, wo sie vor Kindern sicher sind. All das kostet. Doch dem Meinungsforschungsinstitut Forsa zufolge legen 79 Prozent aller Befragten in erster Linie Wert auf Qualität und Verarbeitung beim Küchenkauf, der Preis spielt eine nachgeordnete Rolle.

Selbst Billigküchen kommen von deutschen Markenherstellern

Auch in anderen Ländern schätzt man die deutschen Küchen. „In Europa sind die deutschen Hersteller mit Abstand führend“, erklärt Lucas Heumann, Hauptgeschäftsführer vom Verband der deutschen Küchenmöbelindustrie. Küchen im Wert von 1,5 Milliarden Euro exportierten die größten hiesigen Produzenten zuletzt ins Ausland, ein Drittel ihrer gesamten Produktion.

Aus den klassischen möbelexportierenden Ländern wie China oder Polen wird man dagegen nur schwerlich eine Küchenzeile in Deutschland finden. Selbst die Discountküchen, wie sie ab 2000 Euro bei Händlern wie Poco oder Roller zu finden sind, kommen in der Regel von deutschen Markenherstellern, sagt AMK-Chef Kirk Mangels. „Die sind dann qualitativ nicht so wertig und kaum individualisierbar.“

Die Küche ist für viele ein Sehnsuchtsort

Die Industrieästhetik, wie der Verband es nennt, ist dabei nicht der einzige Trend. Es darf durchaus mal heimelig sein. Beim „Shabby Chic“ werden alte Möbel wie ein Buffet vom Flohmarkt und Emailleschüsseln aus Omas Zeiten zu neuem Leben erweckt. „Kupfertöpfe und nostalgische Vorratsdosen mit Patina lassen den wichtigsten Raum des Zuhauses erst richtig behaglich erscheinen“, wird eine Stylistin in einer aktuellen Wohnzeitschrift zitiert. Passend dazu hält fast jeder Hersteller auch ein Modell „Landhaus“ parat. Antikes lasse sich gleichwohl durchaus mit einer modernen Grundausstattung kombinieren, da sind sich Anbieter und Interieur-Designer einig: „Gemütlich wird die Küche durch ihren Besitzer“.

Ob oldschool, futuristisch oder mit einem Mix aus Alt und Neu – die Küche ist für viele ein Sehnsuchtsort. Küche ist Essen, Geborgenheit. „Eine Verbindung aus Purismus und Sinnlichkeit“, sagt Marco Eckert von Bulthaup. Er persönlich glaube nicht an Küchen-Hightech wie „Homeconnecting“, wo noch der Kühlschrank vom Handy aus gesteuert wird. „Die Küche gibt dem Menschen die Kontrolle zurück – und genau das will er.“ Von Hand Gemüse schneiden, Fisch filetieren, trotz aller Innovationen: „Die Küche ist und bleibt ein zutiefst analoger Ort.“

Mitarbeit: Kai Röger

Wie die Küche sich zum zentralen Lebensraum entwickelt, lesen Sie in der Frühlingsausgabe von Tagesspiegel GENUSS, jetzt am Kiosk und im Tagesspiegel-Shop.

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