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Es geht rund. Die zunehmende Angst der Menschen ist ein bestimmender Faktor an der Börse. Sie zeigt sich vor allem in dem Auf und Ab der Kurse..
©  Reuters, Kitty Kleist-Heinrich, Montage: Tsp

Im Strudel der Emotionen: Die Angst der Anleger - und ihre Folgen

Immer wieder schlechte Nachrichten, sogar von Rezession ist inzwischen die Rede. Wo soll das alles noch hinführen? Viele haben Angst vor dem ganz großen Knall. Das bewegt die Märkte – und verstärkt die Krise.

Eine Panikattacke war es nicht, auch keine Kurzschlussreaktion. Vielmehr haben sie vorher lange darüber geredet, diskutiert und abgewägt. Vor drei Wochen haben es die beiden dann durchgezogen. Sie haben ihr Sparkonto leergeräumt; weg mit dem Geld von der Bank, hin an einen vermeintlich sicheren, behüteten Ort. Seither liegen ihre Einlagen zu Hause. Und das Berliner Paar fühlt sich in seinem Handeln bestätigt – durch die vielen Meldungen, die zuletzt überall herumgegeistert sind.

Schuldenkrise. Das Hickhack um Griechenland, das Hin und Her im Falle Italien, und am Donnerstag spricht die EU-Kommission dann auch noch von einer Rezession. Wer weiß schon, wo das alles noch hinführen soll? „Wir gehen davon aus, dass alles bisher nur Vorgeplänkel war“, sagt der Mann, der nun so viele Scheine in seinem Heim hortet und seinen Namen auch deshalb lieber nicht in der Zeitung wiederfinden will.

Ihn und seine Frau treibt die Sorge, irgendwann nicht mehr liquide zu sein und die anfallenden Rechnungen nicht mehr begleichen zu können. Ein Freak ist er deshalb noch lange nicht. „Es gibt nicht wenige, die ihr Geld momentan zu Hause in den Safe packen“, sagt Wirtschaftsforscher Winfried Panse von der Fachhochschule Köln. „Sie haben Angst ihr Vermögen zu verlieren.“ Sie haben wie das Paar aus Berlin Angst vor dem ganz großen Knall.

Tatsächlich fürchten die Deutschen aktuell nichts mehr als durch die Schuldenkrise hervorgerufene Kosten. 70 Prozent der Bürger haben nach einer Studie der R+V Versicherung große Angst davor – das ist ein Wert, der nur selten erreicht wird. Überhaupt sind es in der zum 21. Mal durchgeführten Umfrage in diesem Jahr vor allem wirtschaftspolitische Themen, die den Menschen Sorgen bereiten (siehe Grafik). Auch steigende Lebenshaltungskosten und die Gefährdung des Euro ängstigen in hohem Maße. Auslöser ist die europa-, ja die weltweite Finanzkrise und die mit ihr einhergehenden politischen Unruhen, glaubt Wirtschaftsforscher Panse.

Verantwortlich für all die Befürchtungen, die Sorgen und das Unbehagen ist eine ewig da gewesene existenzielle Bedrohung der Menschheit: „Eine Urangst von uns ist, nichts mehr zu essen zu haben“, sagt Borwin Bandelow, einer der berühmtesten deutschen Angstforscher. „Man will seine Überlebensfunktion sichern.“ Und das geht in der heutigen Zeit eben vor allem mit Geld. Die Angst, sein Erspartes zu verlieren, beziehungsweise sich grundlegende Dinge nicht mehr leisten zu können, (ver-)führt zu irrationalen Überlegungen, die wiederum überhastete Entscheidungen provozieren.

Ein Strudel der Emotionen, der seine Konsequenzen hat – für das Wohlbefinden der Gesamtgesellschaft und für die Finanzmärkte. Bandelow sagt: „Die Finanzkrise wird durch übergroße Angst noch verstärkt – auch, weil Anleger sich vom Verhalten anderer anstecken lassen.“ Es ist wie mit den berühmten Lemmingen. Man denke nur an das Szenario bei der britischen Hypothekenbank Northern Rock im Jahr 2007, als sich vor den Filialen riesige Schlangen bildeten, weil die Kunden reihenweise ihr Geld in Sicherheit bringen wollten. Allein an einem Tag sollen der Bank eine Milliarde Pfund (etwa 1,4 Milliarden Euro) entzogen worden sein.

So weit ist es in Deutschland bislang nicht gekommen, doch die Nachfragen nach der Sicherheit des Euros im Allgemeinen und der eigenen Ersparnisse im Speziellen häufen sich nach Auskunft verschiedener Banken auch hier. „Der Faktor Angst ist „deutlich erkennbar“, sagt Dennis Nacken. Er ist Leiter der Kapitalmarktanalyse bei der Fondsgesellschaft Allianz Global Investors und macht die zunehmende Furcht in erster Linie an der hohen Volatilität fest, also der Schwankungsbreite, die er zuletzt beobachtet hat. Auf und ab geht es an der Börse, die Aktienkurse schwanken, die Preise für Rohstoffe ändern sich und auch bei den Währungskursen geht es turbulent zu. Mit Folgen. Andrea Erlach, Marktforscherin bei Union Investment, hat erkannt, dass seit einiger Zeit „Aktienmärkte mehrheitlich eher kritisch eingeschätzt werden“. Obwohl die Stimmung unter den Anlegern insgesamt robust sei, spricht sie zum Beispiel von einer „gewissen Zurückhaltung bei Neuanlagen“. Man neige dazu, Anlageentscheidungen vor sich herzuschieben und vermeidet es, sich auf lange Laufzeiten festzulegen.

Die Tendenz ist so neu nicht. In Zeiten der Unwägbarkeit sind liquide, kurzfristig verfügbare Anlagen immer besonders gefragt. Denn aus Angst vor einer Inflation konsumieren die Menschen, solange das Geld noch etwas wert ist. Da legt man sich Immobilien zu, kauft neue Autos oder saniert das Haus noch mal von Grund auf. Laut einer aktuellen Studie des Allianz-Versicherungskonzerns geben ganze 39 Prozent der Bürger nach eigenen Angaben mehr Geld aus, weil sie eine steigende Inflation befürchten. Darüber hinaus setzen die Leute auf vermeintlich sichere Anlagen wie Bundesanleihen und Gold. Von Aktien und dem Geschäft mit Fondspapieren wollen sie hingegen gerade nicht viel wissen. „Die Tendenz geht dahin, dass die Anleger ein bisschen Risiko rausnehmen“, sagt Dennis Nacken.

Unter Umständen auch, weil sie Angst vor Altersarmut haben. Davor, dass ihre Ersparnisse entwertet werden oder sie irgendwann ohne Arbeit dastehen. Nacken sagt: „Viele fürchten sich davor, dass sich die Schuldenkrise auf die Realwirtschaft überträgt.“ Die Frage ist nur, wie sehr den Einzelnen die Angst treibt. Experten unterscheiden zwischen adäquater und übersteigerter Furcht. „Angst ist im Prinzip eine normale Reaktion auf potenzielle Gefahren und stellt auch einen gewissen Schutzmechanismus dar“, sagt Andreas Ströhle, der die Angstambulanz an der Charité leitet. Erst „wenn der Alltag massiv beeinträchtigt wird und man ständig wegen seines Geldes in Sorge ist“, rät er zu einer fachspezifischen Abklärung und Therapie. Oft hilft den Betroffenen dort eine sogenannte Sorgenexposition, bei der sie sich das Schlimmste vorstellen, was passieren kann. „Sie durchleben die Sorgen, oft erkennt man dann, dass es gar nicht so schlimm ist“, sagt Ströhle.

Doch bis zu diesem Punkt muss es gar nicht kommen. Panik oder übermäßige Angst seien nicht angebracht, heißt es von Seiten der Banken. Die Landesbank Berlin beispielsweise rät vor allem dazu, nicht überstürzt zu handeln. Durch das derzeitige Auf und Ab an der Börse sollen sich Kunden nicht zu vorschnellen Kauf- oder Verkaufsentscheidungen verleiten lassen. Wirtschaftsforscher Winfried Panse empfiehlt, das Geld zu streuen und möglichst viel kurzfristig anlegen.

Von der Idee, das Geld zu Hause aufzubewahren, halten die Experten dagegen nicht viel. Dass einige über diese alternative Sparmethode sogar lachen, ist dem Pärchen aus Berlin egal. Es hat nun vor, sich ein paar Dinge anzuschaffen. Und irgendwann vielleicht will es sein Geld auch wieder zurückbringen zur Bank. Aber erst wenn sich die beiden wieder wohler und sicherer dabei fühlen. Dass dies bald der Fall sein wird, glauben sie nach den jüngsten Botschaften aus den Gremien und den Regierungshäusern Europas eher nicht. Momentan und wohl einige Zeit noch schlägt die Furcht vor der großen Wirtschaftskrise ihren Glauben an die finanzielle Stabilisierung.

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