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Auch das deutsche Unternehmen Biontech forscht an einem Corona-Impfstoff.
© Stefan Albrecht/Biontech/dpa

Suche nach Corona-Impfstoff: Das chinesische Pharma-Unternehmen, das den USA zuvorkommen will

Die Forschung in der Coronakrise ähnelt dem Wettlauf um die Mondlandung. Vorne dabei ist eine unbekannte Firma, die schon den Ebola-Impfstoff entwickelt hat.

Plötzlich schaut die Welt auf CanSino Biologics. Dabei war der nordchinesische Impfstoffhersteller bis vor kurzem nur Spezialisten bekannt, und das, obwohl das in Hongkong gelistete Unternehmen schon knapp 3,5 Milliarden US-Dollar wert ist und bereits 16 Impfstoffe gegen 13 Krankheiten auf den Markt gebracht hat. Darunter einen innovativen Impfstoff gegen Ebola, der ab 2017 verkauft werden durfte.

Doch nun geht es um den ersten Impfstoff gegen das Corona-Virus, das die bisher größte globale Krise des 21. Jahrhunderts ausgelöst hat. Viele Unternehmen weltweit forschen derzeit daran.Gerade ist in Deutschland die erste klinische Studie für einen Impfstoff zugelassen worden. Den Zuschlag erhielt die Firma Biontech, die sich dafür mit dem Pharmariesen Pfizer zusammengetan hat. Doch zwei andere Unternehmen haben bereits Mitte März mit klinischen Studien begonnen. Das eine ist die in Cambridge ansässige Moderna Therapeutics. Das zweite ist CanSino mit Sitz in der nordchinesischen Hafenstadt Tianjin.

Wettbewerb China gegen USA

Am 16. März starteten die Amerikaner, nur einen Tag später die Chinesen. Zufall ist das nicht: Es ist fast ein schon ein wenig so, wie damals der Wettlauf der Amerikaner und der Russen um den ersten bemannten Flug in den Weltraum. Nun tritt jedoch die aufsteigende Weltmacht China gegen die amtierende Weltmacht USA an, wer den besten Impfstoff am schnellsten entwickeln kann. Und am Ende steht mindestens ein neuer Impfstoff für die ganz Welt, hervorgebracht im globalen Wettbewerb.

Für Yu Xuefeng, dem Chef des Unternehmens und einer der Gründer von CanSino, ist es noch ein wenig ungewohnt, derart im Mittelpunkt des Weltgeschehens zu stehen. Aber er ist auch stolz: Die vorklinischen Tierversuche mit dem neuen Impfstoff, der „Ad5-nCoV“ heißt, seien „sehr vielversprechend gewesen“, sagt er.

Kaum wurde das Ausmaß der Krise im Januar klar, haben seine Teams mit ihren Forschungen begonnen und mit Sondergenehmigung durchgearbeitet, obwohl China ansonsten komplett heruntergefahren werden musste. „Wir arbeiten fast rund um die Uhr seit Ende Januar“ so Yu, „um den Impfstoff mit so umfassenden wissenschaftlichen Daten zu entwickeln, dass sie für einen IND-Antrag ausreichen.“

In Partnerschaft mit dem Militär

IND bedeutet Investigational New Drug (IND) Application, ein Genehmigungsverfahren zur Zulassung Medikamenten. Yu entwickelt den Impfstoff zusammen mit dem chinesischen Militärinstitut für Biotechnologie. Sein Partner dort ist die Bioingenieurin und Generalmajorin Chen Wei. So wie in den USA arbeiten auch in China Militär und Wirtschaft eng zusammen, wenn es um Innovationen geht.

Jeweils 36 Testpersonen haben eine geringe, mittlere und hohe Dosis des Virus in den Oberarm gespritzt bekommen. „Wir müssen jetzt schnell sein, ohne die Qualität zu vernachlässigen“, fügt Yu hinzu. „Trotz des Zeitdrucks, darf der Impfstoff den Menschen auf keinen Fall noch mehr anderen Schaden zufügen.“ Darauf achten auch die staatlichen Kontrolleure. Denn, wenn etwas schiefgeht, wäre das auch ein politisches Desaster für Peking. Deswegen konzentrieren sich die Forscher sehr auf die Nebenwirkungen. Wie hilfreich sind jetzt die Erfahrungen der anderen großen Schwesterviren MERS und SARS? „Obwohl wir viel von MERS, SARS gelernt haben ist SARS-CoV-2 ein neuer Virus, der sich sehr anders verhält und den wir leider ganz von neuem verstehen müssen“, sagt Yu.

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Niemals hätte Yu geglaubt, dass er so schnell so erfolgreich werden würde. Er hatte andererseits aber auch keine Scheu, als der Underdog zwischen großen Pharmakonzernen anzufangen, als er CanSino 2009 gründete: „Das ist so wie bei Huawei: Niemand kannte sie vor ein paar Jahren, jetzt kennt sie jeder“, sagt er. „Der Pharmamarkt verändert sich langsamer, aber er verändert sich auch.“

Erst ins Ausland, dann wieder zurück

CanSino ist auch die Geschichte von jungen Chinesen, die erst unbedingt ins Ausland wollten und dann nach 20 Jahren unbedingt wieder zurück. Eine Geschichte, aus der auch der Firmenname entstanden ist: Can steht für Canada. Sino für China. Bei Yu und einer Gruppe von Freunden war der Wendepunkt ein Grillabend in Montreal: Sie entschlossen sich, nach 20 Jahren in Kanada, ihre Familien erst einmal zurück zu lassen und nach China zurück zu kehren, um ganz neu anzufangen. Denn, so Yu: „Die Chancen, Neues zu entwickeln und damit erfolgreich zu sein, sind in China viel größer.“

Zwei Dekaden zuvor war Yu ebenso entschlossen, China für seine Doktorarbeit zu verlassen. Es ärgerte ihn schon sehr, dass der chinesische Staat damals von ihm verlangte, seine Ausbildungskosten zurückzuzahlen: 10.000 Yuan, heute gut 1300 Euro, bei einem Gehalt von 100 Yuan. Doch er dachte sich, jetzt erst recht. Seine Familie half ihm mit dem Geld.

Er zog um und schaffte es: Yu wurde an der McGill University in Montreal promoviert, die beste Universität Kanadas und eine der 20 besten der Welt. Er gründete eine Familie in Canada und machte Karriere: Bei Sanofi Pasteur wurde er zum jüngsten Abteilungsleiter, den es dort jemals gegeben hat. Sanofi Pasteur ist die Impfstofftochter des Pharmariesen Sanofi, das weltweit größte Unternehmen für Impfstoffe.

Für Yu wäre es ein Leichtes gewesen, in Kanada zu bleiben. Gute Luft, viel Freizeit, ein sicherer, gut bezahlter Job. Doch den Mann lockt die Herausforderung. Er und seine Freunde glauben, die Welt besser und schneller verändern zu können, wenn sie nun in ihre Heimat zurückkehren. Und es scheint in China möglich, viel schneller viel Geld zu verdienen.

Die Wahrscheinlichkeit, einen Börsengang in Hongkong hinzubekommen, ist viel höher und lässt sich auch zügiger erreichen als im Westen. Mit seiner Einstellung ist Yu einer von vielen, die es vor drei Jahrzehnten in die Welt zog und die Mitte der 2000er Jahre wieder zurückkehrten. „Es fühlte sich, wie eine Verpflichtung an“, sagt er.

Solide Forschung, aber schlecht vermarktet

Und diesmal hat Yu den Staat also nicht gegen sich, sondern im Rücken. Peking will unbedingt eine eigene Pharmaindustrie aufbauen. Schnell wird dem Experten klar, wo die Marktlücke liegt. Die chinesische Impfstoff-Forschung ist solide, aber den einheimischen Unternehmen gelingt es nicht recht, die Wirkstoffe zu kommerzialisieren. Und Yu weiß, wie das geht. Dass er auf dem richtigen Weg ist, wird ihm deutlich als er sein Projekt der Weltgesundheitsorganisation vorstellt. „Niemand kannte uns dort“, sagt Yu, „Die waren sehr begeistert über das, was wir hinbekommen wollen.“

Der große Durchbruch von CanSino kommt nur sechs Jahre nach der Gründung. Das Ebola-Medikament der Firma hat die zweite Phase der klinischen Tests in Sierra Leone erfolgreich bestanden. Und plötzlich haben die großen Player im Markt wie GlaxoSmithKline und Johnson & Johnson einen neuen Wettbewerber. Zwei Jahre später bekommt CanSino die Genehmigung der chinesischen Behörden, den Impfstoff zu vermarkten. Ebola, das 2017 in Westafrika ausgebrochen war, hat mehr als 11 000 Menschen getötet.

Nach diesem Durchbruch ist es nicht mehr schwierig, Investoren zu bekommen. 65 Millionen US-Dollar sammeln die Gründer ein. Größter Einzelinvestor mit einem Anteil von 18 Prozent wird sogar ein US-Unternehmen: Der Pharmakonzern Eli Lilly and Company, mit 22 Milliarden Umsatz einer der größten der Welt. Der staatliche chinesische Staatsfonds Future Industry Development Fund hat auch investiert, aber nur mit gut fünf Prozent. Die Verbindung zum Staat ist ja durch das Militärinstitut sowieso schon sehr eng.

Nach Ebola geht es gegen Pneumokokken

Yu legt nun den Schwerpunkt auf die Entwicklung eines Impfstoffes gegen Pneumokokken-Bakterien. Pneumokokken sind die Erreger, die unter den Bakterien am häufigsten eine Lungenentzündung auslösen, sie können aber auch Hirnhaut- oder Mittelohrentzündungen verursachen. Bei zwei bis zehn Prozent der Erkrankten verläuft eine schwere Infektion mit Pneumokokken tödlich. Bei etwa 15 Prozent entstehen dauernde Folgeschäden, vor allem auch bei Säuglingen und Kleinkindern. Mit dem wichtigsten Medikament in diesem Bereich, Prevnar 13,  hat der US-Konzern Pfizer Milliarden verdient.

Allerdings hilft der Impfstoff nur gegen 13 Bakterien-Serotypen – diejenigen, die im Westen am häufigsten vorkommen. Weltweit sind es jedoch 90. Es ist Yu auch ein gesellschaftspolitisches Anliegen, einen Impfstoff auf den Markt bringen, der gegen alle Serotypen hilft und damit auch den Menschen in den Schwellenländern, selbst wenn man damit am Anfang nicht so viel verdienen kann.

Corona-Forschung treibt Aktie nach oben

Die Investoren überzeugt sein Konzept. Ende März 2019, also zehn Jahre nach der Gründung, wird das Unternehmen in Hongkong gelistet, obwohl China noch ein Jahr zuvor von einem Impfstoffskandal erschüttert wurde. Ein chinesisches Unternehmen hatte rund 250.000 Dosen gepanschten Impfstoff für Babys verkauft. Ein Sturm der Entrüstung brach in China los. Wer es sich leisten kann, beschränkt sich seither auf ausländische Impfstoffe.

Dennoch steigt die CanSino Aktie fast 60 Prozent über ihrem Ausgabewert mit 34 HK-Dollar ein, der höchste Einstiegssprung in Hongkong seit 2017. „Ein Zeichen des Vertrauens“, freut sich Yu. Ein Jahr später ist die Aktie rund viermal so viel wert. Vor allem die Corona-Forschungen in den vergangenen Wochen haben sie nach oben getrieben. Die Erwartungen an Yu sind hoch. Jetzt muss er zeigen, dass er neben den großen Spielern aus dem Westen bestehen kann. Geduld braucht er dafür auch. Erst Ende diesen Jahres lässt sich frühestens sagen, wie erfolgreich sein Corona-Impfstoff werden kann.

Frank Sieren

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