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Heilsame Attacke. Eine Fresszelle des Immunsystems fängt gelb eingefärbte Krebszellen ein. Solche Prozesse sollen durch Krebsimpfungen stimuliert werden.
© Mauritius Images

Tübinger Biotechfirma CureVac: Boehringer Ingelheim investiert in neuartige Krebsimpfung

Mit Unterstützung von bis zu 430 Millionen Euro vom deutschen Pharmakonzern Boehringer Ingelheim kann die Tübinger Biotechfirma CureVac ab sofort rechnen, um ein neues Therapiekonzept gegen Lungenkrebs zu entwickeln.

Die deutsche Pharmafirma Boehringer Ingelheim investiert 35 Millionen Euro in eine Kooperation mit der Tübinger CureVac. In den nächsten Jahren könnte die mittelständische Biotechfirma Meilensteinzahlungen von insgesamt 430 Millionen Euro und im Fall einer Medikamentenzulassung Lizenzzahlungen erhalten. Darüber hinaus wird Boehringer zwei Studien an jeweils etwa 1000 Lungenkrebspatienten mit CureVacs experimentellem Wirkstoff CV9202 finanzieren. Dabei soll das Präparat in Kombination mit Boehringers bewährtem Wirkstoff Afatinib bzw. mit einer Strahlen- und Chemotherapie getestet werden. Boehringer erweitert seine Entwicklungspipeline damit erstmals um Immuntherapeutika. Diese Wirkstoffe versuchen, dem Immunsystem wieder beizubringen, Krebszellen zu vernichten.

 Risiko und Chance

Boehringer geht mit diesem Schritt ein beträchtliches Risiko ein. Bewusst: „Jedes frühe klinische Entwicklungsprojekt birgt ein Risiko“ sagt Jörg Barth, der bei Boehringer Ingelheim den Therapiebereich Krebs leitet. In der Medikamentenentwicklung an sich übersteht in der Regel nur eines von zehn Präparaten die klinische Prüfphase und wird zugelassen. „Der hoch innovative neue Ansatz, den wir nun gemeinsam mit CureVac verfolgen, birgt jedoch auch große Chancen für eine weitere Verbesserung der Therapie.“ Umso größer ist das Risiko allerdings, wenn es sich wie bei CureVacs Technik um ein völlig neues Wirkstoffkonzept handelt: Während die bislang zugelassenen Immuntherapien auf Basis von Proteinen funktionieren, verwendet CureVac RNS, das Schwestermolekül der DNS. „Dem Körper werden bei der Behandlung die RNS, also die Baupläne dafür geliefert, selbst gegen den Krebs aktiv werden zu können“, sagt Barth. Die Technologie habe das Potenzial, eine sichere, zielgerichtete und anhaltende Immunantwort gegen den Krebs auszulösen. Zwar hat die Firma in Studien an einigen Dutzend Prostata- und Lungenkrebspatienten gezeigt, dass dieses Konzept funktioniert. Doch bislang ist noch kein Medikament auf Basis dieser Technologie zugelassen.

 Pharmabranche setzt auf Immuntherapie

Immuntherapie gilt als vielversprechendes neues Behandlungskonzept, unter anderem weil es verhältnismäßig langzeitige Wirkung gegen den Krebs eines Patienten zeigt. Im letzten Jahr kürte die Fachzeitschrift „Science“ den Ansatz sogar als „Durchbruch des Jahres“. 2010 wurde die erste, allerdings sehr teure und aufwändige Immuntherapie gegen Krebs, das Medikament Provenge der kalifornischen Firma Dendreon, in den USA zugelassen. 2011 gab dann die amerikanische Zulassungsbehörde FDA dem Antikörper Ipilimumab (Yervoy) des britischen Herstellers Bristol-Meyers Squibb grünes Licht, das eine Fessel des gebremsten Immunsystem löst und es so fit gegen schwarzen Hautkrebs macht. Seitdem trauen sich auch andere auf Im letzten Jahr kaufte sich der Leverkusener Bayer-Konzern mit 10 Millionen Dollar und bis zu 500 Millionen Meilensteinzahlungen in die Technik der israelischen Firma Compugen ein – zusätzlich zur bestehenden Kooperation mit der kalifornischen Seattle Genetics. Anfang des Jahres gab der Schweizer Pharmakonzern Novartis bekannt, die Kooperation mit der Biotechfirma CoStim, Cambridge, zu erweitern. Grund für den Run auf Immuntherapien: Bei schätzungsweise 60 Prozent der Patienten mit metastasierendem, also fortgeschrittenem Krebs könnten Krebsimpfungen helfen – was sich laut Marktanalysen, beispielsweise von Citigroup, in ein Umsatzpotenzial von 35 Milliarden US-Dollar jährlich umrechnen lässt.

Boehringer hat sich mit der Entscheidung, in die aktive Immuntherapie zu investieren, Zeit gelassen – und für eine deutsche Biotechfirma mit einem besonderen Konzept entschieden, obwohl es genug Auswahl an Firmen mit konventionelleren Immuntherapie-Techniken in den USA und auch in Deutschland gibt. Beispielsweise die benachbarte Immatics in Tübingen, die mit Proteinbruchstücken, so genannten Peptiden, gegen Krebs impft.

 Investoren scheuen die deutsche Biotechbranche

Risikobehaftet ist die Investition in deutsche Biotechfirmen ohnehin. Denn sie haben es deutlich schwerer, die nötigen Finanzmittel zusammen zu bekommen, um die teure Medikamentenentwicklung zu finanzieren, die pro Medikament schätzungsweise 500 bis 800 Millionen Dollar kosten kann. In den USA wurden 2013 18,8 Milliarden Dollar Risikokapital in Biotechfirmen investiert, in Deutschland waren es kaum nennenswerte 325 Millionen. Doch CureVac ist in der glücklichen Lage, mit dem SAP-Gründer und Multimilliardär Dietmar Hopp einen zahlungskräftigen Sponsor an der Hand zu haben, der seit Jahren einen ganzen Strauß von Biotechfirmen unterstützt. Außerdem sei CureVac international vernetzt, arbeite bereits mit der Bill Gates Foundation und anderen Pharmafirmen wie der französischen Sanofi zusammen. „Es ist richtig, dass Boehringer mit dieser Kooperation ein Risiko eingeht“, sagt CureVac-Gründer und Geschäftsführer Ingmar Hoerr. Aber das sei in der Medikamentenentwicklung nun mal nötig, wie das Beispiel USA zeigt, wo jetzt die Früchte jahrelanger Investitionen geerntet werden. „Boehringer geht jetzt den amerikanischen Weg.“

Hoerr will das Geld sowohl für die nächsten klinischen Studien als auch für den Ausbau der Wirkstoffproduktion verwenden – zunächst in Tübingen, doch „vielleicht bauen wir auch eine weitere Produktionsstätte auf.“ Der Standort sei noch offen. Für die Biotechbranche wünscht sich Hoerr, „dass das Engagement von Boehringer als Weckruf verstanden wird und gute Deals auch in Deutschland möglich sind.“

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