Zuwanderung: Deutschland ist bei Fachkräften unbeliebt
Wer die Wahl hat: Qualifizierte Arbeitnehmer gehen lieber in andere Länder. Die Bundesrepublik muss ihre Anstrengungen erhöhen, mahnt die OECD.
Deutschland hat ein Imageproblem. Viele Unternehmen rufen nach Fachkräften – und trotzdem liegt die Bundesrepublik bei der Zuwanderung qualifizierter Arbeitnehmer im weltweiten Vergleich deutlich hinter anderen Industrienationen. Dies zeigt ein am Montag vorgestellter Bericht der Internationalen Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Demnach kommen jährlich rund 25 000 Arbeitsmigranten aus Ländern außerhalb der EU und der Europäischen Freihandelsregion EFTA nach Deutschland. Ihr Anteil entspricht nur etwa 0,02 Prozent der Bevölkerung. Zum Vergleich: Australien, Dänemark, Kanada und England verzeichnen fünf- bis zehnmal so viele Zuwanderer.
Dabei sind die Hürden hierzulande inzwischen deutlich niedriger als in den meisten anderen Ländern, wie die OECD betont: Nach verschiedenen Gesetzesänderungen werden ausländische Berufsabschlüsse leichter und schneller anerkannt, die Mindesteinkommensschwelle für Hochqualifizierte wurden mit der Einführung der „Blauen Karte“ um knapp ein Drittel auf 46 000 Euro gesenkt. Bislang haben 2500 studierte Fachkräfte diese Blue Card beantragt. Die Bearbeitungszeiten seien verhältnismäßig kurz, die Verfahren kostengünstig und die Ablehnungsquote gering, heißt es im Bericht. Dennoch wird das Zuwanderungssystem allgemein als „restriktiv und schwer zugänglich“ wahrgenommen. Arbeitssuchende orientieren sich lieber zu anderen Ländern hin. „Im Jahr 2020 werden in Deutschland fast 40 Prozent weniger Menschen ins Erwerbsleben eintreten als in Rente gehen“, sagt OECD-Generalsekretär Yves Leterme. „Dieser Wert ist der ungünstigste im ganzen OECD-Raum.“
Arbeitgeber zieren sich
Die unangenehme Wahrheit: Zu großen Teilen ist das Problem hausgemacht. Deutsche Arbeitgeber bemühen sich verglichen mit internationalen Konkurrenten nur sehr zurückhaltend um potenzielle Mitarbeiter im Ausland, ergab die Umfrage unter 1100 Arbeitgebern. Selbst, wo bereits Mitarbeiter fehlen, ziehen Firmen eine Personalrekrutierung im Ausland oft gar nicht in Betracht. Besonders kleine und mittelständische Unternehmen nannten als Hinderungsgrund mangelnde Deutschkenntnisse der Kandidaten oder spezielle Anforderungsprofile. Ihnen allen sprach die OECD die dringende Empfehlung aus, in Deutschkurse und Fortbildungen zu investieren: Vermeintliche Lücken ließen sich nach der Einstellung in vielen Fällen schnell schließen.
Deshalb beurteilt die Organisation auch die Rahmenbedingungen für die Zuwanderung von Fachkräften mit mittlerer Qualifikation als zu eng. Aufgrund der Beschränkungen für Nicht-Akademiker sprechen Experten von einem „Anwerbeverbot mit Ausnahmeregelungen“. Hilfreicher wäre es, umgekehrt Arbeitsmigration generell unter bestimmten Bedingungen zu erlauben, sagte Leterme.
Den Blick erweitern
Zur Bekämpfung des Fachkräftemangels setzen sowohl Bundesregierung als auch Opposition bisher aber vorrangig darauf, das Arbeitskräftepotenzial im Inland besser auszuschöpfen. Frauen und Ältere sollen mobilisiert werden. „Zuwanderung ist alternativlos“, betonte OECD- Chef Leterme.
Der migrationspolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Memet Kilic, sprach sich in Reaktion auf den Bericht erneut für ein einfaches Punktesystem zur Einwanderung aus. Bisher herrsche in Deutschland „keine Willkommens-, sondern eine Abschreckungskultur“. Die Linken-Arbeitsmarktexpertin im Bundestag, Sabine Zimmermann, hielt dagegen, zunächst verdienten Millionen Arbeitslose eine Chance. Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) kündigte an, neben Akademikern künftig auch mehr Menschen in Ausbildungsberufen locken zu wollen. Bis Juli will sie die Beschäftigungsverordnung dahingehend ändern, dass Krankenschwestern, Altenpfleger, Lokomotivführer, Klempner, Heizungsmonteure und Elektriker, sofern sie einen Abschluss haben, „einfach kommen dürfen“. mit AFP
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