Krise an den Finanzmärkten: "Deutschland kann sich nicht abkoppeln"
Johannes Reich (51), seit 1996 Partner beim Bankhaus Metzler und dort unter anderem verantwortlich für das Aktiengeschäft für Großanleger, spricht im Interview über die Folgen der Schuldenkrise für Deutschland.
Wie schätzen Sie die weitere Entwicklung auf den Finanzmärkten ein? Aktien und Staatsanleihen: Flop? Gold: Top?
Es wird schwierig bleiben. Die Verschuldungsprobleme in den USA, in Japan und in Europa sind nicht gelöst. In Europa hängt viel davon ab, wie sich die Europäische Zentralbank verhält. Bisher schien es vor allem darum zu gehen, Zeit zu gewinnen. Und darum, die Liquidität aufrechtzuerhalten. Aber zum Problem der überschuldeten Staaten gesellen sich die strukturellen Probleme der Volkswirtschaften. Und wir wissen nicht, wie die Konjunktur reagiert, in den USA, aber auch in Europa. China wird sein Nachfragewachstum auf Dauer sicher nicht auf dem derzeitigen Niveau halten. Es dürfte auch in Deutschland nicht mit der bisherigen Geschwindigkeit weitergehen.
In Europa dreht sich das Schuldenkarussell weiter. Jetzt scheint Italien an der Reihe. Wie lässt sich die Schuldenspirale stoppen?
Offensichtlich gibt es keine Patentlösung. Generell sollte man nicht mehr Geld ausgeben als man hat. Das wäre eine banale Antwort auf eine scheinbar einfache Frage. Es geht nicht nur um die aktuellen Schulden. Es geht auch um die Entwicklung bei den Zinsen. Für Staatsanleihen großer Euro-Staaten werden risikobedingt höhere Renditen gefordert. Das hat sich selbst verstärkende Effekte.
Die Europäische Zentralbank (EZB) sitzt offenbar in der Klemme. Eigentlich darf sie keine Staatsanleihen von Krisenstaaten kaufen, jetzt will sie Italien unter die Arme greifen. Ist die EZB noch unabhängig?
Wenn man die Maßstäbe anlegt, die man früher an die Bundesbank angelegt hätte, muss man das verneinen. Aber die EZB ist in dieser Krise nicht in der Lage, unabhängige Stabilitätspolitik machen zu können. Möglicherweise war sie nur für unproblematische Phasen wirklich unabhängig. Die Währungsunion hat bei der Einführung des Euro für die derzeitige Situation keine Lösungsmöglichkeit aufgezeigt. Mit Folgen für die Unabhängigkeit der EZB. Heute dominiert die Politik das Geschehen.
Wie lange müssen wir mit der Krise leben? Wann trifft es auch die deutsche Wirtschaft und damit auch Arbeitsplätze?
Das weiß ich nicht. Aber Politik und Wirtschaft müssen sich immer mit Krisen befassen. Als Folge der Krise 2008 hatten wir 2009 eine weltweit massive Rezession, auch wenn sie effektiv beim durchschnittlichen Arbeitnehmer und Verbraucher in Deutschland kaum ankam. Auch bislang scheint das in Deutschland nicht der Fall, anders als etwa in den USA, wo die Arbeitslosigkeit seit 2008 stark gestiegen ist, und viele ehemalige Hausbesitzer ihr Haus nicht mehr besitzen. Doch auch Deutschland wird sich auf Dauer nicht von den Problemen der übermäßigen Staatsverschuldung, von den Entwicklungen auf den Finanzmärkten oder einer schwächeren Weltkonjunktur abkoppeln können, gerade weil Deutschland als Exportnation stark von der weltwirtschaftlichen Entwicklung abhängt.
Was soll der Anleger tun? Aktien, Fonds und Staatsanleihen verkaufen und auf Gold setzen? Oder auf bessere Zeiten hoffen?
Generell gilt in guten wie in schwierigen Zeiten: Da niemand genau weiß, wie es kommt, sollte man vorsichtig agieren und nicht alles auf ein Pferd setzen. Diese Regel gilt mehr denn je. In der Tendenz sollte man derzeit wohl reale Werte bevorzugen, dazu gehören auch Aktien. Gold als Wertaufbewahrungsmittel funktioniert manchmal – wie jetzt – gut, manchmal aber auch nicht. Als Krisenbarometer erscheint Gold derzeit allerdings recht teuer.
Johannes Reich
ist seit 1996 Partner beim Bankhaus Metzler. Der 51-Jährige verantwortet unter anderem das Aktiengeschäft für Großanleger. Mit ihm sprach Rolf Obertreis.