Tos Chirathivat: Der König des KaDeWe
Vor zwei Jahren kaufte der Thailänder Tos Chirathivat das Berliner Kaufhaus KaDeWe. Was er damit vorhat, kann man in Bangkok schon sehen.
Tos Chirathivat lächelt. Das ist für einen Thai die angemessene Haltung im Umgang, erst recht mit Ausländern. Doch gibt es diesen Moment, in dem sich seine Miene verfinstert. Als es kurz um den neuen Berliner Flughafen geht, genauer, um dessen Eröffnung. Er habe gehört, sagt der 53-Jährige, während der Blick durch die großen Fenster nach draußen geht, über die Skyline Bangkoks und den Garten der britischen Botschaft, dass das in diesem Jahr nichts werden würde. „Aber doch bestimmt im nächsten?“
Offensichtlich hat noch niemand gewagt, dem Mann im gutgeschnittenen Anzug, das Hemd dazu trägt er mit offenem Kragen, die volle Wahrheit zu offenbaren. Berlin ist in den Augen von Tos Chirathivat die Nummer drei in Europa, nach London und Paris. Ein touristischer Hotspot, eine Metropole, von der er glaubt, dass sie zur wichtigsten Stadt des Kontinents aufsteigen könnte. Doch: „Ein vernünftiger Flughafen ist unabdingbar.“
Seine Ungeduld ist nachvollziehbar – der neue Airport wäre auch für seine Geschäftsstrategie entscheidend. Tos Chirathivat hält die Mehrheit am Berliner KaDeWe. Das wiederum macht 40 Prozent seines Umsatzes mit Touristen, vorzugsweise mit solchen, die auch gern mal etwas mehr ausgeben. Auf diesem Gebiet heißen die Konkurrenten Saks Fifth Avenue, Selfridge’s oder Galeries Lafayette, stehen in New York, London oder Paris.
Chirathivat ist im Warenhaus aufgewachsen
Dieser Kundschaft muss etwas geboten werden. Die Chirathivats sind seit zwei Jahren in Berlin aktiv, wohin sie steuern, lässt sich seit einem Jahr erahnen. Im November 2016 eröffneten die ersten beiden neuen „Quadranten“ im KaDeWe, die je ein Viertel der Etagenfläche einnehmen: Der für Männerschuhe im ersten und im zweiten Stockwerk „Women’s Fashion“ – in Abgrenzung zur „Damenmode“ gleich nebenan. Innenarchitekten aus Paris und Mailand gestalteten die neuen Segmente für Kollektionen von Modedesignern wie Dries van Noten, Gucci oder Stella McCartney. Für den Masterplan ist der niederländische Stararchitekt Rem Koolhaas verantwortlich. Weitere aufwendige Umbauten sind angekündigt, ab 2018.
Wer aber sind die Chirathivats? Wofür stehen sie, und was ist von ihnen zu erwarten? Antworten darauf findet man in Bangkok. Tos Chirathivat gewährt ein Gespräch im Central Embassy in Bangkok, der jüngsten unter den edlen Shopping Malls des thailändischen Clans. Er ist der geschäftsführende Gesellschafter der Central Group, die im Mittelpunkt eines Handels- und Immobilienimperiums steht. Die Chirathivats zählen zu den reichsten Familien Thailands. „Forbes“ führt sie aktuell auf Platz drei.
In Europa tauchte die Familie erstmals 2011 auf. Damals erwarben sie Rinascente, das Prunkstück des Warenhausunternehmens mit 150-jähriger Geschichte steht gleich neben dem Mailänder Dom. 250 Millionen Euro zahlten die Thailänder dafür, investierten weitere 200 Millionen, wie Chirathivat bestätigt. 2013 kam Illum dazu, ein Kopenhagener Kaufhaus mit ebenfalls über 100 Jahren Tradition. Und 2015 erwarben die Thais 50,1 Prozent vom operativen Geschäft der KaDeWe-Group, bestehend aus dem Oberpollinger in München, dem Hamburger Alsterhaus und dem KaDeWe. Der österreichische Unternehmer René Benko, der die Häuser erst ein Jahr zuvor erworben hatte, behielt die Immobilien. An denen hatten die Thais kein Interesse. „Das Kaufhausgeschäft“, sagt Tos Chirathivat, „ist unsere Leidenschaft. Wir sind in einem Warenhaus aufgewachsen.“
Das ist durchaus wörtlich gemeint. Bereits mit zehn Jahren arbeitete der kleine Tos in seinen Ferien im Central Chidlom, dem Flaggschiff des Unternehmens in Bangkoks Innenstadt. Das 1973 gegründete Edelkaufhaus übertrifft mit seinen 68 000 Quadratmetern noch das KaDeWe, immerhin größtes Einzelkaufhaus des europäischen Kontinents.
"Wir stellen eine Sammlung aus traditionsreichen Luxuskaufhäusern zusammen"
Wie viel aber war den Chirathivats ihre Leidenschaft in Deutschland wert? Das Budget betrage rund 400 Millionen Euro, sagt Tos Chirathivat nach kurzem Zögern. Der größte Teil davon werde wohl ins KaDeWe selbst fließen. „Wir interessieren uns nicht für Warenhausketten“, sagt er, „wir sind in Deutschland, weil wir eine Sammlung aus traditionsreichen Luxuskaufhäusern zusammenstellen.“ Luxus und Tourismus sind die beiden global florierenden Trends, an die er glaubt.
In Bangkok haben die Chirathivats gerade ihr Flaggschiff Central Chidlom aufgewertet. Im August eröffnete die neugestaltete Lebensmittelabteilung, sie erinnert nicht von ungefähr an das Berliner Pendant. Die Teams beider Häuser würden zusammenarbeiten, sagt Chirathivat.
Viele Schlüsselpositionen in der Firmengruppe werden von Mitgliedern der Familie Chirathivat besetzt. Der Großvater kam einst in den 1920er Jahren als Einwanderer aus China nach Bangkok, gründete hier sein erstes Warenhaus. Inzwischen gibt es an die 200 Nachkommen, rund 70 arbeiten im Familienunternehmen. Viele von ihnen wohnen sogar gemeinsam in einem von der Gruppe errichteten Häuserkomplex in Bangkok.
Neben der Disziplin, mit der schon die jüngeren Familienmitglieder zur Arbeit im Unternehmen angehalten werden, hält Tos Chirathivat die enge Verbundenheit der Verwandtschaft für eines der Erfolgsrezepte ihrer Firmengruppe. Er hat dafür auch eine chinesische Weisheit parat: Bambus könne man nicht brechen, wenn er zusammensteht.
Was allerdings nicht bedeutet, dass niemand das Haus verlässt. Im Gegenteil, Tos Chirathivat ging mit 14 in die USA, zuerst als Schüler. Später machte er, obwohl er eigentlich Arzt werden wollte, seinen MBA, den Management-Abschluss an der New Yorker Columbia-Universität. So ähnlich hält er es auch mit seinem Sohn. Der arbeitete zwei Jahre im Berliner KaDeWe, aktuell studiert er wie einst der Vater in New York. Und noch ein Familienmitglied ist in Berlin: Sean Hill, irisch-thailändischer Sohn von Tos Chirathivat älterer Schwester, sitzt in der Geschäftsführung des KaDeWe. „Er ist zuständig für die Entwicklung“, sagt sein Onkel.
Indizien dafür, wohin die geht, erahnt man in Bangkok im Central Embassy. Das 2013 eröffnete Haus ist mit dem älteren Central Chidlom über eine Fußgängerbrücke verbunden. Wirbt das Chidlom mit dem Prädikat „edel“, gilt das noch viel mehr für das Embassy. Es ist Teil eines futuristisch anmutenden Komplexes, zu dem das brandneue Park Hyatt gehört, ein sich 27 Etagen in die Höhe schraubendes Luxushotel.
Das Embassy selbst nimmt sieben Etagen ein. Drinnen dominiert die Farbe weiß, die Struktur erinnert von Ferne an das New Yorker Guggenheim. Es beherbergt Markenläden wie Gucci, Prada oder den Londoner Schuhhändler Kurt Geiger. Doch das tun alle Kaufhäuser dieser Kategorie. Besonders ist die edle Interpretation eines thailändischen Streetfood-Markets im Untergeschoss und der Siwilai Store im fünften Stock. Auch dieser Laden versammelt Edelmarken, aber eben verschiedener Provenienz. Von den Sneakers über die dazu passenden Hosen bis hin zum richtigen Schreibgerät – alles schon zusammengestellt für die Kundschaft, die sich ihren Style nicht erst mühsam suchen will.
Die großzügigen Passagen verstärken allerdings den Eindruck der Leere: Die Zahl der potenziellen Kunden ist überschaubar, was an der vergleichsweise frühen Tageszeit liegen mag. Trotzdem die Frage, wer kauft hier ein in einer Stadt, in der die Mittelschicht mit wenig mehr als 1000 Euro im Monat nach Hause geht? Und davon noch einen erheblichen Teil für die auch in der Zehnmillionenstadt Bangkok teuren Mieten ausgeben muss.
Rund 50 Prozent der Kunden dürften Ausländer sein, räumt Tos Chirathivat ein. Der Eindruck der Leere schert ihn freilich nicht. Man plane gar nicht mit hohen Besucherzahlen – solange die Umsätze stimmten. Das Central Embassy ziele nicht so sehr auf Masse, den potenziellen Topkunden aber wolle man eine besondere Atmosphäre bieten. Jüngster Baustein in dieser Strategie ist das Open House im obersten Geschoss, das erst im März eröffnet hat. Es sieht aus wie ein großzügiger Buchladen mit breit gefächertem, sehr ausgewähltem Speiseangebot. Es gibt hier Pavillons mit französischen Austern, solche mit westlichen Kaffeespezialitäten und japanischer Eiscreme mit Sorten wie „Bambus Holzkohle“.
Bei der Buchauswahl sind Kunst, Design und Architektur überrepräsentiert. Deutschsprachiges aus dem Verlag Prestel, chinesische Kalligrafie, Fotografie von Sebastião Salgado. Die Bücher können hier gelesen werden. Sitzgelegenheiten dafür gibt es reichlich. Auf einer sitzt Ken. Der Thailänder ist 33 Jahre alt, arbeitet im Marketing einer Alkoholfirma. Auf seinem Laptop sind Diagramme zu sehen. Mindestens zweimal die Woche kommt er zum Arbeiten hierher, er schätze die ruhige Atmosphäre. Leute wie Ken hatte Tos Chirathivat wohl auch im Blick, als er das Open House entwarf. Die Idee sei von ihm und einem Neffen, wie er sagt. Wobei er sich vom Daikanyama T-Site, dem Flaggschiff einer Buchhandels- und Elektronikkette in Tokio, habe inspirieren lassen. Das Vorbild wurde von Astrid Klein und Mark Dytham entworfen, die Deutsche und der Brite leben seit beinahe 30 Jahren in Japan und sind weltweit als Shopdesigner begehrt. Sie haben auch das Open House in Bangkok gestaltet. Nicht auszuschließen, dass man sie in Berlin wiedersieht.
Tos Chirathivat ist fasziniert von der Idee des Co-Working-Space, indem die Digital Natives sich über ihre Laptops beugen. Das US-Start-up We Work ist damit zum 20-Milliarden-Dollar-Unternehmen geworden, für den Thai eine der besten Geschäftsideen der letzten Zeit. Wobei We Work keine Buchläden betreibt, sondern die weltweit umhervagabundierende Schar der Digital-Arbeiter mit einem Netzwerk aus geeigneten Arbeitsräumen versorgt und Kontakte schafft.
Open House ist der Ort, der das Central Embassy von den in Bangkok reichlich vertretenen Superkaufhäusern unterscheidet. „Wir wollten damit eine Art Wohnzimmer schaffen“, sagt er. In Bangkok ist das besonders wichtig, denn die erschwinglichen Wohnungen sind in aller Regel sehr klein – eine Entwicklung, die Berlin womöglich bevorsteht. „Hier können sie essen, trinken, Bücher lesen, sich die Haare schneiden lassen, natürlich auch shoppen.“ Das Open House verdient, wenn überhaupt, keine nennenswerten Summen. Chirathivat behauptet aber, seit der Eröffnung verzeichne man 20 Prozent mehr Kunden im gesamten Haus.
Was das für das KaDeWe bedeutet? Dort sind zwei weitere Quadranten angekündigt, die die im vergangen Jahr begonnene Linie fortsetzen werden. In der siebten, der obersten Etage soll es einen Public Space geben, hieß es in der Vorankündigung, mit Restaurants, Bars und Dachgarten. Ein separater Eingang werde den Bereich auch nach Ladenschluss zugänglich machen. Das klingt ziemlich nach dem Open House in Bangkok.
Auf die Frage, welches Warenhaus nun das schönste sei, schweigt Tos Chirathivat, mag sich nicht festlegen: Illum in Kopenhagen und Oberpollinger in München seien sehr schön, bei Letzterem habe man bereits 50 Prozent des nötigen Umbaus geschafft. Auch für das Mailänder Rinascente findet er lobende Worte.
Was aber ist mit dem KaDeWe? Das werde ganz offensichtlich ihre Hauptaufgabe sein. Im Moment findet er es schwierig, sich dort zurechtzufinden. Aber, „schauen Sie sich die beiden neuen Abteilungen an“, ein Unterschied wie Tag und Nacht zu dem, was vorher war. „Das ist es, was Sie erwarten können.“ Er vertraue den Architekten um Rem Koolhaas, und am Ende „ wird das KaDeWe wahrscheinlich das schönste Haus sein“. Dazu lächelt er. Doch das tut Tos Chirathivat eigentlich immer. Beinahe wenigstens.
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