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Wirtschaft: Der Baulöwe auf der Anklagebank

Morgen beginnt der Prozeß gegen Jürgen Schneider / Auch die unrühmliche Rolle der Banken kommt auf den TischVON ROLF OBERTREIS, FRANKFURT (MAIN)Was die Ankläger wollen, ist klar.Dies steht in der 446 Seiten dicken Anklageschrift.

Morgen beginnt der Prozeß gegen Jürgen Schneider / Auch die unrühmliche Rolle der Banken kommt auf den TischVON ROLF OBERTREIS, FRANKFURT (MAIN)

Was die Ankläger wollen, ist klar.Dies steht in der 446 Seiten dicken Anklageschrift.Richter Heinrich Gehrke und die drei Verteidiger halten sich weitgehend bedeckt.Die Strategie für einen solchen, in der Geschichte der Bundesrepublik beispiellosen Prozeß wollen Christoph Rückel, Eckard Hild und Franz Salditt, der unlängst Peter Graf verteidigt hat, nicht preisgeben.Ihr Mandant ist schließlich auch nicht irgendwer: Es ist Dr.Jürgen Schneider.Baulöwe, Immobilienzar, Hochstapler, Mega-Bankrotteur.Gleich welches Attribut man dem 62jährigen verpaßt, fest steht: Er ist für die größte Immobilienpleite Deutschlands verantwortlich und hat die Banken wie kaum ein anderer hinters Licht geführt.Bücher sind über den Fall geschrieben worden, ein Kinofilm wurde gedreht, und die Medien haben sich ausgiebigst über den Fall ausgelassen.In Scharen werden sich Journalisten und Kameraleute drängen, wenn am Montag im Saal 165 C des Frankfurter Landgerichts die Hauptverhandlung beginnt. Der Prozeß wird nicht nur an seinem Auftakt-Tag für Aufsehen sorgen.Schneider hat sich über Jahre hochgearbeitet.Vom kleinen Bauunternehmer zum kleinen Immobilienspekulanten und schließlich zum hochgeschätzten Baulöwen, der sich vor allem um schöne alte, vom Verfall bedrohte Gebäude in den Zentren deutscher Großstädte kümmert.Weil er dies tat, Leidenschaft und architektonischen Feinsinn verband und zunächst auch gutes Geld verdiente, lagen ihm Stadtplaner, Architekten, Bürgermeister, Politiker und die Banken zu Füßen.In Leipzig rettete er die historische Mädler-Passage.Das Bernheimer Palais in München, das Kurfürsteneck und das Tauentzienhaus in Berlin, das Hotel Rose in Wiesbaden, die Schiller-Passage oder der Fürstenhof in Frankfurt steigerten die Bewunderung für Schneider.Auch neue Gebäude wie die Zeilgalerie ebenfalls in seiner Heimatstadt trugen zu seinem Ruhm bei.Aber am Ende waren die Millionenobjekte auf Sand gebaut, fallende Immobilienpreise taten ein übriges.Traumhafte Gewinne wie beim Verkauf des Fürstenhofes - 400 Mill.DM blieben angeblich für Schneider übrig - waren 1993/94 nicht mehr drin. Bis dahin war Schneider zum Lieblingskind der Banken geworden.Seine Kreditforderungen waren zunächst bescheiden, wurden aber mit dem Erfolg immer größer.Schneider als Kunde - das war für die Banken fast ein Muß.An seiner Seriosität zweifelte kaum jemand, schließlich hatte ihn die Deutsche Bank mit aufgebaut und ihm bis 1992 insgesamt 1,2 Mrd.DM gepumpt.Kredit-Manager anderer Banken mußten sich von ihren Vorständen Vorhaltungen machen lassen, wenn Schneider nicht auf ihrer Kundenliste standen.Am Ende baten sie den Baulöwen fast darum, ihm Geld leihen zu dürfen, wie Banker heute freimütig erzählen."Wenn sich jemand nicht täuschen läßt, gibt es auch keinen Betrug", sagt Staatsanwalt Dieter Haike.Schließlich war Schneider Kunde bei gut 50 Banken.In nur zwei Jahren - von 1992 bis 1994 - stieg die Summe seiner Großkredite von 3,5 auf 6,3 Mrd.DM. Am 7.April 1994 deutete sich schließlich die Pleite des Baulöwen an.In einem Bittbrief an die Deutsche Bank forderte er weitere 100 Mill.DM und teilte mit, er müsse sich "auf Anraten seiner Ärzte" zurückziehen, seinen Aufenthaltsort könne er nicht bekanntgeben.Logischerweise.Denn Schneider und seine Frau flüchten in die USA, tauchen unter.In Frankfurt ergeht Haftbefehl, die Deutsche Bank erstattet Anzeige.Schneiders Firmen sind pleite, auf den Baustellen wird die Arbeit eingestellt.13 Monate dauert die Flucht, dann werden die Schneiders in Miami gefaßt, der Baulöwe in Shorts und T-Shirt und ohne Toupet.Im Februar 1996 landen die beiden in Frankfurt.Schneider sitzt seitdem in U-Haft, seine Frau ist mittlerweile auf freiem Fuß. In den letzten Monaten ist es ruhig geworden um Schneider.In den beiden Jahren davor war das anders.Der Baulöwe, vom Größenwahn gepackt, bar jeden Gespürs für die Realität und schlecht beraten von seinen Anwälten, macht sich zum unschuldigen Opfer der Banken, reitet rüde Attacken gegen die Deutsche Bank, obwohl immer klarer wird, daß er nicht nur die Geldhäuser, sondern auch Tausende von Handwerkern übel hinters Licht geführt hat.Schneider schreibt an Bundeskanzler Kohl und bittet um Hilfe. Freilich: Die Banken und in erster Linie die Deutsche Bank mußten und müssen sich hämischer Kommentare erwehren.Hilmar Koppers leichtfertiger Ausspruch von den "Peanuts" machte die Sache nicht gerade leichter.Kaum jemand hätte sich vorstellen können, wie schlampig die Kreditanträge Schneiders geprüft wurden, wie leicht Schneider an die Milliarden kam.Obwohl etwa die Zeilgalerie in Frankfurt um die Ecke lag, machten sich die Deutschbanker nicht einmal die Mühe, das Objekt in Augenschein zu nehmen.Dann hätten sie leicht gemerkt, daß die Nutzfläche viel kleiner war als von Schneider angegeben.Dresdner Bank, Hypo-Bank, WestLB oder BHF-Bank - sie alle arbeiteten genauso schlampig.Genau dies wird ein zentrales Thema des Prozesses werden, Schneiders Verteidiger werden es auswälzen.Sie sprechen von der "Mitunternehmerschaft" der Banken.238 Zeugen sind von der Anklage benannt, etliche werden aus den Geldhäusern kommen.Von den Bankenaufsehern in Berlin mußten sich die Kreditinstitute böse Kritik gefallen lassen.Bei der Deutschen Bank zumindest wurden die Kontrollen verschärft, ein paar Banker mußten ihren Hut nehmen.Die erste Garde allerdings blieb verschont.Andererseits entschädigte die größte deutsche Bank als einzige Hunderte von Handwerkern, über 70 Mill.DM wurden ausgezahlt. Spätestens seitdem Staatsanwalt Dieter Haike Anfang Januar die Anklageschrift auf den Tisch gelegt hat, sieht es nicht gut aus für Schneider.Aus Gründen der Prozeßökonomie stützt sich die Anklage auf fünf der über 100 Objekte, die Schneider zuletzt unter seinen Fittichen hatte.In zwei Fällen geht es um Kreditbetrug, bei den anderen Objekten um schweren Betrug.In allen Fällen soll Schneider mit gefälschten Unterlagen - Bauzeichnungen, falschen Angaben zur Nutzfläche, verfälschten Wertansätzen, Scheinrechnungen - agiert haben.Dabei soll ihm der Bauzeichner Karl-Heinrich Küpferle kräftig geholfen haben, weshalb er ebenfalls angeklagt ist.Schließlich wird Schneider und seiner Frau schwerer Bankrott vorgehalten, weil sie 245 Mill.DM auf Nummernkonten der Union Bancaire Privée in Genf überwiesen und damit ihren Firmen den Rest gaben.Der letzte Punkt wird allerdings vorerst ausgeklammert.Claudia Schneider muß vorerst nicht auf der Anklagebank Platz nehmen.Angeklagt ist im übrigen auch noch Mehdi Djawadi.Er soll den Schneiders beim Geldtransfer in die Schweiz geholfen haben.Der Iraner konnte bislang allerdings noch nicht aufgespürt werden. Im schlimmsten Fall drohen Schneider 15 Jahre Haft.Nicht gerade leichter wird seine Lage durch die Vernehmungen der Staatsanwälte.Zwar räumte der Baulöwe Verfehlungen ein.Ein Geständnis aber legte er nicht ab.Trotz der schwierigen Materie wollen die Verteidiger den Prozeß bis zum Jahresende durchziehen.Das dürfte schwierig werden, zumal Richter Gehrke, der Vorsitzende der 29.Strafkammer, jeden Deal ablehnt."Das ist nicht drin, nicht mit uns, nicht in diesem Verfahren." Ein mutiges Wort.Aber Gehrke hat Erfahrung.Er hat den Holzschutzmittelprozeß über die Bühne gebracht und hat das Tucholsky-Wort "Alle Soldaten sind Mörder" als von der Meinungsfreiheit gedeckt bewertet.So wie später die Verfassungsrichter.

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