zum Hauptinhalt
Auf Tuchfühlung. Bundeskanzlerin Angela Merkel testet auf dem IT-Gipfel in Berlin einen elektronischen Handschuh.
© REUTERS

IT-Gipfel: Die Aufholjagd beginnt

Mehr Investitionen, bessere Netze, EU-weite Standards: Wie die Wirtschaft den Anschluss an die USA und China finden will.

Von

Vergeblich versucht die Frau, den eingebauten Scanner am Handschuh zu bedienen. Erst als ihr Kollege ihr den kleinen Knopf zeigt, den sie mit dem Daumen bedienen muss, klappt es. Wie wichtig die Weiterbildung und lebenslanges Lernen in Zeiten der Digitalisierung sind, erfuhr Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Donnerstag so buchstäblich am eigenen Leib – am Berlin-Stand auf dem Nationalen IT-Gipfel. Schon zuvor hatte ihr Kollege, Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD), angekündigt, dass Bildung einer der heißen Anwärter auf das Schwerpunktthema für den nächsten Gipfel im kommenden Jahr sei.

Grad der Digitalisierung: Deutschland nur noch auf Platz 6

„Aus dem IT-Gipfel ist ein Digital-Gipfel geworden“, betonte der Minister vor den rund 1000 Vertretern aus Politik und Wissenschaft, Unternehmen und Gewerkschaften, die in die Arena in Treptow gekommen waren, die gewachsene Bedeutung des Themas. Informationstechnologie erfasse inzwischen jeden Lebensbereich und jede Wirtschaftsbranche. Insofern sei der Ansatz, den Digitalisierungsprozess im Frühjahr neu auszurichten, durchaus gelungen. In vielen Punkten sei man aktuell weiter als man es damals für möglich gehalten habe. So präsentierten Unternehmen und Forschungseinrichtungen mehr als 200 konkrete Anwendungsbeispiele für Industrie 4.0 – also das Zusammenwachsen von IT und Industrie. Ursprünglich hatten Wirtschaft und Politik 100 Projekte angepeilt. „Wir sind ein gutes Stück vorangekommen“, sagte Gabriel. Gleichzeitig machte er deutlich, dass die derzeitigen Bemühungen keinesfalls ausreichend seien. „Im internationalen Vergleich der führenden Industrienationen sind wir zurückgefallen.“ Tatsächlich zeigt eine vor wenigen Tagen veröffentlichte Studie im Auftrag des Wirtschaftsministeriums, dass Chinas Wirtschaft beim Grad der Digitalisierung inzwischen vorbeigezogen ist. Unter den zehn größten Industrienationen bedeutet das für Deutschland den sechsten Platz. Angesichts dessen forderte Gabriel ein höheres Tempo beim Netzausbau. Bereits heute müssten Politik und Wirtschaft das Ziel von der Gigabitgesellschaft ins Auge fassen. „Wir müssen jetzt mit der Debatte beginnen, um 2025 die beste Infrastruktur in Europa zu haben.“ Ein Seitenhieb auf Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU)? Dieser hatte einen Tag zuvor verkündet, die Bewerbungsphase für konkrete Projekte zum Ausbau des schnellen Internets habe begonnen. Von einem Gigabit – also 1000 Megabit – sind seine Ziele aber weit entfernt: Bis 2018 sollen Daten flächendeckend mit einer Geschwindigkeit von 50 Megabit pro Sekunde übertragen werden. Besonders in ländlichen Gebieten ist das bislang oft reine Utopie.

Berlin will Vorreiter bei neuen Technologien werden

In Berlin hingegen sind 50 Megabit nicht nur Alltag, sie sind für viele Firmen schon heute zu wenig. Mehr als 2000 meist technologielastige Start-ups gibt es. Damit tummelt sich rund ein Drittel der deutschen Gründer in der Bundeshauptstadt. Auch viele Großunternehmen haben ihre Innovationszentren hier eröffnet oder wollen dies demnächst tun – etwa Cisco, die Deutsche Telekom und SAP. Zudem sitzen viele digital ausgerichtete Forschungsinstitute in der Stadt. Damit das auch so bleibt, muss das Netz besser werden. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) kündigte unter anderem an, Berlin zum Vorreiter für den neuen Mobilfunkstandard 5G zu machen. „Wir wollen mehrere Testgebiete für 5G schaffen“, sagte Müller. Damit wären bis zu 20 Gigabit möglich – zum Start der Technologie halten Experten solche Bandbreiten allerdings nicht für realistisch. Für Technologien der Zukunft wie selbstfahrende Autos ist 5G aber unerlässlich.

Deutschland muss mehr investieren

Dass auch in anderen Bereichen der Wirtschaft digitale Ansätze immer wichtiger werden, machte EU-Digitalkommissar Günther Oettinger deutlich. „Wir brauchen auch im Handel grenzüberschreitende IT-Lösungen“, sagte er auf einem ebenfalls in Berlin abgehaltenen Branchentreffen des Einzelhandels. Er mahnte: „Kein Arbeitsplatz wird die nächsten zehn Jahre überleben ohne digitale Grundkompetenz.“ Deutschland sei auf einem Höhepunkt seiner Leistungskraft – „stärker waren wir nie und stärker werden wir auch nie mehr“. Umso entscheidender sei es, jetzt nicht den Anschluss zu verlieren. Deutschland investiere grundsätzlich zu wenig, nicht zuletzt in digitale Technologien. „Wir sollten nicht nur konsumieren.“

Einst sei nicht nur mit Nokia ein bedeutender Handy-Hersteller in Europa ansässig gewesen, auch Siemens und Bosch hätten Mobiltelefone hergestellt. „Heute werden in den USA Geräte entwickelt, die in China billig produziert und bei uns teuer verkauft werden. Die Daten fließen komplett zurück in die USA.“ Die Wertschöpfung in Deutschland sei, wenn man von den 8,50 Euro Mindestlohn im Telekom-Shop absehe, „gleich null“.

Datenschutz bremst Entwicklung

Amerika sei Europa in der Digitalisierung überlegen – und dabei, daraus eine gesamtwirtschaftliche Überlegenheit zu schaffen. Die Chinesen eiferten den Amerikanern nach. Kanzlerin Merkel sagte im Rahmen des Handelskongresses, Deutschland stehe gut da – „aber Reisen nach Asien und in die USA zeigen, dass andere auch nicht schlafen.“ Als einer der Hauptgründe für die Stärke der US-Konzerne nennen Experten immer wieder die niedrigere Schwelle beim Datenschutz. Unternehmen wie Google oder Amazon verdienen deshalb gut, weil sie viel über ihre Kunden wissen, dieses Wissen in präzise Produktempfehlungen ummünzen oder verkaufen.

Um deutschen Verbrauchern einen Überblick zu verschaffen, welche Daten Unternehmen nutzen, hat eine Arbeitsgruppe des IT-Gipfels einen Vorschlag erarbeitet. Der Verbraucherzentrale Bundesverband begrüßte die Vorlage. „Der Einseiter mit den wichtigsten Datenschutzhinweisen auf einen Blick muss jetzt schnell in die Praxis umgesetzt werden“, verlangte die für Digitales zuständige Referentin Carola Elberecht.

Zur Startseite