Wenig Geld, marode Berufsschulen: DGB-Ausbildungsreport zeigt gravierende Mängel im System
Viele Azubis fühlen sich während der Pandemie vernachlässigt. Und die Probleme verschärfen sich. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat klare Forderungen.
Sie wurde nach Hause geschickt – wegen Corona. Obwohl das in der Ausbildung nicht vorgesehen ist, schrieb der Chef der angehenden Industriekauffrau deswegen Minusstunden auf. Die ihr nun vom Gehalt abgezogen werden sollen. Ein Unding, findet der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB).
Dies ist nur ein negatives Beispiel im aktuellen DGB-Ausbildungsreport. Darin gab jeder Vierte an, sich nach getaner Arbeit nicht richtig erholen zu können. Ausbildungsfremde Tätigkeiten wie Toiletten putzen, Gläser spülen und tagelange Renovierungsarbeiten im Betrieb mussten mehr als zwölf Prozent „immer“ oder „häufig“ erledigen. Jeder Dritte gab an, es gebe keinen Ausbildungsplan, obwohl dieser gesetzlich vorgeschrieben ist.
Die repräsentative Befragung wurde von August 2019 bis März 2020 durchgeführt. 13.347 Auszubildende haben sich beteiligt.
Und die Probleme verschärfen sich. Der Statistik der Bundesagentur für Arbeit zufolge ist die Zahl der Jugendlichen, die sie direkt in Ausbildung vermittelt hat, verglichen mit dem Vorjahr um 18 Prozent. Eine Szenarien-Analyse des Bundesinstituts für Berufsbildung prognostiziert für dieses Jahr weniger als 500.000 neu abgeschlossene Verträge. Das wäre der niedrigste Stand seit Gründung der Bundesrepublik. Die Zahl der Betriebe, die überhaupt noch ausbilden, liegt mittlerweile bei unter 20 Prozent.
Das Geld reicht nicht, um auszuziehen
Trotz der wirtschaftlich angespannten Lage auf dem Ausbildungsmarkt forderte die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack die Unternehmen auf, stärker in die Ausbildung zu investieren. Die Bundesregierung habe umfassende Hilfen für die Betriebe bereitgestellt.
Gerade Jugendliche, die höchstens einen Hauptschulabschluss haben, schafften oft den Sprung von der Schule in die Ausbildung nicht. „Das Nebeneinander von Fachkräftemangel und hoher Ausbildungslosigkeit ist Gift für unsere Gesellschaft“, kommentierte Hannack. Die Folge für junge Menschen: prekäre Jobs oder gar keine Arbeit wenig Geld bis hin zu Armut. Hannack forderte daher eine gesetzliche Ausbildungsgarantie.
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Der DGB kritisiert zudem, dass 35 Prozent der befragten Auszubildenden ihren Betrieb nur schlecht und fast 20 Prozent die Berufsschule kaum mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen könnten. „Der Personennahverkehr muss gerade in ländlichen Regionen massiv ausgebaut werden“, sagte DGB-Jugendsekretärin Manuela Conte. „Zudem brauchen wir ein kostengünstiges Azubi-Ticket in allen Bundesländern.“ Beides könnte dazu führen, dass junge Menschen nicht nur bei sich in der Nähe nach einer Stelle suchten.
Die meisten Auszubildenden wohnen noch zu Hause (72 Prozent). Ebenso viele möchten gern in einer eigenen Wohnung leben, können sich dies aber wegen der hohen Mieten und der oft zu geringen Ausbildungsvergütung nicht leisten. „Wir fordern bezahlbare und attraktive Wohnheime, die flächendeckend als öffentlich geförderte Azubi-Apartments eingerichtet werden“, sagte Conte. Fast 60 Prozent der Azubis können „weniger gut“ oder „gar nicht“ selbstständig von ihrem Lohn leben.
Betriebe sollten über Hygiene-Standards aufklären
Große Probleme gibt es nach wie vor bei der Qualität in der Berufsschule. Mehr als 43 Prozent der Auszubildenden finden die fachliche Qualität nur befriedigend bis mangelhaft. „Niemand hat Lust auf Unterricht in maroden und kaputten Gebäuden. Die Berufsschulen brauchen dringend mehr Geld“, kritisiert Conte. Die Corona-Krise habe zudem den digitalen Nachholbedarf deutlich gemacht. Es gibt aber auch positive Entwicklungen: Die Zahl jener, die regelmäßig Überstunden machen müssen, ist von 42 Prozent im Jahr 2009 auf 34 Prozent zurückgegangen.
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Es gibt außerdem erhebliche Unterschiede zwischen den Branchen: Industriemechanikerinnen, Verwaltungsfachangestellte, Mechatroniker, Elektronikerinnen und Bankkaufleute sind überdurchschnittlich zufrieden. Auszubildende aus dem Hotel- und Gaststättengewerbe, der Zahnmedizin, dem Einzelhandel und Teilen des Handwerks bewerten ihre Betriebe dagegen mangelhaft.
Im Kontext der Pandemie mahnte Manuela Conte, die Betriebe seien verpflichtet, ihre Auszubildenden zu schützen und über Hygiene-Standards aufzuklären. Und weil die Ausbildung an den Berufsschulen stark in die digitale Sphäre verschoben wurde: „Auch für den Digitalunterricht der Berufsschulen müssen die Arbeitgeber ihren Auszubildenden eine Freistellung erteilen.“
Sollte es Kurzarbeit geben, dürfte die Lehre in der Firma trotzdem nicht zu kurz kommen. Im Report wird eine angehende Hörakustikerin zitiert, die Ende April einen Hilferuf an den DGB richtete: Ihr Unternehmen habe Kurzarbeit angemeldet, „wodurch nun meine Meisterin nur noch halbtags da ist und ich als Azubine das Geschäft den restlichen halben Tag allein leiten muss“.
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