Schnee, Streik oder Hochwasser: Deutsche Bahn zahlt ab jetzt immer
Kunden der Bahn bekommen bei Verspätungen fortan auf jeden Fall ihr Geld anteilig zurück – so hat es der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden. Bislang mussten die Zugbetreiber nur dann zahlen, wenn sie selbst Schuld waren.
Die eingefrorene Oberleitung im Winter, der durch einen Sturm auf die Gleise gestürzte Baum im Frühjahr, die durch Hitze verbogenen Schienen im Sommer, der Streik im Herbst – alles das zählt in Zukunft nicht mehr. Verspätet sich ein Zug übermäßig, haben Kunden künftig einen Anspruch auf Entschädigung, unabhängig von der Ursache. Auf höhere Gewalt können die Eisenbahnbetreiber nicht mehr verweisen – so hat es der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Donnerstag entschieden (Aktenzeichen: C-509/11). Bislang mussten die Zugbetreiber nur zahlen, wenn sie selbst die Verspätung verursacht hatte.
Reisende haben laut EU-Gesetz Anspruch auf ein mindestens Viertel des Fahrpreises, wenn sich ein Zug zwischen 60 bis 119 Minuten verspätet. Sind es mehr als zwei Stunden, ist die Hälfte des Ticketpreises fällig. Die Regelung betrifft alle hierzulande tätigen Eisenbahnbetreiber, also neben der Deutschen Bahn auch Konkurrenten wie die ODEG oder Veolia.
„Wir begrüßen die Entscheidung des EuGH und werden sie unverzüglich umsetzen“, sagte Berthold Huber, Fernverkehrs-Vorstand der Bahn, dem Tagesspiegel. Allerdings sei man bislang schon oft kulant gewesen bei Verspätungen, die auf höhere Gewalt zurückgingen, etwa bei den Problemen durch das Hochwasser auf der Strecke Hannover-Berlin. „An dieser Praxis wird sich natürlich nichts ändern.“
Der Konkurrent Odeg, der auch in der Hauptstadtregion mehrere Strecken bedient, sieht sich weniger betroffen. „Das ist eher ein Thema für den Fernverkehr“, sagte Geschäftsführer Arnulf Schuchmann. Es sei indes nicht in Ordnung, dass die Odeg nun auch für Probleme haften müsse, die sie selbst gar nicht verursacht habe. „Die Branche muss Druck auf die Netzsparte der Deutschen Bahn machen, denn letztlich ist sie verantwortlich“, befand Schuchmann.
Gesetzlicher Anspruch auf Entschädigung
Das EuGH-Urteil geht zurück auf einen Fall aus Österreich. Dort hatte der Bahnbetreiber ÖBB auf eine Klausel gepocht, wonach sie in Fällen höherer Gewalt nicht haftet. Der Verwaltungsgerichtshof hatte den Fall dann dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt. Die Luxemburger Richter verwiesen zugleich darauf, dass es keinen individuellen Schadenersatz für Folgeschäden einer Verspätung geben müsse, etwa für einen verpassten Urlaubsflug oder einen geplatzten Geschäftstermin. Die pauschale Erstattung eines Teils des Fahrpreises genüge als Kompensation.
Erst seit 2009 haben Passagiere in Deutschland einen gesetzlichen Anspruch auf Entschädigung. Vorher hatte die Bahn bei Verspätungen auf freiwilliger Basis Reisegutscheine ausgestellt. Gegen mehr Kundenrechte hatte sie sich lange gewehrt und ein Gutachten ins Feld geführt, in dem von einem nötigen Preisanstieg um zehn Prozent die Rede war. Zwar wurden die Preise der Bahn seither mehrfach erhöht, aber nicht in diesem Ausmaß.
Verbraucherschützer reagierten zwiespältig auf das Urteil. Einerseits sei es zu begrüßen, dass nun der Kunde gestärkt werde, sagte Holger Krawinkel, Bahn-Experte des Bundesverbands der Verbraucherzentralen. „Ich befürchte aber, dass die Bahn dies als Vorwand für Preiserhöhungen nehmen wird“, urteilte er. Michael Ziesak, Vorsitzender des Verkehrsclubs Deutschland, kritisierte, dass nur die Bahn, nicht aber Schiffe, Busse oder Flugzeuge nun für Schäden durch höhere Gewalt hafteten. „Das ist Wettbewerbsverzerrung zu Lasten des Eisenbahnverkehrs und zu Gunsten der anderen Verkehrsträger“, befand er. In einem ähnlichen Fall hatte der Bundesgerichtshof am Dienstag entschieden, dass Fluggäste bei einem Vogelschlag Verspätungen hinnehmen müssen – Entschädigungen gestand das Gericht nicht zu.