„Es wird nichts abgeschwächt“: Bundesregierung wehrt sich gegen Klimavorwurf
Die Bundesregierung wehrt sich gegen den Vorwurf, das Klima-Kontrollgesetz aufzuweichen. Hat sie Recht oder Unrecht? Was genau geplant ist.
Jochen Flasbarth will etwas loswerden, bevor die Aufregung völlig aus dem Ruder läuft. Der Staatssekretär im Bundesumweltministerium hat Karsten Sach, den Leiter der Klimaabteilung und Dirk Weinreich, den Referatsleiter für Klimaschutz-Rechtsangelegenheiten, mitgebracht. Am Eingang wird verschärft kontrolliert, denn draußen demonstrieren die Umweltaktivisten von „Extinction Rebellion“, sie legen einige Kreuzungen im Zentrum Berlins lahm. Flasbarth hat also seine geballte Ministeriumskompetenz dabei, um etwas geradezurücken.
„Regierung schwächt Klimaschutzziele ab“, hatte „Spiegel online“ berichtet – und damit den Gegnern des Pakets, denen es zu soft ausfällt, politische Munition geliefert. „Das ist nicht der Fall“, sagt Flasbarth. Es geht sozusagen um das Grundgerüst der künftigen Klimapolitik, das von der SPD eingeforderte Klimaschutzgesetz. Es ist das übergeordnete Gesetz über dem rund 180-seitigen Paket mit vielen Einzelmaßnahmen vom ab 2021 geplanten CO2-Preis für Sprit und Heizöl über billigere Bahntickets, Prämien für neue Heizungen und E-Autos. Es soll feststellen, ob all dies ausreicht, oder ob – zum Beispiel – der CO2-Preis später doch stärker erhöht werden muss.
Das Gesetz soll vor allem für mehr Verbindlichkeit und Druck auf diese und künftige Bundesregierungen sorgen. Bisher konnte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) Ziele wie 40 Prozent weniger Treibhausgasemissionen bis 2020 (im Vergleich zu 1990) festlegen und sich international dafür feiern lassen. Aber als klar war, dass es vor allem auch wegen zu hoher Emissionen im Verkehrssektor deutlich verfehlt wird, geschah: nichts.
Flasbarth, bei dem viele Verhandlungsfäden in diesen Tagen zusammenlaufen und Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) wollen, dass jedes Jahr für jeden Sektor ermittelt wird, ob der Ausstoß genug zurückgegangen ist, um bis 2030 das neue Ziel von 55 Prozent weniger klimaschädlicher Emissionen zu schaffen.
Wird Scheuer durch das Gesetz ausreichend gezwungen?
Die Aufregung rührt vor allem daher, dass ein erster Entwurf zu einem Klimaschutzgesetz aus dem Februar verglichen worden ist mit der aktuellen Form, die angepasst worden ist an die Beschlüsse der großen Koalition. Auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) betont bei einem Klima-Forum in Sinsheim: Die Überwachung der Einhaltung der Ziele bis 2030 werde „glasklar“ im Klimaschutzgesetz verankert sein. „Ansonsten werde ich nicht zulassen, dass wir das verabschieden.“
Knackpunkt ist aber weiterhin, ob einzelne Ressorts wie das Verkehrsministerium von Andreas Scheuer (CSU) mit dem Gesetz ausreichend dazu gezwungen werden, bei einem Verfehlen von Jahreszielen nachzuschärfen. Denn im nun vorliegenden Entwurf, der wahrscheinlich am Mittwoch vom Kabinett zusammen mit dem vergangene Woche wegen CSU-Einwänden noch einmal verschobenen Klimaschutzpaket beschlossen werden soll, heißt es: „Über- oder unterschreiten die Treibhausgasemissionen ab dem Jahr 2021 in einem Sektor die jeweils zulässige Jahresemissionsmenge, so wird die Differenzmenge auf die verbleibenden Jahresemissionsmengen des Sektors bis zum nächsten (...) Zieljahr gleichmäßig angerechnet.“ Heißt: Was 2021 zu viel ausgestoßen wird, muss bis 2030 über die Jahre verteilt zusätzlich eingespart werden.
Das birgt die Gefahr, dass sich eine Bugwelle auftürmt und am Ende einzelne Sektoren ihre Ziele wieder verpassen. Zudem wird vom Verkehrssektor Druck genommen, da dieser beim Verfehlen der Ziele dies durch mehr Einsparungen in der Landwirtschaft oder dem Gebäudebereich ausgeglichen werden kann. Wichtig ist, dass unterm Strich das Gesamtziel bei der Minderung der Emissionen erreicht wird. Klappt das nicht, bricht Deutschland EU-Recht und muss Verschmutzungsrechte teuer zukaufen. Ministerin Schulze hatte ursprünglich geplant, dass die Ressorts mit ihrem Haushalt selbst dafür aufkommen müssen. Davon ist im Entwurf keine Rede mehr – damit entfällt auch ein klarer Sanktionsmechanismus.
SPD kündigt Widerstand an
Die Kontrolle soll so ablaufen: Jedes Jahr zum 15. März veröffentlicht das Umweltbundesamt (UBA) die Daten der Treibhausgasemissionen in den einzelnen Sektoren – wenn Ziele gerissen werden, hat das jeweilige Ministerium drei Monate Zeit, ein Sofortprogramm vorzulegen. Zum Beispiel höhere Abgaben auf Flüge – oder ein Tempolimit auf Autobahnen. Der frühere CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz appelliert an seine Partei, hier den Widerstand aufzugeben: „Ein Tempolimit von 130 km/h auf Autobahnen würde circa zwei Millionen Tonnen CO2 einsparen. Warum machen wir’s nicht wie alle Nachbarstaaten und fast die ganze Welt?“
Die vom UBA erhobenen Daten soll eine Expertenkommission auswerten und feststellen, wer notfalls nachbessern muss. „Das ist eine reine Notarsaufgabe“, betont Flasbarth. Anders als ursprünglich gedacht, soll das Gremium keine Vorschläge machen dürfen, welche Einsparmaßnahmen zur ergreifen sind. Was durchaus eine Abschwächung bedeuten kann.
Bei der SPD kündigen sie bereits Widerstand an. Fraktionsvize Matthias Miersch fordert notfalls ein Nachschärfen im Parlament. Das Herzstück des Gesetzes müsse „ein wirkungsvoller Kontrollmechanismus sein, der die einzelnen Ministerien verpflichtet, jährliche Minderungsziele zu erreichen.“ Bisher will die Bundesregierung zudem weder Bundestag noch Bundesrat einbinden, wenn Ziele verfehlt werden und dann mit Emissions-Verschiebungen zwischen einzelnen Sektoren nachgebessert werden muss.