Ökonom Heidorn über die Lehman-Pleite: „Das Vertrauen in die Banken ist nachhaltig gestört“
Überwunden ist die Finanzkrise auch heute nicht, auch wenn sich die Märkte stark verändert haben, sagt Wirtschaftsprofessor Thomas Heidorn.
Herr Heidorn, erst kürzlich hat sich die Royal Bank of Scotland wegen windiger Hypothekengeschäfte vor Ausbruch der Finanzkrise mit dem US-Justizministerium auf eine Strafzahlung von fast fünf Milliarden Dollar verständigt. Wie lange sehen wir noch Nachwirkungen der Krise?
Die meisten Dinge dürften abgearbeitet sein. Aber die Verfahren dauern extrem lange.
Ist die Finanzkrise also überwunden?
Überwunden wird sie nie sein. Aber die Märkte haben sich dramatisch verändert.
Das gilt auch für den Bankensektor.
Einen Geldmarkt zwischen den Instituten wie vor Lehman wird es nicht mehr geben. Vor der Krise haben sich Banken untereinander für einen Zeitraum von bis zu einem Jahr Geld geliehen. Jetzt funktioniert das allenfalls noch wochenweise. Das wiederum trifft auch wichtige Referenzzinsen etwa für Hypothekenkredite. Das Vertrauen der Banken untereinander ist nachhaltig gestört.
War es ein Fehler, Lehman in die Pleite rutschen zu lassen?
Ich kann die US-Notenbank verstehen, die sagte, mit dubiosen und hoch riskanten Geschäften musste endlich Schluss sein. Aber sie hat den Dominoeffekt unterschätzt. Andererseits war Lehman nur die Spitze des Eisbergs. Da waren viele, faktisch wertlose Papiere und Portfolios unterwegs. Das hat ganz viele Menschen weltweit getroffen.
Sind Aufseher und Notenbanken heute gewappnet?
Die Bankenaufsicht hat viele Dinge auf den Weg gebracht.
Banken behaupten, die Regulierung sei zu kompliziert und zu teuer.
Tatsächlich beschäftigen sich die Risikoabteilungen von Banken heute fast ausschließlich mit Regulierung statt über Risiken und damit über neue Kredite nachzudenken.
Die US-Banken scheffeln wieder Milliarden-Gewinne. Wird erneut gezockt?
US-Banken haben den Vorteil, dass sie viel höhere Preise verlangen können, auch von Privatkunden. Am amerikanischen Kapitalmarkt werden deutlich mehr Kredite verbrieft als in Europa. Das erschließt weitere Einnahmequellen. Und die Folgen der Krise wurden in den USA viel schneller bereinigt, Banken viel schneller wieder mit frischem Kapital versorgt.
Die Dresdner Bank ist längst verschwunden, der Bankensektor schrumpft. Wie steht es um die deutschen Institute?
Die Zinsen in den USA sind höher, in Europa ringen die Institute mit Negativzinsen. Zum anderen schauen die Deutschen kaum auf den Kapitalmarkt, kaum auf Aktien. Wäre das anders, wären die Provisionseinnahmen der Banken höher. Unter der Regulierung leidet auch die kleinste Sparkasse und Volksbank. In den USA trifft es nur die großen Banken. Hypothekenkredite liegen bei deutschen Banken und müssen mit teurem Eigenkapital unterlegt werden. In den USA sind dafür Spezialinstitute zuständig. In Deutschland Bankgeschäfte zu betreiben, ist im Moment nicht einfach. Die Preise sind unattraktiv. Die deutsche Wirtschaft und auch der deutsche Staat haben keine wirklich international agierende Bank. Das ist mittelfristig für eine große Exportnation nicht gut.
Wie kann man das ändern?
Das Interesse an einer wettbewerbsfähigen, starken Großbank ist derzeit offenbar nicht groß. Kritik an Banken ist en vogue. Auch bei den Regulatoren. Bei der Deutschen Bank werden immer noch alte Skandale in den Vordergrund gestellt. Das macht es für die neue Führung, die diese Fälle nicht zu verantworten hat, nicht leicht.
Was hat den Staat die Krise gekostet? Manche sprechen von 80 Milliarden Euro.
Das kann man seriös nicht sagen. Viel Geld ist zurückgeflossen.
Interessante These.
Wenn man das riesige Finanzierungsvolumen des Staates in Relation zu den Kosten der Finanzkrise betrachtet und bedenkt, was er früher an Zinsen zahlen musste und was ihm heute durch das niedrige Zinsniveau erspart bleibt, dürfte der Saldo neutral, eher sogar positiv sein.
Durch die Turbulenzen in der Türkei befürchten Beobachter Krisen auch in anderen Schwellenländern. Könnte aus dieser Ecke eine neue Finanzkrise entstehen?
Nein. Protektionismus und der Zollstreit stimmen viel sorgenvoller als die Türkei. In der EU rumort es nicht nur wegen des Brexit. Auch andere Länder wollen sich abschotten. Das sind riesige Rückschritte. Italien ist gerade dabei, sich selbst zu zerlegen. Die Unruhe in der Euro-Zone ist greifbar. Wenn Präsident Emmanuel Macron in Frankreich keinen Erfolg hat, dürfte es ebenfalls massive Probleme geben. Ein protektionistisches Frankreich wäre grotesk. Die EU aufs Spiel zu setzen, ist fatal.
Sind wir heute auf Krisen besser vorbereitet als vor zehn Jahren?
Die Banken haben mehr Eigenkapital und sind stabiler. Das ist die gute Nachricht. Aber die Finanzmärkte sind deutlich ineffizienter. Das ist die schlechte Nachricht. Schon geringe Störungen können größere Verwerfungen auslösen, weil die Fähigkeit, Schwankungen aufzufangen, heute geringer ist. Risiken werden wieder in die Unternehmen und die Privathaushalte verlagert. Die können damit schlechter umgehen als eine Bank. Generell gilt: Wirklich gefeit ist man nie. Die Regulierung schaut auf die Risiken der Vergangenheit. Neue Risiken aber kommen von vorne.
Das Finanzsystem ist also nicht sicherer als 2008?
Also ehrlich gesagt: nein. Auch wenn das die Aufseher ganz anders sehen.