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In wenigen Wochen geht die Spargelernte los.
© dpa/Peter Steffen

Coronakrise bringt Landwirte an ihre Grenzen: „Die Ernte ist in Gefahr“

Wegen geschlossener Grenzen fehlen Tausende Erntehelfer. Landwirtschaftsministerin Klöckner will, dass arbeitslose Gastronomen helfen. Kann das funktionieren?

Simon Klein macht sich Sorgen. In einer Woche sollte es eigentlich los gehen auf seinem Bauernhof mit der ersten Ernte des Jahres. Insgesamt 150 Hektar Land nahe der nordrhein-westfälischen Stadt Dormagen bewirtschaftet Klein, 90 Hektar mit Gemüse. Im Frühjahr wird hier Rhabarber geerntet und es werden Kürbissamen für den Herbst gesetzt. Alles in Handarbeit.

Doch daraus wird nun nichts – weil dem Bauern wegen der Corona-Krise die Erntehelfer fehlen. Rund 80 Laute braucht Klein, um die Rhabarber-Ernte zu stemmen. Doch bislang haben nur 20 Arbeiter fest zugesagt. Die meisten Saisonkräfte aus Bulgarien, Rumänien oder Polen, die hier sonst auf den Äckern schuften, bleiben seit dem Ausbruch der Pandemie lieber zu Hause – auch, weil Europas Regierungen die Grenzen zunehmend dicht machen. Für Klein bedeutet das: „Die Ernte ist in Gefahr.“

Wie ihm geht es gerade vielen Bauern in Deutschland. „Ich kann sehr gut verstehen, dass die Landwirte sich Sorgen wegen der Ausbreitung des Coronavirus machen und vor den Konsequenzen für ihre Betriebe Befürchtungen haben“, sagt Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU).

[Aktuelle Entwicklungen zur Coronavirus-Pandemie können Sie hier verfolgen.]

Julia Klöckner (CDU), Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft.
Julia Klöckner (CDU), Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft.
© dpa

Grundversorgung bleibt bestehen

Auch Klöckners Parteifreund Albert Stegemann, agrarpolitischer Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, bekommt in diesen Tagen viele besorgte Anrufe und Zuschriften von Landwirten, wie er sagt. Nachdem immer mehr Restaurants wegen des Virus schließen müssen, treffe die Krise als nächstes die Obst- und Gemüsebauern – nicht nur, weil sie bald deutlich weniger Produkte absetzen werden, sondern auch weil ihnen die Arbeiter fehlen, um rasch verderbliche Produkte wie Erdbeeren oder Spargel vor dem Verfall zu retten.

„In vier bis fünf Wochen geht die Spargelernte los“, sagt Stegemann. „Ich wünsche mir von der Bundesregierung, dass sie möglichst bald Klarheit schafft, wie es in der Landwirtschaft weitergeht.“ Klöckner will sich deshalb mit Verbandsvertretern austauschen, über staatliche Hilfe für die Bauern reden – vor allem für jene, die an dem Coronavirus erkranken. „Das, was für Selbständige und Angestellte grundsätzlich gilt, gilt auch für die Landwirtschaft“, sagt die Ministerin. Auch sollen bürokratische Hürden gesenkt werden.

Stegemann fordert direkte Wirtschaftshilfen für die Bauern: „Ich stimme dem Wirtschaftsminister Altmaier zu, dass die Corona-Krise niemanden in die Insolvenz treiben soll.“ Peter Altmaier (CDU) hatte kürzlich gesagt, dass „möglichst kein Unternehmen“ wegen der Corona-Krise pleite gehen dürfe. Stegmann sagt, das müsse auch für Landwirte gelten. „Viele Bauern werden künftig mehr als zinslose Darlehen brauchen, wir werden über direkte Geldzuwendungen reden müssen."

Die Versorgung der Bevölkerung mit Grundnahrungsmitteln wie Kartoffeln oder Getreide ist zunächst nicht von der Agrar-Krise betroffen, betonen Fachleute übereinstimmend. Noch sind die Lebensmittellager voll. „Wir Bauern werden auch in Zeiten des Coronavirus weiter die Bevölkerung mit sicheren und hochwertigen Lebensmitteln versorgen können“, sagt Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbands.

Jede helfende Hand wird gebraucht

Doch, wenn die Landwirte nicht bald genügend Erntehelfer finden, dürfte es für einige schwierig werden, ihren Betrieb aufrecht zu erhalten. „Sollten die Grenzen für längere Zeit geschlossen bleiben, können wir erhebliche Probleme auf Grund fehlender Saisonarbeitskräfte und Erntehelfer bekommen, die wir dringend zur Unterstützung in der Landwirtschaft benötigen“, sagt Rukwied.

Es geht dabei nicht nur um die jetzige Ernte, sondern auch um die Saat für den Herbst, die im Gemüseanbau teils mit der Hand gemacht wird. „Man muss jetzt sehen, wie man Menschen dafür motiviert, auf dem Feld mit zu arbeiten, beispielsweise bei der Erdbeer- und Rhabarberernte“, sagt der Grünen-Landwirtschaftspolitiker Friedrich Ostendorff, der selbst einen Bio-Bauernhof betreibt. „Zurzeit wird auf den Höfen jede helfende Hand gebraucht.“

Klöckner schlägt vor, dass die vielen Gastronomen, die bald ohne Beschäftigung dastehen werden, den Landwirten unter die Arme greifen. „Ob diejenigen Mitarbeiter, die in der Gastronomie leider immer weniger zu tun haben, in der Landwirtschaft einspringen können und möchten – auch so etwas müssen wir überlegen“, sagt sie. Der CDU-Politiker Stegemann hält wenig von der Idee. „Das hat mit der Realität in landwirtschaftlichen Betrieben nichts zu tun“, sagt er. „Wir können auf die Saisonarbeiter und ihre Erfahrung ganz schlecht verzichten.“

300.000 ausländische Erntehelfer pro Jahr

Tatsächlich dürfte es schwierig werden, überhaupt Menschen aus dem Inland zur Arbeit auf den Feldern zu bewegen – seit Jahren gibt es kaum Deutsche, die sich für die anstrengende Tätigkeit melden. Stattdessen schuften nach Angaben des Bauernverbands rund 300.000 ausländische Saisonarbeiter jedes Jahr auf deutschen Äckern und stellen deren Bewirtschaftung sicher. Auch sie leiden jetzt unter der Krise. „Wir unterschätzen auch, wie hart diese Arbeit ist: acht Stunden in gebückter Haltung zu arbeiten. Wer will das unter einem Stundenlohn von 13 bis 14 Euro machen?“, sagt der SPD-Bundestagsabgeordnete Rainer Spiering, agrarpolitischer Sprecher seine Fraktion.

Für ihn offenbart der aktuelle Mangel an Erntehelfern aus Osteuropa ein grundsätzliches Problem in der heutigen Landwirtschaft – und darüber hinaus. „Rund eine halbe Million Billigarbeiter aus dem Ausland haben wir in Deutschland“, sagt er. „Wenn die ausbleiben, zeigt sich das gesamte Problem dieses Systems.“ Auch darüber werde im Nachgang der Corona-Krise zu sprechen sein.

In der Krise zeige sich zugleich der Wert der konventionellen Landwirtschaft, also der maschinellen Bewirtschaftung größer Flächen jenseits des Bio-Trends, sagt Spiering. Denn diese Art des Ackerbaus gewährleiste die Grundversorgung mit wichtigen Nahrungsmitteln wie Kartoffeln und Getreide. Die konventionelle Landwirtschaft komme mit „relativ wenigen Arbeitskräften aus“, sagt der SPD-Politiker. „Vor allem in der jetzigen Krise ist das ein entscheidender Vorteil.“

Für den Obstbauern Klein ist das alles allerdings keine Option. Rhabarber lässt sich nur per Hand ernten, ebenso gibt es keine Maschinen, die Kürbissamen ausbringen können. Drei Monate Saison stehen vor Klein und seiner Familie. „Wir haben Angst“, sagt er. Ob sein Betrieb die Krise übersteht? Inzwischen hat er per Facebook einen Aufruf gestartet, um doch noch ein paar Erntehelfer zu gewinnen. In einer Woche, beim Start der Rhabarber-Ernte, wird sich zeigen, ob auch genügend kommen.

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