zum Hauptinhalt
„Wie man isst und was man isst, hat in Deutschland fast schon religiöse Züge“, sagt der CSU-Politiker.
© dpa

Agrarminister Christian Schmidt: „Deutschland soll Trendsetter beim Tierwohl werden“

Bundesagrarminister Christian Schmidt (CSU) spricht im Interview über sein neues staatliches Label, gutes und schlechtes Essen sowie Schweinefleisch in der Kita.

Es hat ein bisschen gedauert, bis Christian Schmidt mit seinem Ministeramt warm geworden ist. Der 59 Jahre alte CSU-Politiker war Verteidigungsexperte und Außenpolitiker und hatte mit Agrarfragen und Ernährung nicht viel am Hut, als er im Februar 2014 seinem Parteikollegen Hans-Peter Friedrich nach dessen Rücktritt im Amt nachfolgte. Inzwischen ist das anders. Schmidt hat sich in dem Amt eingelebt, hat Geld für die notleidenden Milchbauern aufgetrieben, sich mit den Ländern über die grüne Gentechnik gestritten, er kämpft gegen Lebensmittelverschwendung und will nun ein staatliches Tierwohllabel auf den Weg bringen, mit dem Verbraucher größere Ställe und eine bessere Haltung von Schweinen und Geflügel unterstützen können.

Herr Minister, in vier Tagen beginnt die Grüne Woche. Wie überstehen Sie die zehn Tage?

Wir haben ein volles Programm. Und am Rande der Grünen Woche finden auch das Global Forum for Food and Agriculture (GFFA) – die Berliner Welternährungskonferenz – und das G-20-Agrarministertreffen statt. Deutschland hat in diesem Jahr die Präsidentschaft unter den 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländern inne. Und ich freue mich, dass ich mit meinen Agrarministerkollegen den Auftakt zur G-20-Präsidentschaft machen kann. Ich hoffe übrigens sehr, dass ich Russland noch zu einer Teilnahme an beiden Veranstaltungen bewegen kann.

Sie wirbeln derzeit ordentlich Staub auf. Sie fordern den Abschuss von Wölfen, Schweinefleisch in der Kita und machen Front gegen vegane Currywurst. Woher kommt die Rauflust?

Der Bereich Landwirtschaft und Ernährung hat in Deutschland eine politische, ja manchmal eine ideologische Dimension gewonnen. Wie man isst und was man isst, das hat in unserem Land fast schon religiöse Züge. Ich halte das für nicht zielführend. Wie man sich ernährt, ist eine höchstpersönliche Entscheidung. Wir können das als Politik begleiten, aber ich will die Menschen nicht bevormunden. Gegen solche Bestrebungen wehre ich mich. Mein Ansatz ist, die Verbraucher zu informieren, nicht zu maßregeln.

Nach Ihrem jüngsten Ernährungsreport ziehen viele Menschen Tiefkühlpizzen dem Kochen vor. Interessieren sich die Leute nicht fürs Essen?

Nein. Der Ernährungsreport zeigt, dass sich die Menschen durchaus gesund ernähren wollen. Die Realität ist aber, dass viele Berufstätige oft nicht dazu kommen. Die Befragungsergebnisse machen im Übrigen auch sehr deutlich, dass sich die Menschen beim Essen nichts vorschreiben lassen wollen. Das mag manchen Parteien oder Gruppen nicht gefallen, aber das ist nun mal so. Ich setze auf Verbraucherinformation und bei Kindern und Jugendlichen zusätzlich auf Ernährungsbildung in der Schule.

Als eigenes Schulfach?

Ja. Dazu bin ich im ständigen Austausch mit den Kultusministern. Insgesamt geht es darum, Verbrauchern alle notwendigen Informationen zur Verfügung zu stellen. Viele Kinder und Jugendliche wissen heute gar nicht mehr, woher Lebensmittel kommen und wie sie hergestellt werden. Das hat zum einen Fehlernährung mit immensen gesundheitlichen Kosten zur Folge – und zum anderen fehlende Wertschätzung. Diese führt dazu, dass viel zu viele Lebensmittel in den Müll geworfen werden. Und deshalb ist mein Ansatz, Ernährungs- und Verbraucherbildung wieder zurück in die Schulen zu bringen, am besten als eigenes Schulfach.

Ihr Parteichef Horst Seehofer möchte eine Obergrenze für Flüchtlinge, Sie wollen in allen Kitas und Schulmensen Schweinefleisch auf den Speiseplan setzen. Ist das Ihre Art der Flüchtlingspolitik?

Es geht hier um kulturelle Fragen. Wir können nicht kulturelle Unterschiede auffangen, indem wir uns auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen. Ich sehe nicht ein, wieso die Konsequenz von größerer Vielfalt weniger Angebot sein soll. Alle Kinder, egal welchen Hintergrund sie haben oder welcher Religion sie angehören, sollten sich so ernähren können, wie sie wollen – auch mit Schweinefleisch im Angebot. Schweinefleisch ist ein Teil unserer Ernährungstradition. Und ich bin Ernährungsminister für ganz Deutschland. Die Auswahl für die Mehrheit der Gesellschaft zu begrenzen – das ist mir zu kurz gegriffen. Ich kann nicht erkennen, dass dies förderlich für die Integration ist.

Viele Kinder essen gar nicht in der Schule. Sollte das Essen dort kostenlos sein?

Mein Ziel für die nächste Legislaturperiode ist es, dass Schulverpflegung mehrwertsteuerfrei wird. Caterer bezahlen derzeit den vollen Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent. Es ist niemandem damit geholfen, wenn möglichst viel Geld im Steuersäckel landet. Es ist wichtig, dass unsere Kinder gut und vernünftig ernährt werden und dass das Geld dafür zur Verfügung steht. Und wenn wir gerade darüber sprechen: In vielen Fällen muss auch die Qualität des Essens noch spürbar besser werden. Deshalb habe ich das Nationale Qualitätszentrum für Ernährung in Kita und Schule geschaffen. In Kürze wird auch mein neues Institut für Kinderernährung die Arbeit aufnehmen.

Das Umweltbundesamt will, dass klimaschädliches Fleisch mit einer höheren Mehrwertsteuer belegt wird als klimafreundliches Gemüse. Wie finden Sie das?

Wenn man beginnt, die Höhe der Mehrwertsteuer nach „gutem“ oder „schlechtem“ Essen festzulegen, wird das ein interessanter Katalog. Verbraucherinformation und Ernährungsbildung sind für mich die Grundlagen für eine informierte Kaufentscheidung. Künstliche Preiserhöhung durch eine Steuererhöhung – in die Staatskasse – nützen weder der Umwelt noch den Verbrauchern.

Die Massentierhaltung schadet aber nun mal nachweislich der Umwelt. Bauministerin Barbara Hendricks will daher schärfere baurechtliche Vorgaben für Großställe mit dem Ziel, dass eigentlich keine neuen mehr gebaut werden. Ziehen Sie mit?

Aber das Baurecht haben wir doch erst vor drei Jahren geändert. Diese Änderungen müssen erst einmal Wirkung zeigen. Wir können nicht ständig mit neuen Ideen kommen. Die Bauern, die Geld in neue Ställe investieren, brauchen Planungssicherheit – wie andere Wirtschaftszweige auch. Ich gehe einen anderen Weg. Ich arbeite an einer langfristig angelegten Nutztierhaltungsstrategie, die sich unter anderem mit der Ausstattung der Ställe beschäftigt. Und wir führen ein neues, staatliches Tierwohllabel ein.

Viele Bauern machen bereits bei der Tierwohlinitiative des Bauernverbands und des Handels mit und haben Geld in bessere Ställe investiert. Bauen Sie mit Ihrem Label darauf auf?

Die Brancheninitiative ist eine gute Grundlage. Aber jetzt geht es darum, Tierwohl in mehr Ställe und auf mehr Teller zu bekommen. Umfragen, auch der jüngste Ernährungsreport zeigen, dass ein Großteil der Verbraucher bereit ist, mehr für Lebensmittel zu zahlen, wenn die Tiere besser gehalten werden. Dieses Potenzial will ich heben. Und das kann nur mit einer klaren Kennzeichnung gelingen. Die Menschen legen heute nicht mehr nur auf die Produktqualität Wert, sondern sie möchten auch wissen, wie die Produkte erzeugt wurden. Die Verbraucher müssen sich darauf verlassen können, dass Fleisch mit dem staatlichen Tierwohllabel höhere Anforderungen erfüllt als die, die jetzt schon Gesetz sind.

Welche sind das?

Wir starten mit Schweinen und dann Geflügel. Wir definieren Kriterien für alle Schritte der Tierhaltung – vom Bauern bis hin zum Fleisch im Supermarktregal. Das Label wird mehrstufig sein. Das heißt: Die Anforderungen sind auf den einzelnen Stufen unterschiedlich ambitioniert. Es geht dabei um das Platzangebot, das Beschäftigungsmaterial für Tiere oder die Gestaltung der Ställe. Im Fokus stehen Transparenz und Rückverfolgbarkeit. Wir haben einen intensiven Arbeitsprozess hinter uns. Damit das Tierwohllabel ein Erfolg wird, müssen jetzt alle mitziehen: die Bauern, die Supermärkte und natürlich auch die Verbraucher. Wir wollen mit dem Label eine breite Öffentlichkeit erreichen. Deshalb nehme ich auch 70 Millionen Euro in die Hand, um das neue Label zu etablieren. Außerdem will ich zusammen mit den Ländern die Umsetzung in den Betrieben finanziell unterstützen. Mein Ziel ist klar: Produkte mit Tierwohllabel, die Anforderungen oberhalb der gesetzlichen Standards erfüllen, müssen bezahlbar sein.

Hoffen Sie darauf, dass die Leute irgendwann nur noch Fleisch mit Ihrem Label kaufen?

Wir wünschen uns eine breite Marktdurchdringung. Das Label soll nicht in der Nische bleiben. Mit dem Biosiegel gibt es bereits ein staatliches Siegel, das viele Verbraucher erreicht. Das nationale Biosiegel tragen inzwischen mehr als 75 000 Produkte. Diese Entwicklung will ich mit dem Tierwohllabel auch erreichen. Dafür werde ich mich einsetzen, auch mit finanziellen Mitteln.

Warum regeln Sie das nicht per Gesetz?

Die Einführung eines verpflichtenden Tierwohllabels wäre nur über die EU möglich – und das würde dauern. Ich will aber, dass Deutschland Trendsetter in Sachen Tierwohl wird. Das lässt sich nur erreichen, wenn wir gemeinsam mit allen Beteiligten Lösungen entwickeln. In den Bereichen, in denen ethisch nicht vertretbar gehandelt wird und der Gesetzgeber gefordert ist, werden wir natürlich aktiv. Aber manche Probleme lassen sich gemeinsam und auf freiwilliger Basis besser und vor allem schneller lösen als mit einem Gesetz.

Das Gespräch führte Heike Jahberg.

Zur Startseite