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Ciarán O’Leary ist im Juli 1980 in Irland geboren. In Berlin betreut er unter anderem die Start-ups Crowdpark und Madvertise.
© Paul Zinken

Venture-Capitalist O’Leary: "Die besten Unternehmen kommen aus Berlin"

Earlybird investiert in junge Unternehmen in Europa. Ciarán O’Leary ist einer der Partner. Mit dem Tagesspiegel spricht er über Berlins Chancen, ein europäisches Silicon Valley zu werden.

Earlybird ist einer der größten Risikokapitalgeber in Deutschland. Die Venture-Capital-Gesellschaft (VC) verwaltet in ihren Fonds insgesamt 430 Millionen Euro für 20 institutionelle Anleger. Das Geld investiert Earlybird in junge vor allem technologieorientierte Unternehmen in Europa. Derzeit hat die Gesellschaft, die ihren Sitz gerade von Hamburg nach Berlin verlegt, 16 Unternehmen in ihrem Portfolio, sechs davon aus Berlin. Einer der Partner, die die Investitionsentscheidungen treffen, ist der 31-Jährige Ciarán O’Leary.

Herr O’Leary, willkommen in Berlin.

Danke.
Haben Sie sich schon eingelebt?

Früher dachte ich: Berlin ist eine tolle Stadt für ein Wochenende, aber hier wohnen, das ist mir zu viel. Innerhalb von ein paar Tagen habe ich dann festgestellt: Berlin passt mir wahnsinnig gut.

Was gefällt Ihnen besonders?

Am meisten überzeugt mich die Lebendigkeit der Stadt, die Offenheit der Menschen – und natürlich das Nachtleben. Ich treffe abends Leute aus aller Welt – und es sind keine Touristen.

Aber Sie sind nicht wegen des Nachtlebens nach Berlin gekommen....

Nein. Wir haben beobachtet, dass die besten Unternehmer und die besten jungen Unternehmen fast alle aus Berlin kommen. Und Berlin fängt an, auch international die besten Leute anzuziehen – aus London, San Francisco, Stockholm oder Madrid. Etwas spießig ausgedrückt: Hier entsteht so etwas wie eine kritische Masse. Da mussten wir uns fragen, ob wir ab und zu mal hinfliegen, ein Abendessen spendieren und versuchen, uns ein wenig in die Szene einzuschleimen, oder ob wir integraler Bestandteil sein wollen.

Wie viele Leuten werden Sie in Berlin sein?

Es werden etwa 15 sein. Zusätzlich werden wir ein kleines Team in München behalten. Wenn man mit Großunternehmen Geschäfte machen will, ist München super, weil die Unternehmen alle dort sind. Das gleiche gilt für den Cleantech- Bereich, also neue Umwelttechnologien. Da ist München wegen der Unis sehr weit vorn. Das Büro in Hamburg schließen wir.

Was spricht für Berlin?

Berlin ist eine Stadt, in der Veränderungen ein Teil der DNA sind. Und Unternehmer sind Menschen, die radikal verändern. Sie suchen ein Umfeld, in dem Veränderungen akzeptiert und gefördert werden. Außerdem ist Berlin eine Stadt, die außer für Kreativität und Freiheit im Moment für gar nichts steht. Jeder, der hierher kommt, hat die Chance, die Stadt mitzugestalten. Hier gibt es keine eingefahrenen Strukturen. Deshalb zieht Berlin auch nicht nur einen Typus Mensch an, sondern viele verschiedene. Ein Programmierer trifft hier abends beim Bier auf einen Künstler. Dabei kommen ganz coole und verrückte Sachen heraus. Und es sind gerade die coolen, verrückten Sachen, die am meisten Erfolg haben.

Was genau ist Ihr Job dabei?

Wir suchen nicht so sehr gute Ideen, sondern vor allem richtig gute Unternehmer. Starke Persönlichkeiten, die – etwas romantisch gesagt –, die Welt verändern wollen. Wenn die Idee dann noch passt, helfen wir dabei, aus der Idee ein richtig großes Unternehmen zu machen.

Wie viel investieren Sie?

Zwischen 250 000 und 15 Millionen Euro je nachdem in welcher Phase sich ein Unternehmen befindet. Aber wir helfen vor allem auch mit unserem Know- how. Inzwischen haben wir bei mehr als 80 Investitionen viel Erfahrung gesammelt. Das ist für junge Unternehmer fast noch wichtiger als das Geld.

"Die meisten Start-ups werden kein Erfolg"

Finanzinvestoren haben in Deutschland keinen guten Ruf.

Sogar einen ganz schlechten. Dabei sind wir so ziemlich das genaue Gegenteil von einer Heuschrecke. Wir quälen keine Unternehmen und bürden ihnen keine Schulden auf. Wir geben vielmehr frisches Geld, das ausschließlich für die Einstellung von Mitarbeitern und die Entwicklung von Technologien verwendet wird. Dafür bekommen wir Anteile am Unternehmen, in der Regel aber nur um die 20 Prozent. Wir machen auch mal Fehler, aber wir entsprechen nicht dem negativen Bild, das viele Menschen von uns haben.

Welche Fehler machen Sie?

Im Start-up-Bereich werden die meisten Unternehmen kein Erfolg. Das ist leider so. 20 bis 30 Prozent gehen Pleite. 50 Prozent laufen so einigermaßen und 20 bis 30 Prozent werden richtig gut – mit großem Börsengang und vielen tausend Mitarbeitern. Zu unserem Job gehört es auch, möglichst schnell zu identifizieren, was nicht läuft.

Nehmen Sie Ihr Geld wieder raus oder ist es dann verloren?

In 20 bis 30 Prozent der Fälle ist es weg. Das ist für uns auch deshalb bitter, weil wir eng mit den Gründern zusammenarbeiten. Emotional ist das sehr belastend. Unser Job ist wie eine Achterbahnfahrt.

Bekommt jemand, der mit einer Idee gescheitert ist, bei Ihnen je wieder Geld?

Oh ja. Leute, die schon zwei, drei Sachen ausprobiert haben, besitzen einen viel besseren Erfahrungsschatz. Durch das Scheitern lernt man meist mehr, als durch den Erfolg. Das gilt natürlich nicht, wenn jemand 20 Firmen gründet und 20 mal scheitert, da passt dann wohl etwas nicht. Aber wir müssen lernen, das Scheitern zu akzeptieren und es als Pluspunkt zu werten.

Welche Unternehmen hat Earlybird gemacht?

Zum Beispiel Interhyp, die mittlerweile mehr Immobilienkredite vermitteln als die Deutsche Bank. In der Spitze war Interhyp mit 800 Millionen Euro bewertet. Oder auch Tip24, die erste nicht- staatlich Lotterie. Tip 24 hat im vergangenen Jahr 50 Millionen Euro verdient. Wir versuchen Unternehmen zu bauen, die auf absehbare Zeit wesentliche Treiber in ihren Branchen sind. In unserem jetzigen Fonds sind die meisten Unternehmen zwischen zwei und vier Jahren alt. Die nächsten Börsengänge und Verkäufe werden wir wahrscheinlich erst in den kommenden ein bis zwei Jahren sehen.

Wie lange bleiben Sie in einem Unternehmen?

In der Regel reicht unser Atem fünf bis sieben Jahre. Aber wenn jemand vorher einen attraktiven Preis bietet, sagen wir nicht nein.

Wer gibt sein Geld in Ihre Fonds?

Wir als Team zeichnen natürlich einen Anteil, etwa zwei bis drei Prozent, damit wir bis über die Halskrause motiviert sind. Die übrigen Investoren kommen aus dem Ausland, wie zum Beispiel die Osaka Gas Company oder die Abu Dhabi Investment Authority. In Deutschland gibt es einige vermögende Privatpersonen und Familien. Es ist aber leider so, dass Venture Capital als Anlageprodukt in Deutschland noch nicht so recht angekommen ist. Viele erinnern sich an die geplatzte Blase der New Economy und denken, damit kann man doch nur Geld verlieren.

Wie viel Geld muss man anlegen?

Es soll nicht arrogant klingen, aber wegen des Verwaltungsaufwands lohnt es sich für uns nicht, hier und da ein paar tausend Euro einzusammeln. Ab fünf Millionen Euro ist man dabei. Wir wollen maximal 20 Anleger haben, zu denen wir dann ein enges Verhältnis pflegen. Die einzelnen Fonds haben ein Volumen zwischen 100 und 150 Millionen Euro. Wir glauben, dass dies für Deutschland die richtige Größenordnung ist, um eine vernünftige Rendite zu erzielen. Wenn man zu viel Geld hat, ist man versucht, es unter die Leute zu bringen. Das ist meist Mist.

Wie viel Rendite machen Sie?

Unsere Fonds laufen zehn Jahre. Zuerst sammeln wir das Geld ein, dann gibt es, wie gesagt, einige Ausfälle. Nach drei bis vier Jahren kommen die ersten Erlöse. Wenn man bei uns anlegt, kann man in der Regel sein Geld verdrei- bis verfünffachen. Alle unsere historischen Fonds lagen unter den besten 20 Prozent ihrer Anlageklasse in Europa. Wenn man das nicht schafft, hat man auch keine Chance. Das ist ein ziemlich gnadenloses Geschäft.

Wie finden Sie die Unternehmen, in die Sie investieren?

Die ersten Unternehmer treffe ich meist schon um 8.30 Uhr zum Frühstück, mein Tag endet oft gegen Mitternacht bei einem Bier mit anderen Unternehmern. Wir gehen aktiv hinaus, um die richtigen Leute zu finden.

Wer entscheidet über ein Investment?

Das machen wir im Team.

Ihre Investoren fragen Sie nicht?

Nein, dann könnten wir nicht schnell genug entscheiden.

Wann kommt der nächste Fonds?

Sehr bald. Mehr können wir dazu nicht sagen.

Was Berlin zum Silicon Valley fehlt

Hat die Schuldenkrise eine Auswirkung auf Ihr Geschäft?

Es bereitet uns schon Kopfzerbrechen, wenn ein japanischer Investor sein Geld lieber nicht in den Euro-Raum stecken will. Aber das Problem trifft uns weit weniger als klassische Fonds.

Viele sehen in Berlin das neue Silicon Valley. Zu recht?

Davon sind wir noch relativ weit entfernt. Aber wenn ich auf das Entwicklungspotenzial schaue, ist das extrem vielversprechend. Deswegen denke ich, dass Berlin in wenigen Jahren eines der führenden Start-up-Zentren sein wird. Es gibt keinen anderen Platz weltweit, wo ich so viel gebündelte Kreativität und Freiraum finde. Das größte Qualitätssiegel ist für mich, dass wir nicht nur die besten deutschen Unternehmer anziehen, sondern die besten aus der ganzen Welt.

Was fehlt noch zum Erfolg?

Wir sind bis jetzt der einzige große VC in Berlin. Es sollten deutlich mehr sein. Deutschland würde eine Anzahl von 15 bis 20 verkraften. Es gibt aber nicht einmal eine Handvoll. Offenbar müssen wir besser erklären, was wir machen, damit die Politik das auch versteht. Wir haben in Deutschland die absurde Situation, dass jemand, der in einen Altbau investiert, steuerlich besser behandelt wird, als jemand, der sein Geld in einen Fonds steckt durch den tausende Arbeitsplätze entstehen.

Woran liegt es, dass Firmen wie Apple, Google oder Facebook alle im Silicon Valley sitzen und keiner der richtig großen Spieler aus Europa kommt?

Facebook-Gründer Mark Zuckerberg hat gerade gesagt, wenn er noch einmal gründen würde, würde er es in Boston tun.

Warum?

Weil die Welt sich verändert hat. Die Strukturen im Valley sind über mehr als 40 Jahre entstanden. Tausende innovative und technikaffine Menschen, die auch Unternehmergeist hatten, haben in einem kleinen Tal zusammengesessen. Ausgangspunkt waren die Universitäten und die dortige Halbleiterindustrie. Früher musste ein Start-up viel in Technik und Software investieren. Heute kann ich aus Riga heraus für ganz wenig Geld ein Produkt bauen, das weltweit relevant ist. Die Welt ist eine Internet-Welt geworden und ich kann überall gründen. Als Unternehmer muss ich mich nur fragen: Wo bekomme ich die besten Leute, wo finde ich Menschen, mit denen ich mich austauschen kann, und wo gibt es Geld? Bei eins und zwei ist Berlin schon sehr weit. Bei drei sind wir noch Regionalliga.

Und warum haben wir noch keinen Mark Zuckerberg in Berlin?

Ich glaube, dass die kommenden Zuckerbergs gerade in Berlin über die Straßen laufen und ihr Unternehmen schon gegründet haben. In drei, vier Jahren werden wir sie erkennen. Wir stehen noch am Anfang. Aber wir werden bestimmt keine 40 Jahre brauchen, um so etwas wie im Valley aufzubauen.

Aus welchem Bereich wird das nächste große Ding kommen?
Eines der überragenden Themen sind Smartphones und damit die Tatsache, dass wir Hochleistungsrechner mit Internetanschluss in unserer Hosentasche tragen. Das ist eine gigantische Plattform für Innovationen. Die meisten Start-ups folgen heute der Devise: mobile first, entwickeln also zuerst Anwendungen für das mobile Internet.

Und wo liegen die Stärken Berlins?

Berlin ist urban und international, hier werden Trends gesetzt. Die neueste Sonnenbrille aus Mitte taucht irgendwann in San Francisco aus – und nicht umgekehrt. Deswegen glaube ich, dass Berlin besonders stark sein wird in Produkten für Konsumenten in einem urbanen Umfeld.

Muss man als Gründer eine ganz besondere Persönlichkeit haben?

Ja. Man muss ein wahnsinniges Energieniveau haben, sehr zielstrebig sein aber nicht verbohrt. Denn bei jedem Start-up kommt man zu einem Punkt, wo man sieht: Verdammt, so funktioniert das nicht. Das allerwichtigste ist aber, dass man auch andere begeistern kann. Die besten Unternehmer sind die, die total auf ihr Produkt versessen sind.

Das Gespräch führte Corinna Visser

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