zum Hauptinhalt
Neue Runde im Streit um Gentechnik. In Europa darf der Anbau von gentechnisch veränderten Organismen künftig in jedem Land verboten werden. Ob die Regelung die Freihandelsberatungen mit den USA überstehen wird, ist allerdings noch offen.
© Patrick Pleul/pa/dpa

Grüne Gentechnik: Deutschland darf Gentech-Pflanzen verbieten

Das Europaparlament erlaubt nationale Blockaden beim Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen. Agrarminister Christian Schmidt (CSU) will die Regelung schnell in nationales Recht umsetzen. Ob das Anbauverbot die Freihandelsverhandlungen mit den USA übersteht, ist allerdings offen.

Jedes Land in der Europäischen Union kann künftig selbst entscheiden, ob es den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen erlaubt. Am Ende einer jahrelangen Auseinandersetzungen hat das  Europaparlament  am Dienstag mit 480 Ja- und 159 Nein-Stimmen neue Regeln zum Anbau genveränderter Organismen in der Europäischen Union verabschiedet. Sie treten bis  spätestens April in Kraft.  Der deutsche Agrarminister Christian Schmidt (CSU) hat eine schnelle Umsetzung in deutsches Recht angekündigt.

Nur eine Gentech-Pflanzensorte wurde europaweit zum kommerziellen Anbau zugelassen: Mon810 des US-Konzerns Monsanto. In fünf EU-Staaten wird der umstrittene Mais angebaut, neun Staaten, darunter  Deutschland, zogen daraufhin eine Schutzklausel, die  zeitlich begrenzt gilt und von Monsanto  vor dem Europäischen Gerichtshof angefochten wurde. „Mit der jetzigen Rechtslage haben die Mitgliedstaaten eigentlich überhaupt keine Möglichkeit, den Anbau von Genpflanzen zu verbieten“, sagte der CDU-Europaabgeordnete Peter Liese in der Debatte.

Aufgelöst wurde die rund vierjährige Blockade nach einer politischen Blamage im vergangenen Februar: Nachdem die EU-Lebensmittelbehörde Efsa in Parma keine wissenschaftlichen Bedenken gegen die Genmaissorte Pioneer 1507 geltend gemacht hatte, war die EU-Kommission gerichtlich  gezwungen worden, den Mitgliedstaaten die Zulassung vorzuschlagen. Das hätten sie nur  mit einer Dreiviertelmehrheit  verhindern können. Am Ende reichten dafür die Stimmen von 19 von 28 Mitgliedstaaten nicht. Es fehlte unter anderem die Stimme der Bundesregierung. Obwohl einer Umfrage des Bundesamtes für Naturschutz zufolge 84 Prozent der Bürger hierzulande den Anbau gentechnisch veränderter Organismen ablehnen.

Der Widerstand der Bevölkerung reicht als Begründung

Nun gibt es zwei Möglichkeiten, nationale Anbauverbote auszusprechen. Regierungen können die Hersteller bitten, ein Land schon im Zulassungsantrag auszunehmen, müssen das aber nicht tun. Hier setzte sich das Europaparlament in den Verhandlungen gegenüber  Plänen des Ministerrats durch, da es krumme Geschäfte im Vorfeld oder zu starken Lobbyeinfluss befürchtet hatte. Die Regierungen können  direkt Anbauverbote aussprechen – und zwar  nicht nur, wenn sie neue Forschungserkenntnisse aus dem Hut zaubern können. Es reichen schon „sozio-ökonomische Gründe“ oder ein Verweis auf die „öffentliche Ordnung“ – eine etwas umständliche Umschreibung für den Widerstand in der Bevölkerung.

„Damit steht auch in Deutschland einer gentechnikfreien Landwirtschaft europarechtlich nichts mehr im Weg“, sagte die SPD-Abgeordnete Susanne Melior nach der Abstimmung, wo es doch aus dem Bundestag wie den Bundesländern bereits Druck auf die Bundesregierung gibt, entsprechend zu handeln. Sie gab aber zu, dass ihr ein europaweites Anbauverbot „viel lieber gewesen“ wäre. Denn nun drohe „ein Flickenteppich in Europa“.

Damit sich  entlang grüner Grenzen keine naturbelassenen mit gentechnisch veränderten Pflanzen kreuzen, müssen alle Mitgliedstaaten Mindestabstände zu Gensorten definieren, wie es sie in Deutschland bereits gibt: 150 Meter zu einem Feld mit konventioneller Landwirtschaft, 300 Meter zu Ökolandbauflächen. Um eine Vermischung zu verhindern, darf nach einer Bepflanzung etwa mit Genmais im Folgejahr kein „normaler“ Mais angepflanzt werden – nur zwischen Kartoffeln oder  Rüben  würde man nämlich sehen, wenn noch vorhandene Genmais-Samen aufgehen. Die belgische Liberale Fréderique Ries, die Verhandlungsführerin des Parlaments, wertete diese Einschränkung  als Erfolg. Selbst Befürwortern aber ist klar, dass eine Vermengung in einem gemeinsamen Markt mit länderübergreifenden Transportwegen und Kunden nicht vollständig verhindert werden kann – ein EU-weites Verbot war jedoch nicht durchsetzbar.

Der Grüne Martin Häusling bezeichnete das  Gesetz als „trojanisches Pferd“, weil es seiner Ansicht nach zu mehr Zulassungen  führen wird. „Die Mitgliedstaaten werden zustimmen im Glauben, dass sie es ja daheim verbieten können,  der Druck auf die EU-Kommission wird nachlassen.“ Er forderte für die von der Kommission bereits angekündigte Reform des Zulassungsverfahrens eine Verschärfung „auf Basis unabhängiger Gutachten“.

In Brüssel liegen bereits mehrere Anträge der Industrie zum kommerziellen Anbau weiterer Genpflanzen vor. Der bereits verbreitete Anbau zu Forschungszwecken unterliegt ebenso anderen Regeln wie der Import von Landwirtschaftsprodukten. Derzeit sind rund 60 Arten von Mais, Sojabohnen oder Baumwolle zum Import zugelassen – was beim Verkauf  gekennzeichnet werden muss. Allerdings muss nicht gekennzeichnet werden, wenn Kühe, Schweine oder Hühner mit gentechnisch veränderten Futtermitteln groß gezogen werden.  Christian Schmidt  hat allerdings im Koalitionsvertrag den Auftrag bekommen, dafür eine Lösung zu finden. Bei der Umsetzung der EU-Regelung für Anbauverbote dürfte das noch nicht spruchreif sein.

Ob das Anbauverbot TTIP überlebt?

Bei den Verhandlungen mit den USA über das umstrittene Freihandelsabkommen TTIP und mit Kanada (Ceta) spielt die Kennzeichnungsdebatte eine wichtige Rolle. Bisher gibt es in den USA und in Kanada keine Kennzeichnung von Gentech-Lebensmitteln. Der grüne Bundestagsabgeordnete Harald Ebner sagt: „Die europäischen Regelungen  werden  explizit und ausschließlich als Handelshemmnisse thematisiert. Damit stellen Ceta und TTIP die Weichen eindeutig in Richtung mehr Gentechnik – allen anderslautenden Beteuerungen zum Trotz.“ In einem aktuellen Gutachten im Auftrag der grünen Bundestagsfraktion schreibt der Gentechnik-Experte Christoph Then, dass die Handelsabkommen die Tür für Schiedsgerichtsverfahren vor der Welthandelsorganisation (WTO) im Streit um die grüne Gentechnik öffnen würden. Auch gegen die gerade beschlossenen nationalen Anbauverbote könnten Gentech-Konzerne dann klagen – und würden vermutlich Recht bekommen. Denn vor der WTO gelten „sozio-ökonomische Gründe“ oder der Widerstand der Bevölkerung nicht als Begründung für ein Anbauverbot. Dort können lediglich gesundheitliche Risiken geltend gemacht werden. Doch das in der EU geltende Vorsorgeprinzip, das im Zweifel den Verbraucherschutz höher bewertet, gilt weder in den USA noch in Kanada. Then schreibt: „In den USA werden (vereinfacht gesprochen) gentechnisch veränderte Pflanzen bis zum Beweis des Gegenteils als sicher angesehen.“

Zur Startseite