Vorzeigeprojekt in Bosnien-Herzegowina: China fördert Kohlekraft – auch in Europa
Neue chinesische Kohlekraftwerke entstehen auch in Osteuropa. Damit unterläuft Peking die Versuche der EU, Beitrittsinteressenten zum Kohle-Ausstieg zu bewegen.
Das erste chinesische Kohlekraftwerk von Bosnien-Herzegowina steht in einem kleinen Ort namens Stanari auf halbem Weg zwischen Sarajewo und der kroatischen Hauptstadt Zagreb. Bereits vor vier Jahren wurde die Anlage fertiggestellt. Strom aus diesem Kraftwerk werde bis nach Deutschland geliefert, verkündete die staatliche chinesische Nachrichtenagentur Xinhua stolz.
Gebaut hat die Anlage der chinesische Staatskonzern Dongfang Electric, die China Development Bank hat ihn mit einem Kredit von 350 Millionen Euro finanziert. Das Kraftwerk kann 2000 Gigawattstunden pro Jahr erzeugen.
Während die Europäische Kommission den Kohleausstieg vorantreibt, setzen Bosnien-Herzegowina und andere EU-Beitrittsinteressenten weiter auf Energie aus Braunkohle. Bosnien-Herzegowina produziert noch rund 60 Prozent seines Stroms aus dem fossilen Energieträger. Das ist nicht ungewöhnlich im kohlereichen Südosteuropa – und spielt chinesischen Ambitionen in die Hände.
Im Rahmen seiner „Belt and Road Initiative“ (BRI), auch bekannt als „Neue Seidenstraße“, vermarktet China in der Region seine Kraftwerkstechnologie.
Das mit hohen Krediten unterfütterte Vorgehen ähnelt dem chinesischen Export von Kohlekraftwerken in Südostasien und auf dem afrikanischen Kontinent. Auch in der Türkei sind die Chinesen aktiv: Nahe der Grenze zu Syrien errichten sie derzeit ein Kohlekraftwerk mit einer Kapazität von 1,7 Gigawatt für 1,7 Milliarden US-Dollar.
Widerstand der Europäischen Energiegemeinschaft
In Bosnien-Herzegowina soll – wie das Kraftwerk in Stanari – nun auch der neue Block 7 des Kraftwerks Tuzla hauptsächlich mit Geld aus China finanziert werden. Die China Exim-Bank stellt dafür mehr als 870 Millionen Euro zur Verfügung. Im vergangenen Jahr wurde das Projekt genehmigt. Premierminister Fadil Novalic spricht von einem „historischen Ereignis“. Zum ersten Mal in 40 Jahren erhalte Bosnien Energieinvestitionen im großen Stil – aber leider nicht von der EU.
Im Gegenteil: Die Europäische Energiegemeinschaft, zu der Bosnien gehört, sieht in dem chinesischen Engagement eine widerrechtliche Staatssubvention und hat ein sogenanntes Streitbeilegungsverfahren eröffnet. Der Gemeinschaft gehören die Europäische Union sowie zwölf Länder des westlichen Balkans und der Östlichen Partnerschaft der EU an.
Mehr Hintergründe zur „Neuen Seidenstraße“
- Umfrage der EU-Handelskammer: Chinas neue Seidenstraße bleibt EU-Unternehmen verschlossen
- Infrastruktur im Himalaya: Wie der Straßenbau Nepal für immer verändert
- Asiens Lebensader trocknet aus: China staut das Wasser des Mekong und setzt die Nachbarn unter Druck
Verhindern kann Brüssel deren Öffnung für chinesische Kohlekraftwerksbauer nicht, das gilt auch für den neuen Kraftwerksblock in Tuzla. Kipplader auf dem Baugelände haben bereits begonnen, den Aushub abzutransportieren.
15 Milliarden Tonnen Braunkohle in Kosovo
Bosniens Dilemma: Es verfügt über viel Braunkohle, deren Qualität nicht gut genug ist, um sie zu exportieren. Das Land braucht Strom, erhält von der EU aber keine Kredite für Kohlekraftwerke. Umweltfreundliche Alternativen gelten in dem Land als zu teuer und zu aufwändig – eben, weil die Kohle direkt vor der Haustür liegt.
[Dieser Text entstammt dem Tagesspiegel Background Energie & Klima. Sie können den Newsletter mit exklusiven und aktuellen Hintergrundinformationen hier testen.]
Da kam das Angebot der Chinesen gerade recht: „Es ist eines der umweltfreundlichsten Kohlekraftwerke der Welt und die Finanzierung kommt gleich mit“, sagt Aleksandar Milic, der technische Direktor des Kohlkraftwerks Stanari.
Anderswo in Südosteuropa ist die Lage ähnlich. Kosovo spielt bei der Frage nach der Zukunft der Kohleindustrie der Region eine Schlüsselrolle. Unter der Erde des kleinen Landes liegt das weltweit fünftgrößte Vorkommen an Kohle. Auf fast 15 Milliarden Tonnen Braunkohle wird es geschätzt – das wäre mehr als unter der Erde von ganz China vermutet wird.
Deshalb ist auch Kosovo für die Angebote aus China offen, vor allem, nachdem der US-amerikanische Kraftwerksbetreiber Contour Global vor zwei Monaten ein Kohlekraftwerksprojekt mit 500 Megawatt Kapazität und einem Investitionsvolumen von 1,5 Milliarden US-Dollar gestoppt hat. Man wolle sich aus dem Geschäft mit der Kohleverstromung zurückziehen, hieß es bei Contour Global. Die Weltbank hatte bereits 2018 mitgeteilt, das Projekt nicht mehr zu unterstützen.
Chinesisches Vorzeigekraftwerk in Europa
Wie China die Kohleindustrie auf dem Balkan vorantreibt, hat die EU-geförderte Nichtregierungsorganisation CEE Bankwatch Network in einem Dossier dokumentiert. Demnach sind chinesische Unternehmen und Banken an mindestens fünf der in Bosnien-Herzegowina und Serbien geplanten Kohlekraftwerke beteiligt.
Kritik übt CEE Bankwatch Network an den Umweltstandards dieser Projekte. „Nicht eines dieser Projekte steht in Übereinstimmung mit aktuellen EU-Umweltschutzstandards“, heißt es von der NGO.
Aleksandar Milic vom Kohlkraftwerk Stanari bestreitet das. Bei der Kontrolle von Schwefeldioxid, Stickoxid und Feinstaub entspreche seine Anlage den EU-Richtlinien oder übertreffe sie sogar. „Die Chinesen haben uns geholfen, eines der besten Kohlekraftwerke in Europa zu bauen“, sagt der Manager.
Tatsächlich gelten neue chinesische Kohlekraftwerke inzwischen als zu den besten der Welt gehörig. Die Anlage in Stanari ist zu einer Art Vorzeigeprojekt geworden. Delegationen aus über 30 Ländern hätten sie bisher besichtigt, heißt es bei Dongfang Electric. An der BRI beteiligen sich weltweit inzwischen 126 Länder.
Kein Kohleausstieg auf der „Neuen Seidenstraße“
China ist mit 750 Milliarden US-Dollar Investitionen in erneuerbare Energien inzwischen zwar globaler Spitzenreiter. Seit Anfang 2018 hat es aber auch Kohlekraftwerke mit einer Gesamtkapazität von rund 430 Gigawatt neu errichtet, etwa 120 weitere sind im Bau.
[Alle wichtigen Updates des Tages finden Sie im kostenlosen Tagesspiegel-Newsletter „Fragen des Tages“. Dazu die wichtigsten Nachrichten, Leseempfehlungen und Debatten. Zur Anmeldung geht es hier.]
Greenpeace East Asia zeigt die Ambivalenz der chinesischen Energiestrategie auf. In einer Studie kritisiert die Umweltorganisation einerseits den immer noch hohen Kohleanteil bei den Kraftwerksinvestitionen in den BRI-Partnerländern. Zugleich sei man „begeistert darüber, wie stark der Anteil an Kraftwerken erneuerbarer Energie zugenommen hat“, sagt Liu Junyan, ein Klima- und Energiespezialist von Greenpeace in Peking.
Demnach liegt das Verhältnis von Kohlekraftwerken zu Wind-, Wasser- und Solarkraftwerken bei 60 zu 40 zugunsten der Kohle. Bei Wind- und Solarenergie habe China in fünf Jahren international 12,6 Gigawatt installiert. In den fünf Jahren zuvor, seien es nur 0,45 Gigawatt gewesen. Jetzt sei der Anteil von Kohle an den Kraftwerkexporten zumindest nicht mehr höher als zu Hause.
Zwar werden auch der chinesischen Kohleindustrie allmählich Hindernisse in den Weg gestellt – vor einigen Tagen verkündete Chinas Zentralbank, dass sie auch eine vergleichsweise umweltschonende Kohlestromerzeugung in modernen Kraftwerken von grünen Anleihen ausschließen wird. Dennoch ist klar: Von einem Kohleausstieg ist China noch weit entfernt – sowohl im Inland als auch beim Export von Energietechnik im Rahmen der Belt and Road Initiative.
Frank Sieren