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Die Erpressersoftware Petya verschlüsselt Computerdaten, die Folgen spüren Kunden inzwischen sogar im Supermarkt. Foto: Donat Sorokin/TASS
© imago/ITAR-TASS

Sicherheitsleck verursacht Versorgungslücken: Cyberkrieg im Kühlregal

Der jüngste Hackerangriff beeinträchtigt große Konzerne massiv. Es gibt Produktionsausfälle, erste Waren fehlen in den Regalen.

Die oft so abstrakte Bedrohung durch Hackerangriffe manifestiert sich derzeit in Form von Feta-Gurken-Frischkäse. Der liegt in deutschen Supermärkten neben anderen ausgefallenen Sorten und großen Mengen laktosefreien Brotaufstrichs. Damit sollen offenbar die Lücken kaschiert werden, die durch fehlenden Nachschub an normalem Philadelphia-Frischkäse entstanden sind. In mehreren Berliner Filialen von Edeka und Lidl ist der momentan nicht im Angebot. Denn als Folge eines Hackerangriffs Ende Juni in der Ukraine stand die Philadelphia-Fabrik des Lebensmittelriesen Mondelez im niedersächsischen Bad Fallingbostel tagelang still, auch das Milka-Werk in Lörrach und ein Logistikzentrum waren lahmgelegt.

Produktion von Schokolade, Frischkäse und Kondomen lahmgelegt

Zuvor hatten sich viele Computerbildschirme bei Mondelez plötzlich rot gefärbt, ein weißer Totenkopf erschien und die Nachricht: „Die Festplatte ihres Computers wurde verschlüsselt.“ Zur Freigabe der Daten forderten die Hacker 300 Dollar in der Digitalwährung Bitcoin. Allerdings glauben viele Sicherheitsexperten, dass es den Urhebern gar nicht um das Geld ging. Manche vermuten darin sogar eine weitere Schlacht im Cyberkrieg. Auch die Ukraine macht Russland für den Angriff verantwortlich, die dortige Regierung weist dies zurück. „Mit hoher Sicherheit waren die Absichten destruktiver Natur und nicht wirtschaftlich motiviert“, erklärt Talos, die IT-Sicherheitstochter von Cisco. Und der Schädling namens Petya entfaltete schnell seine zerstörerische Kraft: Ursprünglich war er in eine ukrainische Buchhaltungssoftware eingeschleust worden, verbreitete sich dann jedoch durch die Firmennetzwerke weltweit. Es traf neben Mondelez unter anderem den Nivea-Hersteller Beiersdorf, die dänische Reederei Maersk und Reckitt Benckiser, den Hersteller von Durex-Kondomen. Ein Sicherheitsleck im Computer verursacht so plötzlich Versorgungslücken im Supermarkt.

Die wirtschaftlichen Folgen zeigen sich beim britischen Konsumgüterkonzern Reckitt Benckiser, neben Durex bekannt für Reinigungsprodukte und Haushaltswaren der Marken Vanish, Sagrotan oder Scholl. „Einige unserer Fabriken arbeiten immer noch nicht normal“, erklärte das Unternehmen. Die Briten befürchten, dass sie die Ausfälle ein Drittel des geplanten Jahreswachstums kosten werden. Die Umsatzverluste könnten sich auf 113 Millionen Euro summieren.

 Probleme in Deutschland größer als bisher angenommen

Die Bedrohung sei auch für deutsche Unternehmen größer als bislang angenommen, erklärt das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). „In einigen Unternehmen in Deutschland stehen seit über eine Woche die Produktion oder andere kritische Geschäftsprozesse still“, sagte BSI-Chef Arne Schönbohm. „Hier entstehen Schäden in Millionenhöhe.“ Bei Beiersdorf fiel die Produktion in mehreren Werken aus, die Telefonanlage und der E-Mailverkehr waren stillgelegt. Die deutschen Nivea-Fabriken laufen wieder. Aber in anderen Ländern gibt es noch Einschränkungen. „Die Produktion läuft noch nicht überall auf vollem Niveau“, erklärte eine Sprecherin. Die Kosten der Ausfälle ließen sich noch nicht abschätzen.

„Wir analysieren noch die vollen finanziellen Auswirkungen“, erklärte auch Mondelez. Allerdings werde das Wachstum im zweiten Quartal dadurch um drei Prozent niedriger ausfallen. Im ersten Quartal erzielte der Hersteller von Milka, Oreo oder Philadelphia einen Umsatz von 5,6 Milliarden Dollar. In Deutschland seien die Probleme inzwischen behoben. „An einigen Stellen sind wir noch damit beschäftigt, den durch den Produktionsstopp entstandenen Rückstau an Auslieferungen aufzuarbeiten“, erklärt das Unternehmen.

 Nachschub an Philadelphia-Frischkäse fehlt

Insbesondere bei Philadelphia kommt es so zu Engpässen. Der Frischkäse fehlt nicht nur in verschiedenen Supermärkten, sondern auch bei den Lieferdiensten Amazon Fresh und Bringmeister von Edeka. „In Kürze wieder verfügbar“, heißt es auf der Bringmeister-Webseite. Edeka wollte sich „aus Wettbewerbsgründen“ nicht dazu äußern. Wie groß die Versorgungssschwierigkeiten sind, ist daher schwer zu sagen. „Es gibt keine Lieferengpässe“, heißt es beispielsweise bei Rewe, die Lager seien ausreichend gefüllt.

Weitere Produkte könnten fehlen, da weltweit Container nicht wie geplant verschifft wurden. Denn auch die weltgrößte Containerreederei Maersk ist massiv getroffen. Im Hafen von Rotterdam konnte ein Terminal erst am Freitag wieder den Betrieb aufnehmen. In fünf Ländern, darunter Kolumbien und Libanon können weiterhin keine Container be- und entladen werden. Zudem haben die Betroffenen Schwierigkeiten herauszufinden, wo ihre Ladung steckt. „Wir arbeiten hart daran, das Container-Tracking wiederherzustellen“, schreibt Maersk seinen Kunden. Verschiedene Online-Systeme und der Mailverkehr funktionieren wieder, das Telefonsystem ist in einigen Regionen immer noch eingeschränkt. Auch Rechnungen kann Maersk nicht erstellen, versichert aber: „Wir erheben natürlich keine Säumniszuschläge.“

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