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Start-up-Style. Bosch hat sich mit dem IoT-Campus im Tempelhofer Ullsteinhaus einquartiert. Die Räume gestalteten Mitarbeiter zusammen mit Architekten.
© promo

Bosch-Chef Volkmar Denner im Interview: "Das Tempo ist unglaublich hoch"

Bosch hat seinen Campus fürs Internet der Dinge in Berlin eröffnet. Im Interview erklärt Vorstandschef Volkmar Denner, warum Kryptowährungen interessant sind - und wann er über eine Batteriezellen-Fertigung entscheidet.

Tempelhofer Hafen, Ullsteinhaus: Bosch hat sich eine Adresse mit Vergangenheit ausgesucht, um in die Zukunft aufzubrechen. Diese Woche eröffnete der größte Autozulieferer der Welt im alten Druckhaus seinen Berliner IoT-Campus. Das Internet der Dinge ist ein angenehmer Ort. Auf drei Etagen arbeiten 250 Experten im für Berlin typischen Start-up-Style: Waschbeton, offene Kabel- und Rohrleitungen, im Lichthof stehen ein Wohnwagen und ein Holzhäuschen als Meeting- Points, hoch oben in einer Glasbox der unvermeidliche Kicker. „Fail early, learn fast“, hat jemand an die Wand geschrieben. Früh scheitern, schnell lernen. Das Gespräch mit Bosch-Chef Volkmar Denner findet in einem Wohnzimmer-Ambiente aus den 70er Jahren statt.

Herr Denner, was bietet Berlin, was das Silicon Valley nicht zu bieten hat?

Berlin ist die IoT-Stadt Nummer eins in Deutschland. Es war daher klar, dass wir unseren Campus hier ansiedeln. Wir sind mit unserer Tochter Bosch Software Innovations schon lange in der Stadt und kennen die Szene hier sehr gut.

Halb zog es Sie, halb waren Sie schon in Berlin ...

Wir haben das Berliner Start-up Inubit 2011 übernommen und als Teil der Bosch Software Innovation weiterentwickelt. Jetzt wollen wir Bosch noch stärker mit der Start-up- und IT-Szene vernetzen.

Volkmar Denner (61) ist seit 2012 Vorstandsvorsitzender und zugleich Technikvorstand der Robert Bosch GmbH. Der weltgrößte Automobilzulieferer hat 390 000 Beschäftigte.
Volkmar Denner (61) ist seit 2012 Vorstandsvorsitzender und zugleich Technikvorstand der Robert Bosch GmbH. Der weltgrößte Automobilzulieferer hat 390 000 Beschäftigte.
© Foto: Daniel Naupold/dpa

Viele Autobauer und Zulieferer sind schon mit Labs und Hubs nach Berlin gekommen. Finden Sie genug Mitarbeiter?

Bosch ist attraktiv für Talente, weil wir reale Produkte machen und uns gleichzeitig eine starke Position bei der virtuellen Vernetzung im Internet der Dinge erarbeitet haben. Wir können beides. Aber keine Frage, es gibt weltweit ein Rennen um die besten IT- und Software-Leute. Das gilt auch für Berlin.

Leisten Sie sich hier eine „Spielwiese“ für Forscher und Entwickler – oder entstehen im Ullsteinhaus auch Produkte?

In Berlin geht es um die Entwicklung und Umsetzung konkreter IoT-Projekte. Unsere Experten arbeiten dabei gemeinsam mit Kunden und Nutzern an vernetzten Lösungen. Das ist sehr anwendungsorientiert. Grundlagenforschung findet dagegen an unserem Forschungscampus in Renningen und an weiteren Forschungsstandorten überall auf der Welt statt.

Werden die Berliner sehen, was Bosch im Internet der Dinge veranstaltet?

Da bin ich sicher. Vernetzung ist ja kein Selbstzweck, sondern soll den Menschen nutzen. Das Internet der Dinge wird alle Lebensbereiche einschließen. Denken Sie an Smart City, an Mobilitätslösungen, an Energieversorgung oder Medizintechnik.

Geht es konkreter?

Die Berliner kennen schon Coup, unser Elektroroller-Sharing. Die eScooter stehen verteilt im Stadtgebiet, sind vernetzt und über eine App lokalisierbar. Mit Coup können Kunden bei uns Mobilität buchen. Das ist IoT in der Praxis.

Bosch investiert einige 100 Millionen Euro in IoT und künstliche Intelligenz. Was haben Sie als klassischer, 130 Jahre alter Hardwarehersteller davon?
Bosch ist schon lange auch ein großes Softwareunternehmen, etwa bei Software, die in Steuergeräten eingebettet ist. Die Vernetzung bietet jetzt zusätzliche Potenziale für neue Produkte und neue Geschäftsmodelle. Es gibt die physischen Produkte – zum Beispiel Roller. Dann die Software für deren Vernetzung und schließlich die digitalen Geschäftsmodelle. Ein anderes Beispiel sind unsere Sicherheitskameras. Früher waren sie analog mit einem Bildschirm verbunden. Davor saß ein Mitarbeiter, der verdächtige Bewegungen entdecken musste. Heute sind die Kameras digital, vernetzt und mit künstlicher Intelligenz ausgestattet. Das erlaubt uns, Sicherheit als Service anzubieten; das Kamerageschäft bleibt, wird aber ergänzt durch ein Servicegeschäftsmodell. Da die Kameras jetzt intelligent sind, lassen sie sich beispielsweise im Einzelhandel zusätzlich zur Sicherheitsfunktion einsetzen, um das Verhalten der Kunden im Supermarkt zu analysieren. Wie sind die Laufwege? Wo bleiben die Kunden stehen?

Ist denkbar, dass Bosch dieses neue Geschäft abspaltet und selbstständig macht?

Ich bin als Chef von Bosch in der schönen Lage, dass ich mir keine Gedanken über die Bewertung an den Aktienmärkten machen muss. Wir sind nicht an der Börse. Es ist unerheblich, ob unsere Firma zerlegt mehr wert wäre als in der heutigen Struktur. Wir profitieren von unserer breiten Aufstellung. Deshalb ist es unsere Strategie, unser Unternehmen als Einheit ins Internet der Dinge zu führen – die klassischen wie die neuen Bereiche.

Im Jahr 2020 sollen alle elektronischen Produktklassen internetfähig sein. Wird das Unternehmen dadurch nicht auf andere Weise angreifbar – etwa durch Hacker?

Aktuell sind etwas mehr als die Hälfte unserer elektronischen Produktklassen internetfähig. Alle vernetzten Lösungen sind prinzipiell angreifbar, man kann keine absolut sicheren Lösungen bauen. Also müssen wir es als Unternehmen schaffen, dass der Nutzen für die Menschen größer ist als das verbleibende Risiko. Wir setzen den aktuellen Stand der Sicherheitstechnik in unseren Produkten und Geschäftsmodellen ein. Wir lassen unsere Systeme auch regelmäßig zur Qualitätssicherung absichtlich von Hackern angreifen. Ein Restrisiko bleibt aber immer.

Kann Bosch alles alleine oder brauchen Sie wie die Autoindustrie neue Partner?

Wir sind sehr breit aufgestellt und haben ein größeres Kompetenzprofil als Automobilhersteller oder andere Zulieferer. Technologie steckt in unserer DNA. Wir können technische Trends daher sehr gut einschätzen und die daraus für Bosch resultierenden Konsequenzen ziehen, um uns darauf vorzubereiten. Aber die vernetzte Welt lebt von Kooperationen. Deshalb bauen wir offene Software-Plattformen wie unsere IoT-Suite, arbeiten eng mit Partnern zusammen. Ein Unternehmen allein kann das Internet der Dinge nicht realisieren.

Ist Bosch Treiber der Entwicklung oder werden Sie von Ihren Kunden getrieben?

Unser Anspruch ist, Treiber des Wandels und Innovationsführer zu sein. Noch ein Beispiel: Wir rüsten das Parkhaus im Mercedes-Benz-Museum mit intelligenter Infrastruktur aus, sodass Fahrzeuge dort selbstständig und ohne Fahrer parken können. Die Autos allein könnten es nicht, nur in Verbindung mit dem Gebäude. Das ist keine Zukunftsmusik, sondern kommt in diesem Jahr. Insgesamt ist das Tempo, zumal bei IT- und Softwarethemen, unglaublich hoch, und es gibt sehr leistungsfähige Spieler auf diesem Gebiet. Das ist eine tägliche Herausforderung. Da sind wir selbstbewusst und selbstkritisch zugleich.

Das heißt?

Wenn wir etwas erreicht haben, dann feiern wir – wie die Eröffnung des IoT-Campus. Aber morgen …

… ist die Party vorbei?

… kehren der Alltag und der Wettbewerb zurück. Mancher Mitarbeiter sagt: Ein bisschen mehr Lob wäre gut. Aber es ist ein wichtiger Selbstschutz, wenn man nicht sagt, wir sind ohnehin die Größten, sondern wenn man seine Wettbewerber ernst nimmt. Auch die neuen.

Bosch hat sich mit seinem Wagniskapitalfonds an der Kryptowährung IOTA beteiligt. Was versprechen Sie sich davon?

Unser Interesse gilt nicht der Kryptowährung selbst. Es hat sich aber herausgestellt, dass immer mehr Start-ups Beteiligungen nicht mehr für Geld gewähren, sondern Investoren sogenannte Tokens anbieten. Das ist eine Art Gutschein in Kryptowährungen. Es geht also nicht um die Währung, sondern um bestimmte Formen der Unternehmensbeteiligung, die immer populärer werden.

Versuchen Sie, bei IoT oder künstlicher Intelligenz einen Vorsprung zu erreichen, den Bosch auf anderen Feldern nicht hat – etwa bei der Produktion eigener Batteriezellen?

Das würde ich so nicht sagen. Wir wollen Technologieführer in allen Bereichen sein, den bestehenden und den neuen. Sind wir es nicht, kümmern wir uns sehr intensiv darum.

Ihr Bekenntnis zu hohen IoT-Investitionen fällt deutlich aus. Bei der Batteriezelle sind Sie zögerlich.

Das mag so aussehen, ist es aber nicht. Wir forschen intensiv an Batteriezellen, überlegen derzeit, ob eine eigene Zellfertigung eine rentable Investition sein könnte. Eine solche Milliarden-Investition will sehr gut überlegt sein, das hat überhaupt nichts mit Zögern zu tun. Es gibt viele Gesichtspunkte, die es zu bewerten gilt, um eine belastbare Entscheidung treffen zu können.

Wann treffen Sie sie?

Wir haben gesagt Ende 2017, Anfang 2018. Sie müssen sich noch etwas gedulden. Aber es wird nicht bis 2019 dauern.

Das Gespräch führte Henrik Mortsiefer.

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