Auto-Präsident Wissmann im Interview: „Das größte Problem ist die Bedenkenträgerei“
Den deutschen Autoherstellern geht es gut. Zu gut? Der Präsident des Automobilverbandes VDA, Matthias Wissmann, erklärt im Tagesspiegel-Interview, warum viele Hersteller sparen müssen. Beim Thema Elektromobilität sei jetzt die Politik gefordert.
Herr Wissmann, wie viel Theaterdonner steckt hinter den Ankündigungen deutscher Autokonzerne, künftig mehr sparen zu müssen? Es geht ihnen doch glänzend ...
Gerade in Zeiten, in denen es Unternehmen vergleichsweise gut geht, müssen sie vorsorgen und darauf achten, dass die Kosten nicht aus dem Ruder laufen. Rechtzeitiges, antizyklisches Handeln sichert den langfristigen Erfolg. Auch die Wirtschaftspolitik sollte sich davon leiten lassen und die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands in den Vordergrund rücken.
Gerade haben Audi, BMW, Daimler und – mit Abstrichen – Volkswagen Rekorde bei Umsatz, Absatz und Gewinn vorgelegt.
Ja, aber in Hochphasen gilt es, nicht übermütig zu werden, sondern weiter an der eigenen Konkurrenzfähigkeit zu arbeiten und Schwachstellen schnell zu erkennen. Sonst wiederholt man alte Fehler.
Welche wären das?
Beispielsweise bei hohen Verkaufszahlen zu übersehen, dass man an bestimmten Standorten noch effizienter werden kann und Kosten im Rahmen gehalten werden müssen.
Am Standort Deutschland?
Wenn die Märkte außerhalb Europas so stark sind – etwa in China und in den USA –, muss sich der Standort Deutschland mit seinem Kostenniveau immer wieder neu rechtfertigen. Unsere Energiekosten sind zu hoch, die Lohnstückkosten, die ja eng mit der Produktivität verbunden sind, müssen wettbewerbsfähig bleiben. Gerade weil das in Deutschland in den vergangenen zehn bis 15 Jahren gelungen ist, haben wir heute in der Automobilindustrie 70 000 Beschäftigte mehr als 2010 und so viel Produktion im Inland gehalten: 5,44 Millionen Pkw waren es im vergangenen Jahr. In Italien mit nur knapp 400 000 Neuwagen und in Frankreich mit fast 1,5 Millionen Pkw sieht das ganz anders aus. Aber Vorsicht: Seit 2012 steigen auch bei uns die Lohnstückkosten wieder spürbar.
Dann kommt die Diskussion um höhere Löhne und Gehälter in Deutschland für die Autoindustrie zum falschen Zeitpunkt.
Diese Debatte nimmt zu wenig in den Blick, dass eine hoch entwickelte Industrie nicht nur innerhalb Europas wettbewerbsfähig bleiben muss – hier stehen wir an der Spitze –, sondern auch gegenüber Asien und Amerika. Dort sind unsere Wachstumsmärkte, um Produktion und Beschäftigung in Deutschland zu sichern.
BMW-Chef Reithofer hat es mit dem profanen Satz beschrieben: „Die Welt verändert sich.“ Welche Veränderungen bereiten Ihnen denn die größten Sorgen?
In einigen Teilen der Welt ist die aktuelle Lage durchaus angespannt. In Russland haben sich die Wachstumserwartungen nicht erfüllt, schon vor der Ukraine- Krise. Von den BRIC-Staaten – Brasilien, Russland, Indien und China – ist mit Blick auf das erhoffte Wachstum eigentlich nur das C für China übrig geblieben. Wir sehen auch wachsenden Protektionismus: Allein 400 neue protektionistische Maßnahmen in den vergangenen Jahren weltweit sind ein Alarmzeichen.
In China erhöhen die Behörden den Druck auf ausländische Hersteller. Razzia bei Daimler, Kartellstrafe für Audi. Werden die Deutschen den Chinesen zu stark?
Wir sind mit den besten Automarken der Welt auf dem chinesischen Markt. Unser Marktanteil dort liegt im ersten Halbjahr 2014 bei 23 Prozent. Die aktuellen Vorgänge erwecken den Anschein, als sei diese Position manchem zu groß. Aber unsere Unternehmen haben das Gespür, um sich auf Sensibilitäten des dortigen Marktes einzustellen. Zudem arbeiten die deutschen Hersteller erfolgreich mit ihren chinesischen Partnern zusammen.
Klingt nach einer Warnung an die Chinesen, es mit der Regulierung nicht zu weit zu treiben ...
Die Regierung in Peking weiß, dass auch China eine große Exportnation ist, die westliche Märkte und Handelspartner braucht. China ist für Deutschland ein wichtiger und guter Partner – und umgekehrt. Man sollte deshalb verstehen, dass auch verschleierten Formen des Protektionismus am Ende Eigentore sind.
"Wir brauchen in Deutschland mehr Pioniergeist"
Zurück nach Deutschland zu einem großen Investitionsprojekt: Elektromobilität. Das vom Verkehrsminister entworfene Fördergesetz ist von Städten und Kommunen scharf kritisiert worden. Gerät die Elektromobilität in die Mühlen der Bürokratie?
Ich traue dem Verkehrsminister zu, dass er das Gesetz durch den Bundestag bringt. Das größere Problem ist die Bedenkenträgerei der Länder, Städte und Gemeinden ...
... die durch das Gesetz ermächtigt werden sollen, zum Beispiel Busspuren und Parkraum für Elektroautos frei zu machen.
Wir brauchen in Deutschland mehr Pioniergeist, wenn wir neue Technologien auf den Weg bringen wollen. Da es für Käufer von E-Autos keine finanziellen Anreize gibt, sollten wenigstens ein paar innovative Ansätze im Verkehrsrecht geschaffen werden. Die deutsche Automobilindustrie hat Milliarden investiert und bietet inzwischen auch nach Meinung internationaler Experten die interessantesten Elektrofahrzeuge an. Wir sind Leitanbieter. Da können wir erwarten, dass jetzt auch die Politik – nicht nur in Berlin, sondern auch in den Kommunen – mutige Entscheidungen trifft.
Und Elektroautos bestellt?
Die öffentlichen Flottenbetreiber in Bund, Ländern und Gemeinden sollten mit gutem Beispiel vorangehen. Kluge Bürgermeister oder Landräte können ein Zeichen setzen – auch die Ministerpräsidenten und Verkehrsminister der Länder. Wie in Hamburg, wo Senat, Handels- und Handwerkskammer ein sehr ambitioniertes Programm zur Anschaffung von Elektrofahrzeugen haben. So etwas wünsche ich mir in hunderten Kommunen.
Unternehmen zögern beim Kauf, weil E-Fahrzeuge zu teuer sind.
Deshalb ist es geboten, ihnen bei der Abschreibung der Anschaffungskosten einen Vorteil zu gewähren. Gerade mittelständische Unternehmen müssen mit spitzem Bleistift rechnen. Auch bei der Anschaffung eines Elektroautos.
Der Finanzminister ist aber gegen Sonderabschreibungen.
Die Verbreitung der Elektromobilität ist ein Regierungsziel. Nicht als Selbstzweck, sondern mit Blick auf Klimaschutz und Energiewende. Natürlich hat der Bundesfinanzminister viele Wünsche auf dem Tisch. Aber wenn das Ziel der Regierung bleibt, Deutschland nicht nur zum Leitanbieter der Elektromobilität, sondern auch zum Leitmarkt zu machen, dann sollte es bald die degressive Abschreibung für E-Firmenwagen geben. Am besten schon 2015.
Es scheint, als verwende der Verkehrsminister momentan mehr Energie auf die umstrittene Pkw-Maut. Wollen Sie wetten, ob es tatsächlich zur Einführung kommt?
Nein.
2013 haben Sie gesagt, die Pkw-Maut sei kein Thema, weil CDU und SPD dagegen seien. Da haben Sie sich geirrt.
Die Zusage der Bundesregierung, dass die deutschen Autofahrer nicht zusätzlich belastet werden sollen, gilt weiter. Das begrüße ich. Aber ich frage mich, ob es auch gelingt, die drei weiteren gesetzten Ziele der Pkw-Maut gleichzeitig zu erreichen: deutlich mehr Einnahmen, niedrige Bürokratiekosten und die Konformität mit europäischen Gesetzen.
Sie haben 1993 als damaliger Bundesverkehrsminister gegen Widerstände die Lkw- Maut eingeführt. Können Sie dem amtierenden Minister eine Empfehlung geben für die Pkw-Maut?
Ich weiß, warum ich in den neunziger Jahren bei der Lkw-Maut geblieben bin – und keine Pkw-Maut vorgeschlagen habe.
Das Gespräch führte Henrik Mortsiefer.
DER LOBBYIST
Matthias Wissmann (65) ist seit 2007 Präsident des Verbandes der Deutschen Automobilindustrie. Der VDA vertritt die Interessen von 600 Unternehmen, die vor allem Automobile sowie Kfz- Teile und Zubehör produzieren. Der Jurist und frühere CDU-Politiker war 1993 Forschungsminister und von 1993 bis 1998 Verkehrsminister.
DIE BRANCHE
Die Autoindustrie ist gemessen am Umsatz der bedeutendste deutsche Industriezweig. Die Branche erwirtschaftete 2013 einen Umsatz von gut 360 Milliarden Euro und beschäftigte fast 760 000 Mitarbeiter. Drei Viertel der Inlandsproduktion gehen in den Export.