EZB im Umbruch: Die Bank als Baustelle
Der Italiener Draghi übernimmt den Chefposten bei der EZB in einer schwierigen Phase. Er verspricht Stabilität.
Natürlich, Mario Draghi ist Italiener. Doch für viele Italiener ist Draghi ein Preuße – seiner Strenge und seiner Arbeitswut wegen. Andere halten ihn für „very british“, mit einem Tick Snobismus, was seine Diskretion, sein Understatement und seine „splendid isolation“ gegen politische Übergriffe angeht. Kurzum: Wenn ein Europäer an die Spitze der EZB gelangen konnte, dann Mario Draghi. Aber was findet er vor im Frankfurter Eurotower?
Bis zum Frühjahr 2010 gab es kaum Kritik an der EZB. Der erste Präsident, der Niederländer Wim Duisenberg, der die Bank von 1999 bis Oktober 2003 führte, hatte zwei schwierige Phasen zu meistern: Anfang des Jahrzehnts, als der Euro zeitweise weniger als 0,90 US-Dollar wert war, und nach den Terroranschlägen in den USA am 11. September 2001, als die EZB in enger Absprache mit den anderen großen Notenbanken mit Sonderkrediten den Zusammenbruch der Finanz- und Bankenmärkte verhindern musste. Auch 2008 bewies die EZB, dass sie mit Krisen umgehen kann. Sie half den Banken mit großzügigen, langfristigen Refinanzierungsgeschäften wieder auf die Beine zu kommen. Auf der Habenseite der Zentralbank steht auch die Preisstabilität. In der gesamten Euro-Zone lag die Inflationsrate bislang im Schnitt pro Jahr bei zwei Prozent, in Deutschland sogar nur bei 1,5 Prozent und damit niedriger als zu D-Mark-Zeiten. Auch der Euro selbst gilt als stabil und ist mittlerweile nach dem Dollar die weltweit wichtigste Währung.
Doch seit Mai 2010 steht die Notenbank in der Kritik. Damals begann sie mit dem Aufkauf von Staatsanleihen des überschuldeten Griechenland. Wenige Monate zuvor hatte EZB-Chef Trichet solche Maßnahmen noch ausgeschlossen. Denn der EZB ist die Finanzierung von Staaten untersagt, um die Unabhängigkeit der Bank nicht zu gefährden. Trichet und die Mehrheit im EZB-Rat sahen aber keinen anderen Weg, um gravierende Auswirkungen der Staatsschuldenkrise zu verhindern. Mittlerweile hat die EZB Anleihen der Krisenstaaten Griechenland, Irland, Portugal und Italien im Volumen von fast 170 Milliarden Euro in ihren Büchern. Aus Protest gegen diese Politik ist Bundesbank-Präsident Axel Weber im April zurückgetreten und verzichtete auf eine Kandidatur für den Chefsessel der EZB. So kam Mario Draghi zum Zuge.
Geboren 1947 in Rom, hat Draghi im Jesuitengymnasium die ersten nützlichen Freundschaften mit (später) wichtigen Männern Italiens geschlossen – Draghi wusste früh, wohin er wollte. In seiner Diplomarbeit über Wirtschaftliche Zusammenarbeit, für die er beim römischen Keynesianer Federico Caffè 1970 die Bestnote bekam, schrieb Draghi, eine Einheitswährung wäre ein „absolut zu vermeidender Wahnsinn“. Später bemerkte er lächelnd: „Je älter ich werde, desto mehr stelle ich fest, dass sich nichts so sehr wandelt wie die Vergangenheit.“
Draghi geht an die Uni in Cambridge, promoviert 1976 beim Nobelpreisträger Franco Modigliani am Massachusetts Institute of Technology (MIT), wird in Italiens „Bleiernen Zeiten“ Professor in Trient, Padua, Florenz. Fünf Jahre vertritt Professor Draghi als „Exekutivdirektor“ sein Land bei der Weltbank, zehn Jahre und sieben Minister lang ist er Generaldirektor im Finanzministerium, dann dessen Chefverhandler für den Maastricht-Vertrag.
1992, als Italien im Zentrum internationaler Spekulationsattacken und vor dem Bankrott steht, ist es in vorderster Linie Draghi, der sein Land stabilisiert: mit gewaltigen Privatisierungen, mit jener Umstrukturierung der Staatsschulden auf tendenziell langfristige Titel, über die Italien heute heilfroh sein kann, mit der faktischen Einführung des Marktes in einem nach Partei- oder Interessenproporz parzellierten Italien. Den Markt kennt Draghi aus praktischer Erfahrung: 2002, als Minister Tremonti mit seiner „kreativen Finanzpolitik“ auftrumpfte, ging der Generaldirektor lieber zu Goldman Sachs nach London. Ende 2005 holte Rom ihn zurück. Die im Finanzklüngel verstrickte und diskreditierte Nationalbank brauchte einen, der aufräumte. Also Draghi. Still, gründlich, und immer einen Zacken schneller als andere. Seine politischen Mahnungen wollte in der Regierung keiner hören: Abbau von Staatsausgaben und -schulden, Förderung der „geopferten jungen Generation“, Wachstum „nach dem Beispiel Deutschlands“ verlangte Draghi. Erst als die Krise immer drängender wurde, ließ Silvio Berlusconi den Nationalbankchef häufiger als Ratgeber zu – nicht zuletzt, um selbst präsentabler dazustehen. Da wusste Berlusconi, dass Draghi zum Präsidenten der EZB werden würde.