Im Trend: Computerspieler werden Game-Designer
Mit Editoren können selbst Einsteiger komplexe Welten bauen. Das hilft der Spieleindustrie.
Haben Sie schon mal von „Roblox“ gehört? Mit 100 Millionen Nutzern pro Monat ist es das derzeit beliebteste Computerspiel der Welt – deutlich vor „Minecraft“, das im März auf 91 Millionen Spieler kam. „Roblox“ ist eine kunterbunte Online-Welt, in der jeder Teilnehmer seine eigenen Spiele erschaffen kann – vom Action-Abenteuer bis zum Autorennspiel. Nutzer können diese Eigenkreationen anschließend teilen oder verkaufen, einige werden so zu Millionären. Die „Roblox“-Macher verdienen durch Gebühren kräftig mit.
„Roblox“ steht für einen Trend: Es kommen immer mehr Computerspiele auf den Markt, die ihre Nutzer zu Game-Designern machen. Ende Juni veröffentlichte Nintendo „Super Mario Maker 2“, mit dem Spieler eigene Level rund um die Abenteuer des schnauzbärtigen Klempners bauen.
Bereits seit Mitte April ist der Spielebaukasten „Dreams“ von Sony in einer Vorab-Version erhältlich. Das erfolgreiche Online-Spiel „Fortnite“ von Epic Games hat mit „Fortnite Creative“ einen eigenen Kreativ-Modus, in dem sich Level-Architekten austoben können. Blizzard Entertainment hat für den Shooter „Overwatch“ einen eigenen Workshop herausgebracht. Und selbst Google glaubt, mit dem „Game Builder“ im Geschäft der Spiele-Editoren mitmischen zu müssen.
Doch warum dieser Boom? Was braucht es Editoren, wenn Spielefirmen doch selbst jede Menge Game-Designer beschäftigen? Die Antwort lautet „User-Generated Content“ (UGC), zu Deutsch: „nutzergenerierte Inhalte“. Wenn Gamer zu Game-Designern werden, hat das für die Firmen gleich mehrere Vorteile.
Erstens lässt UGC die Spielefans kreativ werden – und sorgt dadurch für Langzeitmotivation und dauerhafte Kundenbindung. Zweitens liefern die Spieler frische Inhalte frei Haus, die Firmen müssen selbst weniger Geld in den Nachschub investieren. Und drittens passt UGC ganz hervorragend zur Kultur der Streamer und Influencer: Die nämlich sind ständig auf der Suche nach einzigartigen Inhalten, die sie auf Youtube oder Twitch präsentieren können – und bringen den Spielen dadurch zusätzliche Aufmerksamkeit.
Nutzergenerierte Inhalte schon lange Trend
Nun sind nutzergenerierte Inhalte in Computerspielen wahrlich kein neues Phänomen. Bereits in den 1980ern erschienen sogenannte Construction Sets, mit denen Level und ganze Games auf dem PC gebaut werden konnten. Auch das „Modding“ – also die Modifikation bestehender Spiele durch Nutzer – gewann über die Jahrzehnte an Einfluss: Der Shooter „Counter-Strike“ (1999) beispielsweise ist eine Mod des Klassikers „Half-Life“ von 1998. Sony machte das Games-Editing mit der Reihe „LittleBigPlanet“ ab 2008 auch auf Konsolen populär: Allein in „LittleBigPlanet 3“ schufen Fans bis heute mehr als zehn Millionen Level.
2009 erschien der Klötzchen-Klassiker „Minecraft“ und machte nutzergenerierte Inhalte endgültig zum Mainstream: Die Nutzer bauten so ziemlich alles Mögliche – vom Todesstern aus „Star Wars“ bis zum Kontinent Westeros aus „Game of Thrones“. Sony („Landmark“) und Microsoft („Project Spark“) versuchten, den Erfolg von „Minecraft“ zu kopieren, scheiterten aber unter anderem daran, dass die beiden Editoren keine starken Marken im Rücken hatten. Besser machte es die Firma Traveller’s Tales, die 2017 den virtuellen Sandkasten „Lego Worlds“ veröffentlichte.
Heute leben kreative Spieler in geradezu paradiesischen Zeiten: „Super Mario Maker 2“, „Dreams“ & Co. setzen der Schaffenskraft immer weniger Grenzen. Die Editoren bieten immer mehr Funktionen, mit denen sich selbst komplexe Spielabläufe in kurzer Zeit entwerfen lassen. Dabei setzen sie durchaus unterschiedliche Schwerpunkte, was Einführung, Bedienbarkeit und Inhalte betrifft. Die Stärke von „Super Mario Maker 2 (SMM2)“, das für Nintendo Switch erschienen ist und rund 50 Euro kostet, liegt in der schier unendlichen Variation des Wohlbekannten.
Schon anlässlich des ersten Teils von 2015 schrieb das Games-Magazin „The Verge“ sehr treffend: „Das Bauen von Leveln in Super Mario Maker ist, als ob man eine Sprache lernt, von der man schon die meisten Vokabeln kennt.“ Aus dieser Grundvertrautheit heraus lassen sich Bausteine, Gegner und Effekte virtuos zu etwas Neuem kombinieren.
Allerdings hat die Variation des Bekannten den Nachteil, dass Spieler Figuren weder selbst modellieren noch wirklich neue 3-D-Welten erschaffen. Mit anderen Worten: „SMM2“ ist kein offenes Game-Design-Tool, sondern ein – wenn auch sehr hübscher – „Walled Garden“, also ein geschlossenes System.
Nintendo vermeidet so, dass die Ästhetik des „Mario“-Universums verwässert wird – und dass es durch hochgeladene Inhalte zu Urheberrechtsverletzungen kommt. Die Schaffung eigener Inhalte vermittelt das „Game-Design-Spiel“ im Übrigen sehr gekonnt: mit einer Reihe gut gemachter Tutorial-Videos, die jeden Aspekt der Levelgestaltung beleuchten – und mit einem Kampagnenmodus, in dem Spieler die vorgefertigten Level nachbearbeiten können, wenn sie nicht weiterkommen. Gewissermaßen „Learning by Playing“.
Der Erfolg gibt Nintendo recht: Bis Mitte des Jahres hatte sich „SMM2“ bereits 2,42 Million Mal verkauft – und ist damit eines der erfolgreichsten Spiele für die Konsole Switch. Auf Youtube und Streaming-Portalen wie Twitch wimmelt es von Tests und Empfehlungen der neuesten Nutzerkreationen.
Spielefirmen arbeiten mit Influencern zusammen
Let’s-Play-Videos wie die des deutschen Youtube-Stars „Gronkh“ hatten ja bereits dazu beigetragen, das Selbstbau-Spiel „Minecraft“ bekannt zu machen. „Eines der größten Probleme für Influencer ist, neue, spannende Dinge zu finden, die sie auf ihrem Kanal behandeln und besprechen können“, schreibt die finnische Firma Traplight in ihrem Blog – sie betreibt unter anderem das Smartphone-Spiel „Big Bang Racing“, in dem Nutzer mehr als sieben Millionen Rennstrecken selbst erschaffen haben.
„Gaming-Youtuber investieren viel Zeit und Mühen, um neue Games zu finden – oder neue Perspektiven auf das Game, um das sich ihr Kanal dreht“, schreibt Traplight weiter. Indem sie nutzergenerierte Inhalte behandeln, können Youtuber laut Traplight aus dem Überangebot an Kanälen herausstechen – und ihre Fans ganz anders einbinden als mit traditionellen Games. „Influencer und UGC passen einfach zusammen“, resümiert Traplight. „Deshalb konzentrieren wir unsere Marketing-Anstrengungen auf Influencer.“
Dass Spielefirmen ihr Marketing-Budget richtig einsetzen, ist wichtiger denn je. Um Großproduktionen wie „Fifa 19“ oder „Red Dead Redemption 2“ ins öffentliche Bewusstsein zu bringen, geben Spielefirmen mittlerweile Hunderte Millionen Euro aus.
Gleichzeitig steigen auch die eigentlichen Produktionskosten für besagte AAA-Titel. „Als Daumenregel lässt sich aufstellen, dass das Marketingbudget eines AAA-Titels etwa 75 bis 100 Prozent der Entwicklungskosten entspricht“, schreibt der Games-Experte Raph Koster in einem Gastbeitrag auf Venturebeat.com.
Für Spielefirmen kann es sich also durchaus lohnen, UGC-Werkzeuge in ihre Games einzubauen. Im besten Fall werden die Games dadurch zu Dauerbrennern wie „Minecraft“ oder „Roblox“ – inklusive umfangreicher Social-Media-Berichterstattung.
Auch für den Spielebaukasten „Dreams“ läuft es sehr gut: Seit dem Start im April hat es mehr als 100 000 Nutzer gewonnen. Das ist eine ganze Menge, wenn man bedenkt, dass „Dreams“ derzeit nur als unfertige Vorab-Version („Creator Early Access“) existiert und noch keine handlungsbasierte Kampagne, sondern nur den Editor bietet.
Das britische, zu Sony gehörende Entwicklerstudio Media Molecule („LittleBigPlanet 1–3) hat sich für „Dreams“ ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: Mit dem Editor sollen User wirklich jedes Game erschaffen können. Ähnlich wie „SMM2“ setzt „Dreams“ auf das Teilen und Remixen nutzergenerierter Inhalte: Im sogenannten Dreamiverse können Spieler nicht nur ganze Spiele, sondern auch einzelne Elemente (Figuren, Landschaftsteile, Sounds etc.) zur Verfügung stellen. Der Einstieg ins Level-Design ist anspruchsvoller als bei „SMM2“. Was natürlich auch daran liegt, dass „Dreams“ viel mehr Möglichkeiten bietet – etwa einen Freihandmodus und organisch wirkende 3-D-Landschaften.
Kreativität und Detailverliebtheit sorgen bei nutzergenerierten Inhalten immer wieder auch für Staunen. Besonders beeindruckend ist die Leistung des offenbar erst 14-jährigen Users „Claptrap9“: Dieser baute „SMM2“ mithilfe von „LittleBigPlanet 3“ nach: ein Level-Editor im Level-Editor sozusagen. Und ein strahlender Beweis für die Kraft von User-Generated Content.