EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos im Interview: "Die EU hat die höchsten Standards"
Der Rumäne will die deutschen Bauern dazu bringen, sich mehr um die Umwelt zu kümmern. Den Bio-Landbau will Ciolos ankurbeln und Missbrauch mit strengeren Regeln verhindern. Und auch Hormon- und Klonfleisch aus den USA haben in Europa nichts zu suchen, meint der Kommissar.
Herr Ciolos, Sie wollten mit Ihrer Agrarreform die Landwirtschaft grüner machen. Hat das geklappt?
Ja. Wir haben es geschafft, in ganz Europa die Zahlung von direkten Hilfen an die Bauern an das Greening, also die Pflege von Naturflächen, zu knüpfen. Das ist schon ein Systemwechsel. Vorher war es bei der Agrarpolitik vor allem darum gegangen, sicher zu stellen, dass genug Nahrungsmittel produziert werden, jetzt steht der Schutz der Umwelt im Vordergrund.
Aber Sie mussten Abstriche machen. Statt sieben Prozent müssen die Bauern jetzt nur fünf Prozent ihrer Flächen als ökologische Vorrangfläche nutzen. Und Agrarminister Hans-Peter Friedrich will auf dieser Schutzfläche sogar Pestizide erlauben. Hat die Agrarlobby doch wieder gesiegt?
Am Anfang wollten wir schon mehr, das stimmt. Aber ich bin sicher, dass dieser Prozess weiter geht.
Wo wollen Sie hin? Sollen nach der nächsten Agrarreform im Jahr 2020 dann zehn oder gar 20 Prozent der Agrarflächen der Natur überlassen bleiben?
Wir haben jetzt schon in der EU einen Anteil von drei Prozent Grünland, bis 2017 soll der auf fünf Prozent steigen, dann auf sieben. Wichtig ist aber nicht, wie viel Prozent es sind, wichtig ist der Geist, der dahinter steckt. Wenn Bauern verstehen, dass sie sich um die Umwelt kümmern müssen und um die Artenvielfalt, nicht weil sie es müssen, sondern weil es ihnen etwas bringt und weil es ihr Ansehen in der Gesellschaft verbessert, dann ist das wertvoller, als ein Prozent mehr oder weniger herauszuverhandeln.
Die deutschen Bauern waren gegen das Greening. Sie sagen, wir können in Deutschland keine Flächen verplempern. Sind die Deutschen besonders stur?
Das ist schon paradox. Deutschland ist technologisch eines der meist entwickelten Länder der Welt und hat eine der modernsten und wettbewerbsfähigsten Landwirtschaften. Auf der anderen Seite sind die deutschen Verbraucher und Steuerzahler sehr kritisch und sehr fortschrittlich, was ihre Erwartungen an die Landwirtschaft angeht. Sie wollen eine saubere, grüne Umwelt. Die Zukunft der europäischen Landwirtschaft liegt darin, gutes, günstiges Essen zu produzieren, ohne die Umwelt zu belasten. Man darf nicht das eine für das andere opfern. Und es ist an uns, den Weg dahin zu finden.
Naturschützer werfen der Massentierhaltung vor, das Grundwasser und den Boden zu verschmutzen. Zu Recht?
Nein, das kann man so pauschal nicht sagen. Die Standards in Europa sind viel höher als in den USA, in Lateinamerika oder China. Wir haben hohe Anforderungen an den Umweltschutz. Aber wir haben auch eine sehr intensive Landwirtschaft, weil die Flächen begrenzt sind. Deshalb haben wir uns in Brüssel ja so sehr für das Greening stark gemacht. Ich glaube, mehr als die Hälfte unserer Bauern erfüllt die Voraussetzungen heute schon.
"Hormonfleisch wird nicht kommen. Darauf können Sie sich verlassen"
In den USA sind Klonfleisch, hormonbehandeltes Rindfleisch und gentechnisch verändertes Getreide erlaubt. Müssen wir damit rechnen, dass diese Produkte auch zu uns kommen, wenn das transatlantische Freihandelsabkommen unter Dach und Fach ist?
Nein. Präsident Barroso hat zu Beginn der Verhandlungen ganz klar gemacht, dass Hormonfleisch, Klonfleisch oder gentechnisch veränderte Lebensmittel nicht verhandelbar sind. Das gilt. Darauf können Sie sich verlassen.
In Deutschland gibt es eine große Nachfrage nach Bio-Lebensmitteln. Unsere Ökolandwirte können diese nicht befriedigen, Deutschland importiert Bio-Produkte. Brauchen wir mehr ökologische Anbauflächen in der EU?
Wir möchten die Umstellung von konventioneller auf Öko-Landwirtschaft stimulieren. Die Agrarreform sieht finanzielle Hilfen vor, die die Mitgliedsstaaten abrufen können. Aber wir legen großen Wert darauf, dass Bio wirklich bio ist. Wir wollen die Maßstäbe nicht aufweichen. Der Erfolg von Bio-Lebensmitteln liegt nicht zuletzt daran, dass sich die Verbraucher auf das Öko-Logo verlassen können. Wir wollen die Standards eher noch verschärfen. Wir haben derzeit zu viele Ausnahmen, wir wollen transparenter und klarer werden.
Gibt es zu viel Missbrauch im Bio-Bereich?
Ja, die Nachfrage ist riesig. Das zieht natürlich auch solche Unternehmer an, die vor allem auf Geld schauen. Wenn die Verbraucher das Vertrauen in das Bio-Siegel verlieren, verlieren alle.
In Europa gibt es riesige Unterschiede zwischen den Ländern. Ein deutscher Bauer bekommt derzeit rund 300 Euro pro Hektar als Direktzahlung von der EU, im Baltikum sind es nur 60 Euro. Wie kann man angesichts solcher Unterschiede eine gemeinsame Agrarpolitik machen?
Wir haben die Zahlungen von der Produktion entkoppelt. Das war ein guter Schritt, weil die Bauern vorher nur das angebaut hatten, was die höchsten Prämie gebracht hat. Die Höhe der Direktzahlungen hat sich aber an dem orientiert, was früher gezahlt worden ist. Daher kommen die großen Unterschiede. Wir haben die Direktzahlungen jetzt neu verhandelt mit dem Ziel, die großen Unterschiede innerhalb der EU, aber auch innerhalb der einzelnen Länder zu beseitigen. Es gibt jetzt eine Untergrenze: Kein Landwirt in der EU bekommt weniger als 195 Euro pro Hektar.
Die EU zahlt in den nächsten sieben Jahren 375 Milliarden Euro an die Landwirte. Warum? Können die Bauern nicht auf eigenen Beinen stehen?
Wir haben die höchsten Sicherheits-, Qualitäts-und Umweltschutzstandards. Deshalb ist die Produktion in der EU teurer als in anderen Teilen der Welt. Wir haben die Wahl: Wollen wir in der EU nur solche Produkte anbauen, mit denen unsere Bauern auf dem Weltmarkt konkurrieren können oder wollen wir, dass es in allen EU-Ländern Bauern gibt, die sich auch um die Umwelt kümmern? Oder nehmen Sie den Tierschutz, der doch gerade auch bei Ihnen so groß geschrieben wird. Wir versuchen, diese Regeln auch in anderen Ländern außerhalb Europas durchzusetzen. Wir wollen nicht, dass unsere Bauern weniger machen, wir wollen, dass die Farmer außerhalb der EU mehr machen. Aber das kostet Geld!
Wollen Sie notfalls europäische Produkte subventionieren, damit sie auf den Weltmärkten eine Chance haben?
Nein. Wir haben den Landwirten früher Exporterstattungen gezahlt, um die höheren europäischen Produktionskosten auszugleichen. 1991 waren es zehn Milliarden Euro. Wir haben dafür viele Prügel einstecken müssen, vor allem aus Afrika, weil wir mit unseren künstlich niedrigen Preisen die Landwirtschaft in den Entwicklungs- und Schwellenländern behindert haben. Wir haben unsere Exporterstattungen daher praktisch auf Null gefahren, aber wir haben das Instrument nicht ganz gestrichen. In Krisenzeiten - etwa wenn der Milchpreis abstürzt - können wir noch Exportsubventionen zahlen, in begrenztem Umfang, für begrenzte Zeit. Aber davon möchte ich eine Ausnahme machen. Ich möchte Exportsubventionen für Afrika komplett und für alle Zeiten streichen, auch in Krisenzeiten. Das ist eine Art Entwicklungshilfe. Und das hat es so bisher nicht gegeben.
Dacian Ciolos (44) war Landwirtschaftsminister in Rumänien. Seit 2010 ist er EU-Agrarkommissar und damit zuständig für einen der größten Etats im EU-Haushalt. Für den Landwirtschaftsbereich sind von 2014 bis 2020 rund 375 Milliarden Euro vorgesehen.
Alle Artikel zur Grünen Woche unter www.tagesspiegel.de/themen/gruene-woche/
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