Neue Sanktionen gegen Russland: Bumerang für Deutschland?
Neue Sanktionen gegen Russland kosten auch die deutsche Wirtschaft Geld, sagt Bundeskanzlerin Angela Merkel. Was steht wirklich auf dem Spiel?
Bis zum Freitag wollen die europäischen Staats- und Regierungschefs neue Sanktionen gegen Russland beschließen. Damit wollen sie den Druck auf Präsident Wladimir Putin in der Auseinandersetzung mit der Ukraine erhöhen. Schon bisherige Sanktionen haben sich auch auf die deutsche Wirtschaft ausgewirkt - das könnte auch bei weitergehenden Maßnahmen der Fall sein.
Wirkt sich die Ukraine-Krise bereits auf die deutsche Wirtschaft aus?
Der Streit mit Russland wird teuer für Deutschland, daran lässt Angela Merkel keinen Zweifel. Das gilt vor allem für neue Sanktionen, die die Europäische Union nun beschließen will. „Ich habe darauf hingewiesen, dass es natürlich etwas bedeuten kann für deutsche Unternehmen“, befand die Bundeskanzlerin im Parlament. „Zeitweise bestimmte Nachteile“ könne es geben, wenn man die Maßnahmen gegen das Reich von Wladimir Putin verschärfe. Dabei ist der kräftige Aufschwung der deutschen Wirtschaft schon jetzt längst Geschichte, das haben die jüngsten schwachen Konjunkturdaten gezeigt. Aufträge, Industrieproduktion, Verbraucherstimmung – überall zeigt der Pfeil nach unten. Doch mit der Ukraine-Krise hat all das bislang kaum zu tun.
„Schließlich brechen die deutschen Exporte nach Russland schon seit Mitte 2013 ein“, sagt Konjunkturexperte Ralph Solveen von der Commerzbank. Denn die Nachfrage dort ist längst nicht mehr so vielversprechend wie in früheren Jahren, das Wachstum in dem riesigen Land ist beinahe zum Erliegen gekommen. Der Trend hat sich im ersten Halbjahr fortgesetzt – da schrumpften die deutschen Ausfuhren um fast 16 Prozent oder drei Milliarden Euro. Trotzdem hatte es in den Frühjahrsmonaten noch einen kräftigen Anstieg beim deutschen Bruttoinlandsprodukt (BIP) gegeben. Schließlich ist Moskau nur der elftwichtigste Handelspartner für Berlin.
Gleichwohl gibt es in einzelnen Branchen durchaus empfindliche Einbußen. Die Lieferung von Teilen für Züge, Rolltreppen, Bagger, Pumpen, Land- oder Bohrmaschinen nach Russland sei ein Problem, berichtet der Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft. Hier gab es seit Jahresbeginn Einbrüche von bis zu einem Viertel. Umgekehrt machen russische Investoren mittlerweile einen großen Bogen um Deutschland. Im vergangenen Jahr gab es bundesweit noch elf Neuansiedlungen russischer Unternehmen – 2014 bislang noch überhaupt keine.
Wie stark werden neue Sanktionen die deutsche Wirtschaft bremsen?
Deutschland und Russland tauschen Waren im Wert von 76 Milliarden Euro im Jahr, rund 6200 Firmen mischen hier mit. Ökonomen tun sich aber schwer, zu beziffern, wie teuer neue Handelsbeschränkungen für Deutschland werden könnten. Schon in normalen Zeiten lässt die Treffsicherheit ihrer Prognosen zu wünschen übrig. Beispielsweise lässt sich kaum vorhersagen, wie stark neue Sanktionen Länder in Mittel- und Osteuropa treffen, die wirtschaftlich eng mit Russland verwoben sind. Immerhin nimmt die deutsche Exportwirtschaft etwa jeden sechsten Euro aus diesen Ländern ein. Unklar sind zudem die psychologischen Folgen der Krise. „Die Unsicherheit bremst die Investitionen deutscher Firmen hierzulande“, sagt Rolf Langhammer vom Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel. Denn deutsche Unternehmen, zumeist Mittelständler, produzieren lieber hier, als sich vor Ort anzusiedeln – entsprechend würde es die deutsche Konjunktur treffen, würde der Kauf neuer Maschinen weiter aufgeschoben.
Steigt die Arbeitslosigkeit in Deutschland durch weitere Sanktionen wieder?
Das Job-Wunder geht weiter, so gut wie aktuell hat es auf dem deutschen Arbeitsmarkt lange nicht ausgesehen. Erst ein tiefer Einbruch würde daran etwas ändern. Es würde dauern, bis dieser sich am Arbeitsmarkt bemerkbar machen würde. Erfahrungsgemäß bauen Firmen bei einer Krise Personal als letzte Maßnahme ab – weil es schwer ist, in guten Zeiten wieder qualifizierte Leute zu finden.
Welche Sanktionen sind bereits in Kraft?
Nach dem Abschuss der Malaysian-Airlines-Flugs MH 17 durch prorussische Separatisten hatte die EU Ende Juli eine Reihe von Sanktionen gegen Russland verhängt. Betroffen waren Finanzdienstleister, etwa durch die Sperrung der Konten einiger Oligarchen. Rüstungsgüter und Waren, die sich zivil wie militärisch nutzen lassen, dürfen nicht mehr geliefert werden, außerdem wichtige Fördertechnik etwa für die Ölbranche. Als Reaktion darauf verhängte Russland ein „vollständiges Embargo“ für Fleisch, Obst, Gemüse und Milchprodukte aus der EU.
Ist Deutschland von Lieferungen aus Russland abhängig?
Kann Deutschland auf Russland als Lieferant vollständig verzichten?
Ein Szenario: Putin marschiert in die Ukraine ein, der Westen ist empört. Wollte er nun weitere Sanktionen verhängen, die in Russland auch zu spüren sind, bliebe im Prinzip nur ein Weg: ein Importstopp für Öl und Gas. Denn in Sachen Export hat Moskau kaum anderes zu bieten. „Sich selbst zu schaden, um Russland zu schaden – das wäre die härteste denkbare Maßnahme“, sagt IfW-Experte Langhammer. Die Folge wären sprunghaft steigende Preise, gerade angesichts des nahenden Winters. Hinzu käme ein handfestes Problem für mehrere EU-Länder. Sechs von ihnen sind zu 100 Prozent von russischem Gas abhängig, im Falle Deutschlands sind es immerhin 38 Prozent. Und auch die Ukraine müsste in diesem Fall womöglich von Europa aus versorgt werden.
Derzeit arbeitet die EU nach den Worten von Energiekommissar Günther Oettinger (CDU) bereits an einem Plan für den Fall, dass Russland seine Lieferungen komplett einstellt. Bis zum Oktober soll es fertig sein. Klar ist: Eine kurzfristige Abkehr von russischem Gas ist kaum möglich. Auch deshalb, weil es an den deutschen Seehäfen nicht genügend Terminals gibt, an denen Flüssiggas von Tankschiffen aus anderen Ländern angelandet werden kann. Allerdings: Ein Energie-Lieferstopp wäre für Putin wohl mindestens ebenso schlimm. Ohne die Einnahmen aus dem Rohstoffexport, Schätzungen zufolge um die 100 Millionen Dollar am Tag, stünden die russische Wirtschaft und der Staat vor einem Absturz. Zumal sich auch Putin dann nach alternativen Abnehmern für sein Gas umsehen müsste. China ist zwar interessiert – bis die nötigen Leitungen stehen, dürften aber noch Jahre vergehen.