Aldi-Gründer Karl Albrecht: Das Geschäft seines Lebens
Karl Albrecht starb, wie er stets gelebt hatte: abgeschieden von der Öffentlichkeit, bedacht auf möglichste Unsichtbarkeit. Dabei hat niemand die Einkaufskultur der Deutschen stärker verändert als der Aldi-Gründer. Ein Nachruf.
Am Montagvormittag wurde er begraben. Erst danach, als er seine letzte Ruhe gefunden hatte, informierte die Familie die Medien: Karl Albrecht ist schon am vergangenen Mittwoch gestorben. Wie sein Leben, so war sein Tod – abgeschieden von der Öffentlichkeit, immer bedacht auf möglichste Unsichtbarkeit. Nicht einmal sein Geburtsdatum, man munkelte vom 20. Februar 1920, ist je offiziell bestätigt worden. Das Gleiche gilt vom Geburtsort, angeblich soll es Essen gewesen sein. Lediglich der Ort der Grabstätte gilt als verbürgt. Über die nämlich hat der „Spiegel“ vor einigen Jahren Erstaunliches erfahren. Danach hat Karl Albrecht im Jahr 1997 für die stolze Summe von haargenau 69 984 D-Mark im Essener Stadtteil Bredeney auf dem städtischen Friedhof acht Grabstellen erworben und sein Bruder Theo kurz darauf weitere 14. Und weil sie ihr Unternehmensimperium schon immer säuberlich geografisch aufgeteilt hatten, Aldi-Süd und Aldi-Nord, sollte diese Trennung auch für den Tod gelten: Karls Beerdigungsfelder lagen im südlichen Teil des Friedhofs, die von Bruder Theo im Norden.
Nach dem Erwerb der Gräber tat sich dann eine geraume Zeit nichts. Das Unkraut wucherte, wie der „Spiegel“ berichtete, so dass sich die Friedhofsverwaltung genötigt sah, eine Mahnung zu schicken. Da fuhr dann schließlich ein Aldi-Laster vor, und es wurden angeblich Eiben, Zypressen und Rhododendren abgeladen. Grund für die Verzögerung: Man hatte wohl so lange mit dem Grabschmuck gewartet, bis die Firma Aldi günstige Pflanzen im Sonderangebot hatte.
Deutschlands rätselhaftestes Brüderpaar
Ob diese Geschichte in der Tat verbürgt ist, sei dahingestellt. Aber auch wenn sie nicht wahr sein sollte, so wäre sie immerhin wunderbar erfunden. Denn nichts bezeichnet Deutschlands rätselhaftestes Brüderpaar so perfekt wie das Wort „billig“. Es war ihr Lebensmotto, es war die Ursache ihres gigantischen Erfolgs. „Unsere Werbung liegt im billigen Preis“, sagte Karl Albrecht bereits im Jahr 1953. Da war er bereits sieben Jahre im Geschäft. 1946 hatte er nach einer Lehre im Essener Feinkostladen Weiler zusammen mit seinem Bruder das kleine Lebensmittelgeschäft seiner Mutter, ebenfalls in Essen, übernommen. Und nun begann ein Siegeszug ohnegleichen. Nach und nach baute er eine – zunächst ganz konventionelle – Ladenkette auf, verfügte schon 1950 über 13 Geschäfte, dehnte sie in den Folgejahren über das gesamte Ruhrgebiet aus, 1960 waren es bereits 300.
Der Durchbruch zum Branchenriesen kam im Jahr 1962. Da eröffneten die beiden Brüder in Dortmund den ersten Aldi-Markt, wie man ihn heute kennt: keine Dekorationen, keine besonderen Einrichtungen, kleine Verkaufsflächen, Waren auf Paletten und ein straff reduziertes Sortiment. Noch heute bietet Aldi lediglich etwa tausend Artikel. Eine Edeka-Filiale kommt, je nach Größe, auf ungefähr 35 000.
Die Gründer wurden reich, steinreich
Die Idee schlug ein, das Imperium, das sich aus den beiden Anfangssilben von „Albrecht-Discount“ zusammensetzt, wuchs und expandierte. Erst ins europäische Ausland, 1976 dann in die USA und im Jahr 2000 nach Australien. Allein in Deutschland gab es 2012 rund 10 000 Aldi-Märkte mit einem Gesamtumsatz von geschätzten 62 Milliarden. Und die Gründer wurden reich davon, steinreich. Theo Albrechts Vermögen wurde vor vier Jahren, als er starb, auf immerhin 16,7 Milliarden Euro geschätzt. Bruder Karl übertraf ihn noch mit 19,2 Milliarden. Er galt damit als reichster Deutscher und belegt auf der internationalen Forbes-Liste der vermögendsten Menschen der Welt immerhin den 24. Platz. So wenig man über das Brüderpaar weiß, so scheint doch gesichert, dass Karl der Vordenker und Impulsgeber gewesen ist. Sein Teil-Imperium, Aldi-Süd, war stets der Vorreiter, Aldi-Nord zog nach. Etwa mit der Idee, nach geraumer Zeit auch Frischprodukte ins Sortiment aufzunehmen, Obst- und Gemüsetheken. Oder mit der Aldi-Revolution, mit der Einführung des Euro endlich auch auf Scanner-Kassen umzustellen, wie sie in anderen Supermärkten längst üblich waren. Zuvor hatte man als Aldi-Kunde an den Kassen die unbegreifliche Schnelligkeit der Mitarbeiter, fast immer waren es Frauen, bewundern können, die offensichtlich die Preise jedes einzelnen Artikels im Kopf hatten und sie mit so affenartiger Geschwindigkeit eintippten, dass man mit dem Einpacken gar nicht nachkam.
Am Anfang wurde der Discounter als Unterschichtenphänomen verspottet
Aldi veränderte seit den 60er Jahren die Einkaufsgewohnheiten der Deutschen grundlegend. Am Anfang wurde der Discounter als Unterschichtenphänomen verspottet, wer eine Plastiktüte mit dem großen blauen „A“ trug, galt als Angehöriger niedrigster Einkommensgruppen, der es sich nicht leisten konnte, bei Tante Emma oder wenigstens im normalen Supermarkt einzukaufen. Aber nach und nach änderte sich das. Immer mehr sprach sich herum, dass einige der Aldi-Artikel keineswegs schlechter waren als die teurere Ware anderswo. Und so wurden deutsche Waschmaschinen vielfach eben nicht mehr mit Persil gefüllt, sondern mit Tandil von Aldi. Die Untersuchungen von „Stiftung Warentest“ taten ein Übriges. Immer öfter fanden sich Discounter-Produkte auf den Spitzenplätzen der Testreihen – obwohl sie nur einen Bruchteil kosteten, besonders oft übrigens bei Kosmetika.
So kauften nach und nach auch besser Betuchte bei Aldi ein – und begannen mittlerweile sich nicht mehr dafür zu schämen. Das Kochbuch „Aldidente“ wurde zum Verkaufsschlager und Aldi zum Kult. Als sogar Günther Jauch einmal seine Aldi-Zuneigung bekannte, war der Discounter endgültig aus dem Stadium des Exoten in der deutschen Einkaufslandschaft herausgetreten. Und natürlich bekam das Geschäftsmodell auch bald Nachahmer: Lidl, Netto, Penny.
Neues Publikum, neues Sortiment
Mit dem neuen Publikum, das die schmucklosen Hallen nun immer häufiger betrat, änderte sich allerdings auch das Sortiment. Plötzlich tauchte im so unsäglichen wie undefinierbaren Weinsortiment, Flasche für 1,99 Euro, auch ein Aldi-Champagner auf, und der badische Edelwinzer Fritz Keller stellte eine spezielle Aldi-Edition bereit. In den Kühltheken fand man inmitten aller Schlichtheit und Nüchternheit gar ein Vitello Tonnato. Auch solche Veränderungen gingen immer von Aldi-Süd aus, dem Reich von Karl Albrecht also, der fand, dass man dem im Durchschnitt kulinarisch versierteren süddeutschen Publikum etwas Entsprechendes bieten müsse. Natürlich gab es von Anfang an auch Kritik an der Warenwelt von Aldi. Das Wort „Aldisierung“ kam auf und meinte den Wahn, dass Lebensmittel vor allem billig sein müssten, und dass gute Ware stets preiswert zu haben sei. Von Uniformität und Effizienzwahn war die Rede, und viele fragten nun, woher die günstigen Produkte eigentlich kämen, unter welchen Bedingungen Menschen für die sagenhaften Aldi-Preise arbeiteten. Auch die Gewerkschaften interessierten sich immer wieder fürs Aldi-Personal, speziell für die chronische Unterbesetzung der Filialen.
Es heißt, er züchtete Orchideen
Nachfragen in den Geschäftszentralen wurden meist recht wortkarg beantwortet. „Wir behalten uns vor, aus grundsätzlichen Erwägungen strategische und unternehmenspolitische Fragestellungen nicht zu beantworten“, hieß es da. Auch in seinem Geschäftsgebaren zeigte sich das Unternehmen so verschlossen wie in seinen Mitteilungen über das wirkliche Leben von Karl und Theo Albrecht.
Diese Verschlossenheit hatte natürlich auch mit der Entführung von Theo im Jahr 1971 zu tun, der nach 17 Tagen gegen ein Lösegeld von sieben Millionen D-Mark wieder freigelassen wurde. Seitdem haben sich die Albrechts fast nie mehr in der Öffentlichkeit gezeigt. Und als vor einiger Zeit die Stadt Essen das Stammhaus der Familie unter Denkmalschutz stellen und eine Straße nach ihnen benennen wollte, wehrte sich das Unternehmen mit Händen und Füßen.
1994 hat sich Karl Albrecht aus dem unternehmerischen Tagesgeschäft zurückgezogen. Die letzten Jahre seines Lebens wohnte er hauptsächlich im badischen Donaueschingen, wo er ein Fünf-Sterne-Hotel mit Blick auf Golfplatz und Aldi-Lager bauen ließ. Wie er seine Zeit dort verbracht hat, ist unbekannt. Er habe Orchideen gezüchtet, heißt es. Vor vier Jahren, als er seinen 90. Geburtstag feierte, gab es doch für einen kleinen Moment so etwas wie Öffentlichkeit. Die Unternehmensmanager hatten eine Feier organisiert. Auf dem Golfplatz trat ein Zirkus auf, anschließend sollte es im Zelt ein Galadiner geben. Gäste erzählen, dass Karl Albrecht eine Dankesrede hielt. Die lautete: „Ich wollte nicht, dass ihr alle kommt. Ich habe Hunger. Und ich gehe bald wieder nach Hause.“
Dieser Text erschien auf der Dritten Seite.