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Einsam an der Spitze. SAP-Lenker Bill McDermott ist derzeit der einzige twitternde Chef eines Dax-Unternehmens.
© Uwe Anspach/dpa

Schweigende Unternehmenschefs: Das Zwitschern der anderen

US-amerikanische Firmenchefs nutzen den Nachrichtendienst Twitter aktiv. Deutsche Vorstände meiden das Medium

Alle tun es. Bill Gates, Apple-Chef Tim Cook und Rupert Murdoch, Gründer des Fernsehsenders Fox News, twittern, was das Zeug hält. Denn der Microblogging-Dienst hat eine enorme Reichweite. Bestes Beispiel: ein kommunikationsfreudiger US-Präsident, der mit seinen Tweets die Anleger zittern lässt und politische Gegner in Angst versetzt. Was für US-amerikanische Unternehmenslenker normal ist, ist hierzulande ein Tabu: Gerade mal ein Vorstandsvorsitzender der insgesamt 30 Dax-Unternehmen besitzt einen Twitter-Account. Das ist das Ergebnis einer Analyse der New Yorker Managementberatung Oliver Wyman. In den sozialen Medien sind die deutschen Dax-Konzerne dagegen alle vertreten – man findet sie sowohl bei Facebook als auch bei Instagram, Twitter oder auf den Karriereportalen Xing und LinkedIn.

SAP-Chef zwitschert einsam vor sich hin

Die Suche nach einem twitternden Unternehmenschef ist allerdings ernüchternd: Einzig SAP-Chef Bill McDermott zwitschert mit. Er scheut sich nicht davor, seinen Mitmenschen auf 140 Zeichen ein fröhliches Weihnachtsfest zu wünschen oder seine Lebensweisheiten als Tweet abzusetzen. Immerhin fast 29 000 Follower scheinen die auch zu interessieren. Dass McDermott ursprünglich aus den USA stammt und sein Unternehmen auch in den Vereinigten Staaten präsent ist, spielt dabei sicherlich eine Rolle. „Topmanager in den USA entwickeln sich selbst zu einer Marke“, meint Finja Carolin Kütz. Die Deutschlandchefin von Oliver Wyman ist überzeugt, dass die Dax-Konzerne das Potenzial sozialer Netzwerke mit ihrer Zurückhaltung verschenken würden. So helfe der ein oder andere Tweet beispielsweise im Dialog mit Kunden, Vertretern aus der Politik oder mit den eigenen Mitarbeitern.

Man setzt lieber auf Experten

Die Unternehmen im wichtigsten deutschen Börsensegment setzen lieber PR-Stäbe dafür ein, um mit Kunden in Kontakt zu treten, auf Pressemitteilungen oder aktuelle Geschäftsberichte hinzuweisen. Und das betrifft nicht nur die Dax-Unternehmen: Bei der nicht-börsennotierten weltweit agierenden Handels- und Dienstleistungsgruppe Otto Group ist derzeit ein sogenannter Corporate Account für die Twitter-Kommunikation zuständig. Daneben sollen Experten, „die besonders authentisch über ihre Expertise und Arbeitsfelder kommunizieren können“, Twitter ebenfalls nutzen, wie es Thomas Voigt, Sprecher der Otto Group, formuliert. Vorstandschef Alexander Birken sucht man bei Twitter vergebens. Allerdings befindet der sich auch noch in den üblichen "ersten 100 Tagen", in denen Vorstandsvorsitzende nur sehr eingeschränkt nach außen kommunizieren. Im Laufe des Jahres solle sich aber auch das ändern, sagt Voigt. Über welche digitalen Kanäle der Unternehmenschef dann in Erscheinung tritt, wird derzeit noch beraten.

Vor allem die Männer schweigen

Besonders wenig scheinen übrigens männliche Unternehmenslenker dem kleinen blauen Vogel zu trauen: Während jeder zweite weibliche Dax-Vorstand zumindest eine der Plattformen Xing, LinkedIn oder Twitter nutzt, ist nur jeder dritte männliche Vorstand auf den Netzwerken aktiv. „Frauen müssen eben etwas offener und innovativer sein, um kulturelle Hürden auf dem Weg zu Chefpositionen zu überwinden“, sagt die Wyman-Chefin.

Ein twitternder Vorstand kann teuer werden

Allerdings bietet die Präsenz auf Nachrichtendiensten wie Twitter nicht nur Chancen, sondern birgt gerade für Unternehmenschefs auch Gefahren. Die Risiken seien enorm, sagt Rechtsanwalt Georg Lecheler, der internationale Unternehmen im gewerblichen Rechtschutz berät und die „deutsche Zurückhaltung“ in Sachen Twitter-Kommunikation für vollkommen richtig hält. Sich spontan, pointiert und vor allem unabgesprochen im Social Web zu äußern, gehöre nicht zu den Aufgaben eines Konzernchefs, sagt Lecheler. Dünn werde das Eis vor allem dann, wenn der Tweet eine Ad-hoc-Mitteilung verursache – etwa wenn der Chef von seinem Amt zurücktritt und dies den Mitarbeitern per Tweet übermittelt. Laut Lecheler wäre das ein klarer Verstoß gegen die Publizitätspflichten, der nicht nur den Boss teuer zu stehen kommen könnte. Denn auch die Aktionäre würden auf eine derartige Mitteilung sofort reagieren – mit unvorhersehbaren Schäden für das Unternehmen. Wenn der ehemalige „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann als Vertreter der Journalistenzunft seine Meinung via Twitter kundtue, sei das hingegen vollkommen nachvollziehbar. Das Gleiche gelte für die Tweets der deutschen Polizei, die den Nachrichtendienst unter anderem zur Unterstützung bei laufenden Ermittlungen nutzt. Ob sich dagegen der Tweet über ein privates Mittagessen des Chefs positiv auf das Image seines Unternehmens auswirkt, hält Lecheler für fraglich.

Mona Linke

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