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Die Grünen wollen Stahlkonzerne wie Thyssen Krupp beim Umstieg auf klimaneutrale Produktion unterstützen
© Marcel Kusch/dpa

Begrünung der alten Industrien: Die Grünen wollen klimaneutrale Produktionsweise massiv fördern

Auf dem Parteitag wollen die Grünen Wirtschaftskompetenz beweisen. Sie planen ein ehrgeiziges Programm zum Umbau von Auto-, Stahl- und Chemieindustrie.

Die Grünen wollen die traditionsreichen alten Industrien in Deutschland beim Umstieg auf eine klimaneutrale Produktionsweise massiv unterstützen. Auf einem Parteitag am Wochenende will die Ökopartei ein 26 Seiten starkes Programm zur Wirtschaftspolitik beschließen. Darin fordern die Grünen unter anderem, Investitionen in CO2-freie Industrieprozesse durch eine Klima-Umlage teilweise zu erstatten. Durch die Einführung von europäischen Klimazöllen soll außerdem die heimische Wirtschaft vor Wettbewerbern geschützt werden, die nicht auf Klimapolitik setzen.

Die Grünen bereiten sich aufs Regieren vor

Seit Monaten liegen die Grünen in den Umfragen recht stabil bei Werten um 20 Prozent. Intern bereitet sich die Parteiführung um die beiden Vorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck aufs Regieren vor. Auf dem Parteitag in Bielefeld wollen die Grünen zeigen, dass sie sich nicht nur um Ökologie kümmern, sondern auch Ideen für eine „sozial-ökologische Neubegründung der Marktwirtschaft“ haben.

Als im November 2016 der damalige Daimler-Chef Dieter Zetsche zum Grünen-Parteitag kam, um mit der Ökopartei über den Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor zu streiten, sorgte das noch für Aufregung. Doch mittlerweile ist der Austausch zwischen den Grünen und Unternehmern intensiver geworden. Die Bundestagsfraktion hat einen Wirtschaftsbeirat eingerichtet, zu dem auch Unternehmer und Manager aus Branchen kommen, die den Grünen traditionell nicht nahe stehen. Dort ist unter anderem der Vorstandschef des Chemieriesen BASF, Martin Brudermüller, vertreten.

Die Unternehmen müssen riesige Invesitionssummen aufbringen

Zu der Runde, die sich mehrmals im Jahr trifft, gehört auch die Grünen-Wirtschaftspolitikerin Katharina Dröge. „Industriezweige wie Auto, Chemie und Stahl stehen vor einer enormen Transformation“, sagte Dröge, die auch an dem Grünen-Wirtschaftskonzept mitgearbeitet hat, das nun auf dem Parteitag beschlossen werden soll. Die Technologien für den Umstieg auf eine klimaneutrale Wirtschaftsweise seien mittlerweile vorhanden. „Wir müssen den Unternehmen helfen, dass sie die riesigen Investitionssummen aufbringen können“, sagt sie.

Als Beispiel nennt die Wirtschaftsexpertin den Stahlkonzern Thyssen Krupp. Das Unternehmen wolle Stahl künftig mit Hilfe von Wasserstoff anstelle von Kohle produzieren. Doch diese Umstellung erfordere laut Thyssen Krupp Investitionen von zehn Milliarden Euro – mehr als der Konzern gerade an der Börse wert sei. „Wir brauchen Instrumente, die den Unternehmen Planungssicherheit geben und ihnen Innovationen ermöglichen“, sagt Dröge. Viele Unternehmen hätten sich bereits auf den Weg gemacht, heißt es auch in der Vorlage für den Parteitag. „Die Politik muss jetzt liefern.“

Klima-Umlage für den Umstieg auf neue Produktionsprozesse

Konkret regen die Grünen an, die Industrie nach dem Vorbild des Erneuerbare Energien-Gesetzes bei der Umstellung ihrer Produktionsprozesse zu unterstützen. Unternehmen, die in neue Technologien investieren, sollen die Differenz zwischen dem aktuellen CO2-Preis im europäischen Emissionshandel und den Kosten, die ihnen durch die Investitionen entstehen, erstattet bekommen. Diese könnten durch eine Klima-Umlage refinanziert werden, die auf die Endprodukte aufgeschlagen würde. Bessere Abschreibungsmöglichkeiten für Investitionen in CO2-freie Industrieprozesse, mehr steuerliche Forschungsförderung für Unternehmen – das sind weitere Bausteine des Wirtschaftskonzepts. Doch die Grünen setzen auch auf Ordnungspolitik: So bekräftigen sie die Forderung, dass ab 2030 nur noch emissionsfreie Autos neu zugelassen werden sollen. Um Absatzmärkte für die Unternehmen zu schaffen sollen zugleich verbindliche Quoten für Elektroautos vorgeschrieben werden. Auch der Umbau der energieintensiven Unternehmen ließe sich über ansteigende Quoten etwa für klimaneutralen Stahl in Autos, Windrädern oder Gebäuden planungssicher gestalten, heißt es weiter. Mit Blick auf die weltweiten Überkapazitäten hätten die Unternehmen so auch einen Wettbewerbsvorteil auf dem europäischen Markt.

Die Grünen sprechen sich außerdem für einen neuen Wohlstandsbegriff aus. Anstelle des Bruttoinlandsprodukts (BIP) soll ein neuer Indikator treten, der die Leistungskraft einer Volkswirtschaft misst. Dieser soll nicht nur das Wirtschaftswachstum berücksichtigen, sondern auch „ökologische, soziale und gesellschaftliche Entwicklungen“ – von der unbezahlten Sorgearbeit bis zur Förderung der Artenvielfalt. Das bisherige BIP sei „blind“ für die sozialen und ökologischen Folgen des Wirtschaftens, heißt es zur Begründung.

In der Arbeitsmarktpolitik will die Grünen-Führung die Partei ein bisschen weiter nach links rücken. Schon vor drei Jahren hatte ein Parteitag die Abschaffung der Hartz IV-Sanktionen gefordert. Nun wirbt die Parteispitze für eine Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns von derzeit 9,19 auf zwölf Euro – als „Sofortmaßnahme“ zur Armutsbekämpfung. Doch dagegen regt sich Widerspruch. Eine politische Festlegung des Mindestlohnes untergrabe die Entscheidungshoheit der Mindestlohnkommission und damit auch der Tarifpartner, argumentiert Markus Kurth, sozialpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag. Gewerkschaften und Arbeitgeber waren von der Politik beauftragt worden, gemeinsam mit Wissenschaftlern die Höhe des Mindestlohns festzulegen. Kurth fürchtet außerdem, dass bei einem Mindestlohn von zwölf Euro ein „Kipppunkt“ überschritten werden könnte, der zum Abbau von Arbeitsplätzen führen könnte. Welche Linie sich durchsetzt, darüber muss am Ende der Parteitag entscheiden.

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