zum Hauptinhalt
Stress im Führerhaus. Die Lokführer beklagen Überstunden und kurze Pausen. Die Gewerkschaft GDL fordert feste Regeln.
© dpa

Tarifrunde bei der Deutschen Bahn: Der Streit um Stress, Pausen und flexible Dienstpläne

Die Deutsche Bahn und die Gewerkschaften EVG und GDL verhandeln über Arbeitszeiten und Ruhephasen – der Konzern sieht sich im Vorteil.

Berlin - Sie verhandeln wieder: Die Tarifgespräche der Deutschen Bahn mit der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) sind am Mittwoch in Berlin in die zweite Runde gegangen. Für Freitag ist auch mit der Gewerkschaft der Lokführer (GDL) ein weiterer Verhandlungstermin in Bonn angesetzt. Während die EVG einen Abschluss für die von ihr vertretenen rund 100 000 Beschäftigten noch in diesem Jahr für möglich hält, ist eine Einigung mit der GDL nicht in Sicht. Insgesamt geht es um 150 000 Beschäftigte.

Bahn und GDL streiten sich weniger über Geld – die Gewerkschaft fordert vier Prozent mehr Lohn–, sondern über die Arbeitszeiten und die Schichtplanung für die von der GDL vertretenen rund 18 000 Lokführer. Die Gewerkschaft fordert „spürbare Verbesserungen bei den Arbeitszeitregelungen“ wie langfristig planbare Schichtrhythmen und Ruhezeiten. Sie verweist auf die große Zahl von Überstunden und die hohe Belastung der Lokführer im Schicht- und Nachtdienst. Weil es zu wenige Lokführer gibt, türmen sich Millionen Überstunden. Bis Mitte 2016 hatte jeder DB-Lokführer rund 80 Überstunden gesammelt. Es wurden zwar eine Million Überstunden abgebaut, aber Dreiviertel davon laut GDL mittels Auszahlungen, also ohne Freizeitausgleich.

Die Bahn hatte bei der letzten Verhandlungsrunde eigene Arbeitszeitmodelle vorgeschlagen. Doch ein Kompromiss zeichnet sich nicht ab. Im Prinzip will die GDL Arbeitszeiten in einem neuen, allgemein verbindlichen Tarifvertrag regeln, während die Bahn auf flexible betriebliche Lösungen setzt. Die Dienstplangestaltung gehöre nicht an den Verhandlungstisch, sondern in die Hände der betrieblichen Mitbestimmung, hatte DB-Personalchef Ulrich Weber argumentiert. Für die Beschäftigten im Eisenbahnbetrieb gibt es nach Konzernangaben rund 30 tarifvertragliche Regelungen zur Schichtplangestaltung. Mehr als fünf Schichten pro Woche müsse auch das Schichtpersonal im Schnitt nicht leisten, bei einer Wochenarbeitszeit von 39 Stunden, sagt die Bahn.

Wie die betrieblichen Lösungen in der Praxis aussehen, zeigt das Unternehmen zum Beispiel am Berliner Hauptbahnhof, wo Bahn und Beschäftigte 2008/2009 im Rahmen des Tarifvertrags betriebliche Arbeitszeitprojekte verabredet haben. Der Hauptbahnhof gehört zum DB-Geschäftsbereich Station & Service mit insgesamt fast 5800 Mitarbeitern. Im Hauptbahnhof arbeiten insgesamt 400 Bahn-Beschäftigte, 80 davon im Bereich Station & Service, von denen wiederum 69 im Schichtdienst tätig sind – im Service, in der Betriebszentrale oder als Zugansager. „Bevor wir die Grunddienstpläne machen, schauen wir uns die Interessengruppen an“, sagt Arbeitszeitadministrator Lars Lorenz. „Davon gibt es am Hauptbahnhof besonders viele.“ Mütter, die nur tagsüber arbeiten können. Ältere, die Nachtschichten vermeiden. Flexible, die auch kurzfristig umplanen können. Oder Pendler aus Brandenburg. Entsprechend differenziert sehen die vier Grundpläne aus.

Geplant wird immer für ein Jahr. Am Tisch sitzen bei der Langfristplanung auch Bahnhofsmanager und Betriebsrat. Über eine elektronische Tauschbörse oder nach Rücksprache mit den Dienstplandisponenten können die Beschäftigten kurzfristig umdisponieren. „Wir wollen den Mitarbeitern Planbarkeit bieten“, sagt Lorenz. So kann es vorkommen, dass auch mehr als fünf Schichten in Folge gearbeitet werden, an einzelnen Standorten sogar sieben – vorausgesetzt, dass in den übrigen Wochen zwei Ruhetage in Folge eingehalten werden. Hier haben Bahn und Betriebsrat eine Öffnungsklausel im alten Tarifvertrag mit der EVG genutzt, die derzeit neu verhandelt wird.

„Es gibt Mitarbeiter, die gerne länger am Stück arbeiten wollen, dafür aber auch länger frei haben“, sagt Mathias Dumke, Projektleiter Arbeitszeitgestaltung bei DB Station & Service. „Individualisierung ist das Richtige.“

Die GDL hält dagegen und spricht von „ominösen Projekten“ und einer erfolglosen Individualisierung von Arbeitszeit. Sie fordert zwei Ruhetage in Folge pro Woche und einen verbindlichen Jahresruhezeitplan für das ganze Kalenderjahr. Tatsächlich scheinen zwischen Lokführern und Bahnhofspersonal Welten zu liegen. Überstunden sind im Geschäftsbereich Station & Service – mit regionalen Ausnahmen – kein Thema.

Doch die Bahn glaubt, nicht nur am Vorzeigebahnhof in der Hauptstadt mit ihrer partizipativen Arbeitszeitgestaltung die für alle beste Lösung gefunden zu haben. Die Mitarbeiterbeteiligung habe auch schon in 16 Betrieben mit Lokführern stattgefunden, erklärt das Unternehmen. Nicht nur im Fern- und Regionalverkehr, sondern auch bei der Berliner S-Bahn. „Insgesamt arbeiten schon 3626 Lokführer bei der DB nach Schichtplänen, die in einem solchen partizipativen Prozess entwickelt wurden.“

Bevor man sich mit der GDL verhakt, setzt die Bahn auf einen schnellen Abschluss mit der EVG. Am Mittwoch wollte sie „erste Angebote vorlegen“, wie eine Sprecherin sagte. „Die Deutsche Bahn will vorankommen und am Verhandlungstisch zügig Ergebnisse.“ Die EVG fordert 4,5 Prozent mehr Geld und als zweite Komponente eine Wahlmöglichkeit für den einzelnen Arbeitnehmer: Mitarbeiter sollen zwischen sechs Tagen mehr Urlaub im Jahr, einer Stunde weniger Wochenarbeitszeit oder weiteren 2,5 Prozent mehr Geld wählen können.

Zur Startseite