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Ein neu gestalteter Supermarkt mit hellen Lampen und viel Platz auf den Gängen.
© Georg Moritz

Einkaufen als Erlebnis: Der Super-Markt der Zukunft

Einzelhändler wollen Shoppen zum Event machen. Dabei manipulieren sie den Kunden mit immer raffinierteren Methoden.

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Man lässt sich Zeit in diesem Markt. Hektik wäre fehl am Platze. Stattdessen Wohlfühlatmosphäre, gedämpftes Licht, Holz und Steine an der Wand, Schiefer auf dem Boden. Großzügige Bedientheken, dazwischen eine Bank zum Ausruhen. Neben den Weinregalen aus Holz lenkt die Kinderecke den Nachwuchs ab und verschafft den Eltern Zeit, in Ruhe den Wein fürs Abendessen auszusuchen. Es sei denn, die Familie kehrt gleich hier ein, im neuen Reichelt-Markt auf der Truman-Plaza in Berlin-Zehlendorf und nimmt einen Snack im ladeneigenen Bistro. Essen, shoppen, chillen – in den Supermärkten der neuen Generation geht all das unter einem Dach.

„Die Kunden machen sich mehr Gedanken darüber, wo, wie und was sie einkaufen“, sagt Kai Falk vom Handelsverband HDE. Die großen Handelsketten haben das längst erkannt und reagieren darauf. Überall in der Republik entstehen neue Märkte, die schicker, aufregender oder gemütlicher sind, als man das von den herkömmlichen Supermärkten gewohnt war.

Allen voran die beiden Großen der Branche. 1,6 Milliarden Euro investierte Deutschlands größte Handelskette Edeka, zu der auch der Discounter Netto gehört, im vergangenen Jahr in die Erweiterung und Modernisierung seiner Handelsinfrastruktur und macht in diesem Jahr munter weiter. 200 neue Märkte sind für 2014 geplant, davon allein vier bis fünf in der Hauptstadt. „Wir wollen auch in Berlin die Nummer eins werden“, kündigt Hans-Ulrich Schlender an, der für Edeka und die Edeka-Tochter Reichelt in Berlin, Brandenburg und Sachsen-Anhalt zuständig ist. Bisher hat hier noch Konkurrent Kaiser’s die Nase vorn.

Die Rückkehr der Tante-Emma-Läden

Auch Rewe, deutschlandweit die Nummer zwei, plant Expansionen. 1,5 Milliarden Euro haben die Kölner, die auch den Discounter Penny zu ihrer Gruppe zählen, europaweit in ihre Läden gesteckt, rund die Hälfte davon hat Rewe-Chef Alain Caparros in Deutschland ausgegeben. Mit dem Geld will der Manager, der seit 2006 an der Konzernspitze steht, Orte schaffen, die die Menschen „lieben wie früher den Marktplatz“. Fünf „Temma“-Filialen hat er dazu eröffnet, Bio-Märkte, in denen Supermarkt, Gastronomie und Treffpunkte wie auf einem Marktplatz mit einander verbunden werden sollen. In Berlin müssen Rewe-Kunden darauf jedoch noch warten. „Aktuell ist kein Temma in der Planung“, berichtet Rewe-Sprecher Thomas Bonrath. Dafür steht seit 2009 in Berlin-Rudow ein ökologischer Rewe-Vorzeigemarkt, der besonders energieeffizient und nachhaltig wirtschaftet.

Kaufen wird immer mehr zum Event. Je länger die Kunden im Markt bleiben, desto voller wird der Einkaufskorb. Und je freundlicher das Fachpersonal an der Fleischtheke, desto mehr ist der Verbraucher gewillt, die empfohlenen Rezepte und Zutaten zu Hause auszuprobieren. Handelsexperten stellen Kaufleuten, die ihre Läden aufhübschen wollen, Umsatzsteigerungen von bis zu 40 Prozent in Aussicht. Selbst die Discounter lassen jetzt Licht und Farbe in ihre Märkte. Aldi, Penny und Netto – sie alle renovieren ihre Läden peu à peu, rücken Obst und Gemüse ins rechte Licht, strahlen Backwaren an oder stellen ihre Regale nicht mehr längs, sondern quer auf. Das sorgt für Gemütlichkeit.

In Frankfurt hat Rewe Läden in historischen Straßenbahndepots eröffnet. In München ist ein Basic-Ökosupermarkt entstanden, dessen Sprossenfenster und ausladende Bauweise an eine Kirche erinnern. In Hamburg wollen die Edeka-Kaufleute Herwig Holst und Jörg Meyer in der Nähe des St.-Pauli-Stadions ein großes Center in einer einstigen Rindermarkthalle eröffnen – mit Wochenmarktflair, Gastronomie und Ausstellungen von Künstlern. Selbst die dort ansässige Moschee soll integriert werden.

Aussteigerträume im Arbeiterbezirk - beim Einkaufen

Wenige Kilometer entfernt hat Dieter Niemerszein in seinem Edeka-Laden im Szeneviertel St. Georg einen echten Tante-Emma-Laden wiederaufgebaut, mit Originalmobiliar, das er sich von Roncalli-Gründer Bernhard Paul besorgt hat. In Hannover ist ein Edeka-Markt nach Feng-Shui-Prinzipien eingerichtet worden – mit runden Formen und einem Springbrunnen in der Mitte. Im Dortmunder Arbeiterviertel Huckarde betreibt Uwe Osterhoff seinen preisgekrönten Edeka-Markt mit goldener Fassade, Bananenbäumen und Tüchern aus Segelleinen, die von der Decke hängen. Der Laden, Spitzname: „das goldene Ei von Huckarde“, soll so Urlaubsfeeling verbreiten – Aussteigerträume im Arbeiterbezirk.

„Wir entwickeln jeden Standort individuell, es gibt keine Supermärkte von der Stange“, versichert Andreas Laubig, Sprecher von Edeka Minden-Hannover, wozu auch Berlin gehört. Und doch ähneln sich alle modernen Märkte in wesentlichen Punkten. Konsumforscher analysieren unentwegt unser Einkaufsverhalten und arbeiten mit Händlern und Herstellern an der maximalen Manipulation. Studien zeigen, dass mehr gekauft wird, wenn ein Markt gegen den Uhrzeigersinn aufgebaut ist. Linksherum läuft es sich leichter, die Wandregale liegen zur Rechten, Rechtshänder können so besser zugreifen. Die Rennstrecke verläuft folglich wie ein auf dem Kopf stehendes U an den Außenwänden entlang – fast alle neuen Läden folgen diesem Modell. Artikel des täglichen Bedarfs stehen ganz oben, Fachleute sprechen von der Reckzone. Am besten zu erreichen, in der Sicht- und Greifzone, sind teure Angebote. Nach Billigem muss man sich erst bücken. Das ist gelernt.

Jeder Fleck im Markt ist mit Hintersinn gestaltet

Aber Achtung: „Inzwischen sortieren einige Händler teurere Produkte wieder nach unten“, sagt Doreen Pick, Marketingprofessorin an der Freien Universität Berlin. Preisbewusste Kunden rechnen damit, die günstigsten Artikel unten zu finden – und vergleichen gar nicht. Perfide? Die „Quengelzone“ vor den Kassen, die hochpreisige Kleinteile wie Süßigkeiten in bester Sichthöhe der Kleinen präsentiert, ist vielen ein Begriff. „Tatsächlich ist kaum ein Fleck im Supermarkt nicht psychologisch durchdacht“, sagt Pick.

Nur wenige Märkte platzieren ihre Waren selber. Die Hersteller bezahlen sogenannte Category Manager, die ihnen die Verantwortung für ganze Regalreihen abnehmen. Die sorgen dann zum Beispiel dafür, dass in jeder Gruppe ein außerordentlich teures Produkt dabei ist, damit ein anderes daneben günstiger erscheint.

Obst und Gemüse finden sich traditionell im Eingangsbereich – aus zwei Gründen. „Zum einen vermittelt das Frische“, sagt Pick. Zum anderen beruhigt es das Gewissen, wenn bereits etwas Gesundes im Einkaufswagen liegt: Kunden greifen dann eher noch zu Chips und Schokolade.

Wer nur Milch, Eier und Mehl besorgen will, hat es schwer. Meist sind derlei Grundnahrungsmittel ganz hinten im Supermarkt untergebracht, und dazu möglichst verteilt. „Der Kunde muss sie erst suchen und auf seinem Weg nahezu den gesamten Markt passieren.“ Typisch ist auch, dass Toilettenpapier in einem Seitengang in der Marktmitte versteckt ist. Wer es wirklich braucht, ist gezwungen, die Rennstrecke zu verlassen – und in das Gängelabyrinth einzutauchen.

Frauen kaufen mehr ohne den Mann im Schlepptau

70 Prozent der Kaufentscheidungen fallen erst im Supermarkt. „Oberstes Ziel ist es darum, den Einkauf in die Länge zu ziehen“, erläutert eine Berufschullehrerin, die vorher für einen großen Einzelhändler tätig war. Häufig fängt das schon am Eingang an. Drehtüren oder Schranken dienen nicht dazu, Diebstahl zu erschweren, sondern das Schritttempo zu verlangsamen. Die nächste Bremszone bilden Aktionstische, die bewusst in den Weg gestellt werden. Fast schon Standard sind in der neuen Generation Supermärkte glänzende Böden. „Die sehen nicht bloß schick aus“, sagt die Fachfrau. „Sie suggerieren, es könnte rutschig sein.“ Automatisch gehen die Menschen langsamer.

Nicht einmal die Musik kommt zufällig vom Band. Vormittags ist sie auf Ruheständler abgestimmt, am Nachmittag wird sie hipper, wenn die Studenten kommen. Abends dominieren sanfte Klänge; wer von der Arbeit kommt, soll sich entspannen. Dabei halten alle Lieder in etwa die Taktung von 72 Bassschlägen pro Minute ein. So bleibt der Körper am aktivsten. „Die ideale Shoppingtemperatur ist 19 Grad“, sagt Pick von der FU. „Ist es wärmer, werden die Besucher träge. Ist es zu kühl, wollen sie schnell wieder raus.“

Es gibt unzählige weitere Kniffe. Neben den günstigsten Spaghetti steht teure Tomatensauce, weil viele zu bequem sind, eigens zur Saucenabteilung zu gehen. Brötchen werden allein ihres Duftes wegen erst vor Ort aufgebacken. Andere Händler versprühen künstliche Düfte und erreichen das Gleiche: Der Appetit wird angeregt. Dabei erfüllen die so üblich gewordenen Imbisszonen noch einen ganz anderen Zweck, als eben diesen zu befriedigen. „Eine preiswerte Wurst am Eingang fängt die Männer ab“, sagt die ehemalige Markt-Managerin. Männer stören nur, denn: Eine Frau kauft nachweislich doppelt so viel, wenn sie ohne Mann einkaufen geht.

Im neuen Reichelt in Berlin-Zehlendorf, der im vergangenen September eröffnet worden ist, sind die Bistrotische zur Mittagszeit vor allem belagert von Schülern der nahe gelegenen Wilma-Rudolph-Sekundarschule und von Studenten, die nicht nur die Snacks, sondern auch das kostenlose W-Lan-Netz zu schätzen wissen. Es gibt Truman-Burger, -Hotdogs und Donuts. An die Wände hat die Innenarchitektin Bilder des Rosinenbombers pinseln lassen, am Eingang erinnert eine Tafel an die Luftbrücke. Es ist die Geschichte, die dem Laden sein Gesicht gibt. „Man atmet Historie an dieser Stelle“, sagt Geschäftsführer Schlender. Dort, wo heute mitten im Neubaugebiet „Fünf Morgen“ der Reichelt-Markt steht, war zur Zeit der Alliierten die Truman-Hall, in der nur die US-Streitkräfte einkaufen durften. „Etwas Verbotenes“ habe diesen Ort umgeben, erinnert sich Schlender, „wir Berliner durften da nicht rein“.

„Viele Kunden sind hier groß geworden“, erzählt Marktleiterin Caroline Süß. Zur Kundschaft gehören jedoch auch internationale Besucher, Diplomaten oder wohlsituierte Zugezogene, die sich im bürgerlichen Zehlendorf niedergelassen haben. Dennoch, so versichert Schlender, sind die Preise im neuen Vorzeigeladen nicht höher als anderswo.

Man gibt bloß mehr Geld aus.

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