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Oliver Burkhard sollte in ein paar Jahren Vorsitzender der IG Metall werden. Doch der entschied sich anders.
© dpa

Oliver Burkhard im Interview: „Der Vorstand geht in die Kantine“

Thyssen-Krupps Personalvorstand Oliver Burkhard spricht im Interview über den Kulturwandel im Konzern und die Ursachen milliardenschwerer Fehlinvestitionen in Amerika.

Herr Burkhard, wo waren Sie am 25. Februar?

Natürlich hier in der Unternehmenszentrale. Sie spielen an auf die Demonstration der IG Metall bei uns vor dem Haus – selbstverständlich bin ich zu den Leuten gegangen und habe manche begrüßt. Ich kenne ja viele.

Vor zwei Jahren hätten Sie die Protestierer angeführt.

Möglich, ja. Kundgebungen und Demonstrationen sind ja auch in Ordnung und gehören dazu, wenn um die beste Lösung für das Unternehmen gerungen wird.

Ihre Lösung ist aber nicht mehr die Lösung der IG Metall.

Wir haben uns im Konzern dafür entschieden, verschiedene Dienstleistungen neu zu organisieren. Wir haben in diesem Bereich keine modernen und damit auch keine kostengünstigen Strukturen, wie andere Unternehmen sie längst haben.

Ihr Nachfolger als IG-Metall-Chef von Nordrhein-Westfalen wirft Ihnen nun vor, erstmals eine „rote Linie“ zu überschreiten, indem tausende Arbeitsplätze gestrichen oder verlagert werden.

Ich bin vorsichtig mit roten Linien. Im Herbst letzten Jahres haben wir Sondierungsgespräche geführt und unser Zielbild erläutert. Und wir sind auch weiter gesprächsbereit. Konkret geht es darum, wie man zurzeit dezentral ausgeführte Prozesse bündeln kann. Da geht es um Aufgaben, die grundsätzlich standortunabhängig sind, wie bestimmte Aufgaben im Rechnungswesen, in der IT, im Immobilienmanagement und im Personalbereich. Wieso sollen wir zum Beispiel Reisekostenabrechnungen an 160 verschiedenen Orten in der Welt machen?

Wie viel soll gespart werden?

Langfristig könnten das nach jetziger Planung bis zu 180 Millionen Euro pro Jahr sein.

Wo kommen dann die 2,3 Milliarden Euro her, die der Vorstand bis 2015 sparen will?

Zu dem Programm gehören ganz verschiedene Maßnahmen aus unseren Geschäftsbereichen, aber auch zentrale Projekte, wie die Verringerung der Einkaufskosten. Mit der Verschlankung der Verwaltung werden wir weltweit nach und nach 3000 bis 3300 Stellen reduzieren. Wir haben aber klar gesagt, dass wir diesen Abbau ohne betriebsbedingte Kündigungen schaffen wollen.

Aber Arbeitsbereiche verschwinden oder werden verlagert – wieder einmal müssen die Arbeitnehmer die milliardenteuren Fehler der Manager bezahlen.

Das ist nicht ganz fair, denn hier wurde schon die Treppe von oben nach unten gekehrt. In Vorstand und Aufsichtsrat wurden Konsequenzen gezogen. Verantwortliche haben ihren Job verloren. Und wir haben die Konzernzentrale in den vergangenen 18 Monaten um ein Fünftel verkleinert – übrigens auch ohne eine betriebsbedingte Kündigung.

Haben Sie eine Erklärung für die folgenschweren Fehlentscheidungen an der Konzernspitze?

Es gab hier ein sehr hierarchisches System. Und es fehlte eine moderne Feedback-Kultur.

Also Befehl und Gehorsam.

In solchen Systemen traut sich keiner, schlechte Nachrichten nach oben weiterzugeben. Es gab vermutlich eine Reihe von Leuten, die gesehen haben, wie die Kosten der zwei Stahlwerke in Brasilien und in den USA von 3,5 Milliarden auf zwölf Milliarden Euro davonliefen. Aber es gab eben kein Korrektiv, keine Kultur, in der jemand ohne Angst sagen kann: „Stopp, hier läuft etwas völlig falsch“.

Kaum zu glauben in einem Weltkonzern.

Die Finanzkraft des Konzerns hat ausgereicht für eine riesige Investition, aber die Unternehmenskultur war nicht dafür geeignet. Die Denke war zu wenig international, und man war wohl auch zu überheblich. Man hat geglaubt, mit dem Stahl gehe es nur noch bergauf, und hat dann alles auf eine Karte gesetzt. Heute gehen wir Probleme aktiv an und sind unter der Führung von Heinrich Hiesinger jetzt auch in der Lage, Entwicklungen zu korrigieren.

Das Pendel schlägt jetzt um und der Vorstand würde gerne raus aus dem Stahl.

Das stimmt nicht. Unser europäisches Stahlgeschäft mit dem Duisburger Werk ist gut aufgestellt. Im Gegensatz zu vielen Wettbewerbern verdienen wir Geld. Wir wollen uns mit unserem derzeitigen Portfolio als diversifizierter Industriekonzern weiterentwickeln. Dazu gehört auch, dass wir allen Konzernbereichen die nötige Aufmerksamkeit widmen. Bei den Investitionen, aber eben auch bei der Integration. Da gab es viele Freiheiten.

Was ist daran so schlimm?

Der Konzern hat eine gemeinsame Geschichte von 202 Jahren und gemeinsame Werte. Früher hat man eher das Trennende gesucht, jetzt betonen wir das Gemeinsame. Wir sind ein Konzern und wir müssen zusammenarbeiten und auch kulturell zusammenwachsen, um Erfolg zu haben. Unser Ziel ist eine gemeinsame wertebasierte Leistungskultur.

Was ist das denn?

Thyssen-Krupp ist ein guter Arbeitgeber und wir betonen das in unserem Leitbild. Werte wie Offenheit und gegenseitige Wertschätzung, Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit gehören dazu. Wer sich daneben benimmt, bekommt die gelbe oder auch mal die rote Karte. Anständigkeit ist ein hoher Wert, und es gilt null Toleranz beim Thema Compliance. Auch Themen wie Arbeitssicherheit sind uns wichtig – wo auch immer wir auf der Welt eine Fabrik bauen. Wir haben im vergangenen Jahr 15 tödliche Unfälle gehabt. Jeder einzelne Fall wird analysiert, um die Ursachen zu beheben, daraus für die gesamte Organisation zu lernen und für die Zukunft tödliche Unfälle zu vermeiden.

Das klingt alles gut. Aber was hilft es, wenn der gesamte Konzern unter dem brasilianischen Stahlwerk in die Knie geht?

Wir machen da gute Fortschritte – sowohl bei der technischen Leistungsfähigkeit als auch der Effizienz. Ganz besonders wichtig ist der Vertrag mit den Käufern unseres Stahlwerks in den USA: Zwei Millionen Tonnen Brammen übernimmt das Werk in Alabama aus Brasilien pro Jahr. Damit ist dort schon ein wesentlicher Teil der Auslastung über Jahre gesichert. Gleichzeitig erschließen wir uns neue Märkte in Nord- und Südamerika.

Was steht außer Brasilien in diesem Jahr noch im Fokus?

Wir wollen halten, was wir versprochen haben. Das ist ein operatives Ergebnis von rund einer Milliarde. Auch unser Nettoergebnis soll in diesem Jahr wieder in Richtung einer schwarzen Null gehen. Wir treiben aber auch den Kulturwandel voran. In meinem Bereich steht erstmals eine Mitarbeiterbefragung bei 150 000 Beschäftigten an. Überschrift: „Deine Meinung ist uns wichtig.“ Wir wollen wissen, was in den Köpfen der Leute vorgeht. Dann können wir auch besser werden. Alles in allem gehen wir weiter auf dem Weg zum neuen Thyssen-Krupp- Konzern. Dabei können sich die Mitarbeiter auf einen korrekten und anständigen Arbeitgeber verlassen und die Kunden auf einen zuverlässigen Partner.

Ist der Konzern attraktiv als Arbeitgeber?

Arbeitgeber mit konsumnahen Produkten wie Autos scheinen auf den ersten Blick vielleicht beliebter. Aber wir haben in Deutschland konstant rund 120 000 Bewerbungen im Jahr für Ausbildungs- und Einstiegsplätze nach dem Studium. Bei den Ingenieurwissenschaften haben wir etwas verloren, da machen sich die schlechten Nachrichten der vergangenen Jahre bemerkbar. Aber die Guten und Mutigen mit Gestaltungsanspruch kommen gerne zu uns. Es gibt keinen besseren Zeitpunkt, um in einem Konzern einzusteigen. Denn Thyssen-Krupp ist im Aufbruch. Wer gestalten und etwas bewirken will, der ist hier richtig.

Und die Zeit der Ruhrbarone ist vorbei?

Das wäre zu einfach. Aber es entsteht eine neue Kultur, die wenig Privilegien übrig lässt. Ich will es mal so sagen: Das Baroneske tritt hinter das Bürgerliche zurück. Ein Vorstand geht heute zum Mittagessen in die Kantine. Das gab es früher nicht, der Vorstand hatte ein eigenes Restaurant. Das haben wir geschlossen.

Das Gespräch führt Alfons Frese.

Konzern & Karriere

Der Weg war klar: 1972 in Frankfurt am Main geboren, sollte der Verwaltungsfachangestellte, studierte Betriebswirt und IG-Metall-Funktionär im Jahr 2019 zum Vorsitzenden der größten Gewerkschaft gewählt werden. Burkhard, seit 2007 IG-Metall-Chef von NRW, war das größte Talent in der 2,3 Millionen-Mitglieder-Organisation.

Dann kam alles anders. Seit gut einem Jahr ist Burkhard als Personalchef für weltweit 150 000 Mitarbeiter von Thyssen-Krupp zuständig. In schwieriger Zeit, denn der Konzern hat Milliarden mit Stahlwerken in Übersee verloren und erfindet sich gerade neu.

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