VW-Chef kritisiert Klimapolitik: „Die Kernkraftwerke sollten länger laufen“
Im Tagesspiegel-Background-Gespräch kritisiert VW-Chef Herbert Diess die Bundesregierung scharf und zeigt Verständnis für „Fridays for Future“.
Herbert Diess, der Vorstandsvorsitzende des VW-Konzerns, akzeptiert zwar die harte Arbeit, die in den Kohlekompromiss mit dem Enddatum 2038 investiert wurde. „Dennoch kommt der Kohleausstieg nach meiner Überzeugung viel zu spät“, sagte Diess in einem Interview von Tagesspiegel Background in der Wolfsburger Konzernzentrale. „Und die Prioritäten sind falsch gesetzt worden: Man hätte erst aus der Kohle und dann aus der Kernkraft aussteigen sollen.“ Er fügte hinzu: „Wenn uns der Klimaschutz wichtig ist, sollten die Kernkraftwerke länger laufen.“
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Im Kampf gegen die Erderwärmung müsse man „an den großen Hebeln ansetzen – also an der Vermeidung von fossilen Energieträgern. Kohle, Öl, Gas. Vor allem Braunkohle.“ Diess sagte weiter: „Wir können die Klimaziele erreichen, wenn wir weltweit die Kohleförderung stark begrenzen und nicht ausbauen. Es werden aber 500 neue Kohlekraftwerke gebaut und 500 neue geplant. Die Bundesregierung könnte hier auch international deutlich mehr Einfluss ausüben. Stattdessen wird in Deutschland immer noch der Kohleabbau steuerlich gefördert. Das ist nicht konsequent.“
Diess sagte zum Ergebnis der Europawahl: „Man sieht, dass sich die Mitte der Gesellschaft Richtung Nachhaltigkeit bewegt, Ökologie spielt eine immer größere Rolle. Das ist für Volkswagen extrem wichtig.“ Der Ausgang der Wahl habe VW in seiner Strategie bestätigt, für die Zukunft stark auf E-Autos zu setzen.
"Ich kann verstehen, dass die Jugend auf die Barrikaden geht"
Union und SPD hingegen täten in der Bundesregierung viel zu wenig für den Klimaschutz: „Wenn man sieht, wie zaudernd mit dem Thema Elektromobilität oder der Energiewende umgegangen wird, dann gleicht das fast einer Schockstarre. Ich kann schon verstehen, dass die Jugend deshalb auf die Barrikaden geht.“
Diess sagte, er sei „ein großer Befürworter“ einer CO2-Steuer. Eine CO2-Bepreisung sollte sektorübergreifend und am besten weltweit, zumindest aber europaweit greifen. Die Mineralölsteuer – umgerechnet in eine CO2-Steuer – belaste Diesel aber heute schon mit 350 Euro pro Tonne, Benzin mit mehr als 400 Euro. „Es wäre ineffizient, hier noch 20 Euro draufzulegen.“ Lieber sollte man CO2 beim Kerosin oder bei Heizungen besteuern.
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Diess verteidigte die E-Auto-Strategie seines Konzerns. Nach dem Modell ID.3 in der Golf-Klasse im Jahr 2020 werde VW spätestens 2025 einen ID in der Polo-Klasse auf den Markt bringen. Den Einwand des Ex-Präsidenten des Münchner Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, der Grünstrom, mit dem man E-Autos lade, fehle dadurch an anderer Stelle, bezeichnete Diess als Unsinn. „Elektrofahrzeuge leisten sogar einen Beitrag zur Energiewende, weil sie in den 23 Stunden, in denen sie in der Regel nicht bewegt werden, künftig geladen werden, und zwar dann, wenn es zu viel Sonnen- oder Windstrom gibt.“
Diess äußerte sich auch zu seiner persönlichen Zukunft. Zu den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Braunschweig wegen des Verdachts, Diess hätte den Kapitalmarkt 2015 zu spät über den Dieselskandal informiert, sagte der Vorstandsvorsitzende: „Ich bin der Meinung, dass die gegen mich erhobenen Vorwürfe unbegründet sind. Das hat auch die jetzt erfolgte Sichtung aller Unterlagen ergeben.“
Die Frage, ob er seinen bis 2023 laufenden Arbeitsvertrag verlängern wolle, beantwortete Diess nicht eindeutig: „Darüber denke ich heute noch nicht nach.“