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Abfahrbereit. Daimlers Plug-in-Hybrid-Shuttle zum 6. eMobility Summit des Tagesspiegel.
© Doris Spiekermann-Klaas

Elektromobilität und Automatisierung: Die Angst vor dem Abseits

Für die deutsche Industrie steht bei der digitalen Transformation und den neuen Antrieben viel auf dem Spiel. Die Politik warnt vor Egoismus und Unbeweglichkeit.

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Elektromobilität rettet das Klima nicht, wenn der Strom aus schmutzigen Quellen stammt. „Das ist eine scheinheilige Veranstaltung, wenn – wie in Polen – der Strom zu 80 Prozent in Kohlekraftwerken erzeugt wird“, sagte EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) am Mittwoch am zweiten Tag des eMobility Summits des Tagesspiegels. Auch Ungarns Idee, fossile Energieträger durch neue Atomkraftwerke zu ersetzen, sei nicht der Weg, den die Bundesregierung und andere in Europa favorisierten.

Aber die nationalen Egoismen sind häufig größer als die ökonomische Vernunft. „Klimaschutz und Mobilität machen nur mit europäischen Standards Sinn“, sagte Oettinger, der vor nationalen Alleingängen warnte. Man müsse nicht alle Themen europäisieren, aber gerade im Individualverkehr stehe für die deutsche „Traditionsindustrie viel auf dem Spiel“.

CO2-Emissionen so hoch wie vor 26 Jahren

Die deutschen Autohersteller haben erkannt, dass sie schneller werden müssen, wenn die Verkehrswende gelingen soll. „Wir sind noch weit davon entfernt, Leitmarkt der Elektromobilität zu sein“, räumte Joachim Damasky, Technik- und Umwelt-Geschäftsführer des Autoverbandes VDA, ein. Angesichts von 69 000 zugelassenen E-Autos in Deutschland (Ende September) sei man „nicht da, wo wir hinwollen“. Dabei ist das Ziel allen bekannt: Bis zur Mitte dieses Jahrhunderts müssen die CO2-Emissionen verglichen mit 1990 um 80 bis 95 Prozent sinken. Weil der Verkehr immer dichter und die Motoren immer größer geworden sind, liegen die CO2-Emissionen heute aber immer noch auf dem Niveau von 1990 – trotz des technischen Fortschritts und modernerer Motoren. „Seit 26 Jahren gibt es keinen Fortschritt“, sagte Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) auf dem Summit. „Der Verkehr ist nicht auf Klimakurs.“ Stattdessen halte die Autoindustrie aus nachvollziehbaren Gründen an ihrem herkömmlichen Geschäftsmodell fest, weil sich damit sehr viel Geld verdienen lasse. Hendricks unterstützt die Forderung der Grünen und des Bundesrats nach einem Verbot von Benzinern und Dieselfahrzeugen ab 2030. „Die Unternehmen haben einen Anspruch auf Planungssicherheit“, sagte sie. Technisch sei der Abschied vom Verbrennungsmotor machbar. Deutsche Autoingenieure seien bis 2030 „ohne Weiteres in der Lage, emissionsfreie Fahrzeuge zu produzieren“. Dies gelte auch für Nutzfahrzeuge und Busse. Eine Perspektive für den Verbrennungsmotor gebe es nur, wenn die Hersteller ihrer Pflicht nachkämen, klimaneutrale Kraftstoffe zur Verfügung zu stellen. „Das können sie nicht bei der Politik abladen“, sagte Hendricks.

"Hüten wir uns vor 28 Digitalsprachen"

EU-Kommissar Günther Oettinger warnte die EU-Staaten vor Alleingängen, etwa beim Ausbau der digitalen Netze. „Hüten wir uns vor 28 Digitalsprachen“, sagte Oettinger auf dem Tagesspiegel- Summit. Er appellierte auch an die Bundesregierung: „Machen Sie es nicht national.“ So sei eine paneuropäische Strategie beim Ausbau des Mobilfunknetzes auf 5G-Standard, in der Frequenzpolitik oder bei den Abrechnungsstandards an Ladesäulen für E-Autos notwendig. Ohne eine einheitliche, flächendeckende Aufrüstung der digitalen Infrastruktur blieben Ideen für sicheres, autonomes Fahren nur Visionen. „Wer die Daten hat, hat die Macht“, sagte Oettinger. „Wir müssen schneller werden und gemeinsam vorangehen.“ Nachholbedarf sieht der EU- Kommissar für Digitales auch bei der Ausbildung von IT-Spezialisten. „Die Weltklasse unserer Unis reicht noch nicht aus.“ Es würden mehr Studiengänge für Physik oder Nachrichtentechnik gebraucht. Europäische Unternehmen seien gut in den Bereichen Ausrüstung, Netzwerke und Elektrotechnik. Bei Big Data oder digitalen Kundendiensten seien deutsche Firmen aber „völlig abhängig von anderen“, häufig Anbietern aus dem Silicon Valley.

Die Deutsche Post baut ihren E-Transporter selbst

Ein Kurswechsel Richtung Elektromobilität erfordere Mut und Entschlossenheit. So baue die Deutsche Post ihre elektrischen Transporter „Streetscooter“ selbst, weil „die, die es können sollten, es sich offenbar nicht zutrauen“, sagte die Umweltministerin. Oder weil ein Transporter von Mercedes oder VW zu teuer gewesen wäre für die Post. Hendricks glaubt, dass die Industrie Elektromobilität und Infrastruktur preiswerter anbieten könnte, als sie behauptet. Beispiel Ladestationen: Die EU-Kommission möchte, dass bei Neubauten künftig Auflademöglichkeiten für E-Autos eingebaut werden müssen. Bei größeren Gebäuden soll so wenigstens einer von zehn Parkplätzen mit einer festen Station ausgestattet sein. Die Industrie gibt an, dass dies 75 000 Euro pro Station kostet. „Das ist Quatsch“, sagte Hendricks und warnte vor der abschreckenden Wirkung solcher Angaben. Wie bei den sonstigen Nebenkosten eines Mietshauses auch, seien die Kosten einer Ladestation auch auf alle Mieter umlegbar – und damit deutlich niedriger, als die Industrie suggeriere.

Sensible Daten, große Versprechungen

„Die Industrie darf nicht ins Abseits investieren“, warnte auch EU-Kommissar Oettinger und hatte dabei nicht den Ausbau der Stromnetze, sondern die digitalen Netze im Sinn. „Akzeptieren wir besser Schlaglöcher als Funklöcher“, sagte Oettinger. Andernfalls werde es nichts mit dem Traum vom selbstfahrenden Auto, dass auf einen schnellen, kontinuierlichen Datenstrom angewiesen ist.

Allerdings lösten eben diese sensiblen Daten bei den meisten Verbrauchern noch große Bedenken aus, sich selbstfahrenden Autos anzuvertrauen, sagte Marion Jungbluth vom Bundesverband der Verbraucherzentralen. Es würden nicht nur die Sicherheit im Straßenverkehr, sondern auch die Gefahr von Hacker-Angriffen und der Kontrollverlust kritisch gesehen. „Hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht“, betonte Ilja Radusch, Leiter des Daimler Center for Automotive Information Technology Innovations (DCAITI) an der TU Berlin. Ziel der Innovationen sei es aber, die Zahl der Unfälle durch intelligente Systeme zu verringern. Man habe deshalb hohe Erwartungen an die von Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) eingesetzte Ethik-Kommission. Dort müssten nicht nur datenschutzrechtliche Fragen geklärt werden, forderte Jungbluth, sondern auch Haftungsfragen. Entstehe ein Unfall wegen eines Systemfehlers, müsse natürlich der Hersteller haften – nicht der Halter des Fahrzeugs.

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