CO2-Regulierung: Deutsche Autolobby setzt sich durch
EU-Kompromiss im Streit um die CO2-Regulierung für Neuwagen: Der Grenzwert von 95 Gramm pro Kilometer kommt später, Elektroautos dürfen stärker angerechnet werden.
Berlin - Die deutsche Automobilindustrie dürfte frohlocken und die Bundesregierung zufrieden sein, einzig Grüne und Umweltverbände schlagen Alarm. Der in Brüssel am späten Dienstagabend gefundene Kompromiss zur CO2-Regulierung von Neuwagen entfacht erneut den Streit über eine zügige Umsetzung strengerer Klimavorgaben in der Autoindustrie. Die EU-Pläne geben den deutschen Herstellern insgesamt mehr Zeit; der eigentlich bereits beschlossene Zeitplan bis ins Jahr 2020 wird umgeschrieben.
Die litauische EU-Ratspräsidentschaft und Vertreter des Parlaments hatten sich am Dienstagabend darauf verständigt, dass ein Autohersteller Elektroautos von 2020 bis 2022 stärker anrechnen lassen kann („Supercredits“), um so seinen Gesamtwert bei der Verschmutzung zu drücken. Statt wie bisher geplant 2,5 Gramm CO2 fließen in die Berechnung von 2020 bis 2022 bis zu 7,5 Gramm pro Kilometer ein. Dies erlaubt den Herstellern, mehr Fahrzeuge mit einer ungünstigeren CO2- Bilanz zu verkaufen. Vor allem Daimler, BMW, Porsche und Audi profitieren.
Zudem soll der Ausstoß von maximal 95 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer für alle Neuwagen eines Herstellers erst 2021 und damit ein Jahr später als bisher geplant gelten. Im Ergebnis müssen 2020 deshalb nur 95 Prozent der Fahrzeuge eines Herstellers die Norm von 95 Gramm erfüllen. Der Kompromiss muss noch die Zustimmung der Mitgliedsstaaten und des gesamten EU-Parlaments finden.
Während sich die Automobilkonzerne und der Verband der Automobilindustrie (VDA) am Mittwoch nicht zu dem Brüsseler Kompromiss äußern wollten, übten Umweltverbände scharfe Kritik. „Daimler-Chef Dieter Zetsche hat die Kanzlerin Angela Merkel erfolgreich ferngesteuert und einen Kompromiss ausgehebelt, der zuvor im Trilog unter aktiver deutscher Beteiligung zustande gekommen war“, kommentierte Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH), den EU-Kompromiss. Das Ergebnis zeige, dass „spritdurstige deutsche Premium-Limousinen und SUVs das Maß der Dinge auf deutschen und europäischen Straßen“ blieben.
Auch Greenpeace kritisierte die EU- Pläne: „So machen sich Deutschland und die EU mitschuldig an den künftigen Opfern des Klimawandels“, sagte Franziska Achterberg von Greenpeace Brüssel. Vor allem Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die sich im Sommer gegen einen ersten Kompromiss auf EU-Ebene gesperrt hatte, stand am Mittwoch weiter in der Kritik. „Mit ihrer gezielten Intervention nötigte die deutsche Bundeskanzlerin die Brüsseler Institutionen, einen bereits schwachen Kompromiss noch weiter zu verwässern“, sagte die Vorsitzende der Grünen im Europa-Parlament, Rebecca Harms. Die europäische Klimapolitik müsse mit der Einigung einen weiteren Rückschlag einstecken. Die Umweltorganisation Transport & Environment beklagte, dass das 95-Gramm- Ziel durch die Regelungen weiter abgeschwächt werde, um es deutschen Autoherstellern recht zu machen. Allerdings werde die Einigung endlich Planungssicherheit schaffen. „Die Zeit ist abgelaufen und der Rat (der EU-Staaten) muss das ohne weitere Ergänzungen oder Verzögerung unterzeichnen.“ Der Zielwert von 95 Gramm CO2-Ausstoß pro Kilometer bezieht sich auf den Durchschnitt aller europäischen Neuwagen. Für jeden einzelnen Hersteller gelten spezifische Vorgaben.
Erleichtert äußerte sich der SPD-Europaabgeordnete Matthias Groote, einer der Verhandler, nach der Sitzung in Brüssel. „Die Kuh ist vom Eis“, sagte er. Als sicher kann die Einigung aber erst gelten, wenn beide Seiten – also EU-Kommission und -Parlament – offiziell zugestimmt haben. Groote begrüßte auch die höhere Anrechnung von Elektroautos. „Ich glaube, dafür müssen wir uns nicht schämen“, lobte der Parlamentarier. Der Berichterstatter für das EU-Parlament, Thomas Ulmer (CDU), hatte den Kompromiss nach der Einigung am Dienstag als fair bezeichnet. „Die Autos werden nochmals deutlich sparsamer und die europäischen Hersteller bleiben Marktführer bei umweltschonenden Fahrzeugen.“
Litauens stellvertretender Botschafter bei der EU, Arunas Vinciunas, bestätigte am Mittwoch, dass es einen neuen Kompromissvorschlag gebe. Sein Land hat derzeit den Vorsitz der EU-Staaten und gehört deshalb zu den Verhandlungsführern. Man habe eine „delikate Balance gefunden“, erklärte Vinciunas. Litauen werde das Ergebnis an diesem Freitag den EU-Botschaftern zur Analyse vorlegen – in der Hoffnung auf eine Bestätigung. Ein eigentlich bereits im Sommer erzielter Kompromiss war im Nachhinein am Widerstand Deutschlands gescheitert. Deshalb wurden weitere monatelange Verhandlungen nötig. mit dpa