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Seit 18 Jahren Vorstandschef der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH): Ingo Kailuweit.
© picture alliance / dpa

Krankenkassenchef verlangt faire Finanzierung: "Die Arbeitgeber haben nichts von eingefrorenen Beiträgen"

Der Chef der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH), Ingo Kailuweit, fordert mehr Fairness bei der Kostenverteilung - und ein Ende des bisherigen Nebeneinanders von gesetzlicher und privater Krankenversicherung.

Herr Kailuweit, als Kassenchef ausgerechnet im September 2017 in Ruhestand zu gehen, ist ein ziemlich unglücklicher Zeitpunkt….

Warum? Nach der Bundestagwahl wird sich auch beim gesundheitspolitischen Personal einiges ändern. Und im Unternehmen sind wir gut aufgestellt.

Mit dem Einstieg in eine Bürgerversicherung könnte es zur größten Systemänderung der Nachkriegszeit kommen...

Beim bisherigen Nebeneinander von gesetzlicher und privater Krankenversicherung kann es nicht bleiben. Es wäre fatal, die Probleme weiter zu tabuisieren und nach keiner Lösung zu suchen. Ich befürworte es aber auch, dass die SPD inzwischen eine weniger radikale Form der Bürgerversicherung diskutiert. Alles andere würde Riesenprobleme schaffen.

Welche Probleme wären das denn?

Es würde das solidarische System überfordern, wenn die Privatkassen einfach geöffnet würden und alle Versicherten in gesetzliche Kassen wechseln dürften. Dann kämen erst mal vor allem solche, für die das Verhältnis zwischen Beitrag und Leistung in der Privaten Krankenversicherung nicht mehr stimmt. Sie würden hohe Ausgaben verursachen, die nicht durch Beiträge gedeckt wären. Und dafür ihre Altersrückstellungen übertragen zu bekommen, dürfte verfassungsrechtlich sehr problematisch werden.

Wie könnte eine Lösung aussehen?
Am Ende sollte es darauf hinauslaufen, dass alle gesetzlich abgesichert sind und auf Wunsch bei den Privaten weiter Leistungen wie Chefarztbehandlungen oder Einzelzimmer-Belegung dazukaufen können. Das geht aber nur stufenweise. Und dabei muss man auch die Privatversicherer mitnehmen. Es gibt ja durchaus Teile des gesetzlichen Leistungskatalogs, die man ihnen wieder zuführen könnte.

Auch die gesetzlichen Kassen haben große Probleme. Zum Beispiel steigt die Zahl der Beitragsschuldner immer stärker...

Das hängt mit der Versicherungspflicht zusammen, die unter Ulla Schmidt eingeführt wurde. Dabei wurde versäumt, sich um die Finanzierung zu kümmern. Wer seine Beiträge schuldig bleibt, hat zwar nur noch Anspruch auf eine Notversorgung, aber auch die muss bezahlt werden. Und zwar nicht länger aus den Beiträgen der anderen Kassenmitglieder wie heute, sondern aus Steuern.

Sie stehen seit 18 Jahren an der Spitze der KKH. Was war der größte Einschnitt?

Zweifellos der Risikostrukturausgleich - und zwar im negativen Sinne. Dadurch hat sich alles auf die Beitragshöhe fokussiert. Und es fällt immer schwerer, im Wettbewerb auch auf Qualität zu setzen. Das ist eine Umkehr der eigentlichen Zielsetzung für gesetzliche Krankenkassen: gute Versorgung zu organisieren und den Versicherten zur Verfügung zu stellen.

Ein Plädoyer für weniger Wettbewerb?

Nein, nur für mehr Wettbewerb auf der Leistungsseite. Wir beschäftigen uns im Management inzwischen viel mehr mit der Beitragsentwicklung als mit Versorgungsfragen. Wenn wir hier nicht bald eine andere Richtung einschlagen, wird es extrem bedenklich.

Derzeit tobt ein heftiger Streit um die Bevorzugung der AOK beim Risikoausgleich. Muss die Politik da nachbessern?
Der Risikostrukturausgleich ist falsch angelegt. Es kann für Ortskrankenkassen, die nur Versicherte in Sachsen und Thüringen versorgen, nicht das gleiche Geld geben wie für Kassen mit Schwerpunkt in Hamburg oder Berlin, wo alles viel teurer ist. Das Ziel des Ausgleichs war es, gerechte Rahmenbedingungen zu schaffen. Das wurde nicht erreicht, im Gegenteil.

Viele Ihrer Konkurrenten wachsen durch Fusionen. Findet die KKH keinen Partner?
Das Problem ist: Durch Fusionen entstehen, anders als in der Wirtschaft, bei uns kaum Synergieeffekte. 95 Prozent der Ausgaben sind vorgegeben. Ob Ärztehonorare, Fallpauschalen in den Kliniken, Arzneipreise: Das ist alles einheitlich und lässt auch nicht drücken, wenn man größer ist. Grundsätzlich gilt: Wer wirtschaftlich stark ist, hat kein Interesse, eine Kasse mit Finanzproblemen zu übernehmen. Und wenn sich zwei Kranke ins Bett legen, kommt auch kein Gesunder heraus.

Die Zusatzbeiträge steigen, der Arbeitgebersatz ist eingefroren. Kann das so bleiben?

Ich halte es für problematisch. Zum einen ist es nicht fair, alle Kostensteigerungen nur noch den Arbeitnehmern aufzubürden. Und zum andern haben die Arbeitgeber davon auch nicht wirklich etwas. Die Sozialversicherungskosten sind gemessen an anderen Aufwendungen für viele Unternehmen nachrangig. Zeitversetzt werden die steigenden Zusatzbeiträge ohnehin in die Lohnrunden einfließen. Gleichzeitig haben sich die Arbeitgeber die Möglichkeit genommen, die Kostenentwicklung mitzubeeinflussen. Wenn sie sich nicht ausgeklinkt hätten, hätte es der Gesundheitsminister mit manchen Zusatzausgaben deutlich schwerer gehabt. Es muss ja nicht unbedingt wieder auf volle Parität hinauslaufen. Aber eine stärkere Einbindung der Arbeitgeber bei den Beiträgen ist dringend notwendig.

Für Hartz-IV-Empfänger, zu denen bald auch viele Flüchtlinge gehören werden, erhalten die Kassen als Monatsbeitrag grade mal 90 Euro. Ist das in Ordnung?
Das kann nicht so bleiben. Es ist nicht tragbar und auch nicht gerecht, dass für Hartz-IV-Empfänger nur 50 Prozent der Ausgaben erstattet werden - und der Rest von den anderen Versicherten aufzubringen ist. Der Staat muss für Langzeitarbeitslose adäquate Beiträge zahlen und zwar so schnell wie möglich.

Der Gesundheitsminister will den Versandhandel mit rezeptpflichtiger Arznei verbieten. Was halten Sie davon?

Das passt überhaupt nicht in die Zeit. Gerade für chronisch Kranke, die dauerhaft gleiche Medikamente benötigen, hat der Versandhandel enorme Bedeutung. Es kann im 21. Jahrhundert keinen Artenschutz für Apotheker geben. Sie müssen sich mit Leistung und Service behaupten. Der Einzelhandel bekommt ja auch nicht die Konkurrenz durch Amazon verboten.

Die SPD hat vorgeschlagen, im Gegenzug die Arzneizuzahlung für chronisch Kranke zu streichen. Ein vernünftiger Kompromiss?

Das eine hat mit dem andern nichts zu tun. Natürlich kann man darüber diskutieren, ob Chroniker mit der Eigenbeteiligung angesichts ihrer ohnehin hohen Belastung durch die Krankheit überfordert sind. Man muss dann aber auch sagen, dass die Befreiung zwischen 500 und 750 Millionen Euro kostet – und wie die Finanzierungsvorschläge aussehen. Das einfach aus den Beiträgen zu bezahlen, geht nicht. Fürs nächste Jahr haben wir schon genug Hypotheken.

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