Zinspolitik: Die Aufschieberitis der EZB muss ein Ende haben
Die niedrigen Zinsen haben die Wirtschaft vor einer langen Talfahrt bewahrt. Doch nun kann man die negativen Folgen nicht mehr ignorieren. Ein Kommentar.
In diesen Tagen wird in Politik und Wirtschaft viel über Aufschieberitis gesprochen. Denn was jeder Studierende noch vom Lernen vor Klausuren kennt, gilt auch für die Klimakrise, die Rentenreform – und für die Zinspolitik der Notenbanken: Je länger man es hinauszögert, desto schlimmer wird es am Ende.
Wobei die US-Notenbank Fed und ihr europäisches Pendant, die EZB, einen Unterschied für sich reklamieren können. Während aufgeschobene Maßnahmen bei Rente und Klima nur den Status Quo verlängern, können die Notenbanken behaupten, mit ihren niedrigen Zinsen verbesserten sie die aktuelle Situation. Schließlich gilt es als unbestritten, dass die Börsen und die Konjunktur ohne die Milliardenhilfen länger abgestürzt wären und die Krise zumindest wirtschaftlich noch sehr viel länger angedauert hätte.
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Doch langsam ist jeder Bogen überspannt. Wenn es soweit ist, dass so viel Geld in die Märkte gepumpt wurde, dass bestimmte Güter für Normalverdiener:innen nicht mehr erschwinglich sind, kann zumindest darüber diskutiert werden, ob das Ziel der Geldwertstabilität damit noch zufriedenstellend erreicht wurde. Schon jetzt ist es bemerkenswert, wie kongruent der Anstieg der Geldmenge mit dem Anstieg der Immobilienpreise verläuft.
Die niedrigen Zinsen halten also nicht nur die Wirtschaft flüssig; sie haben auch längst die Inflation in bestimmten Bereichen angekurbelt. Am Donnerstag tagt die EZB erneut. Natürlich: jede noch so kleine Anhebung der Zinsen würde die Märkte in Unruhe versetzen. Vielleicht sogar kurzzeitig abstürzen lassen.
Doch die Unwucht, die die niedrigen Zinsen verursacht haben, zu ignorieren, ist auch keine Lösung. Die Probleme wachsen – und inzwischen sind wir an dem Punkt angekommen, an dem es sie nur noch schlimmer macht, wenn man sie aufschiebt.