Pilotprojekt zur beruflichen Bildung: Blitz-Ausbildung für Studienabbrecher
Fast ein Drittel der Studierenden beendet das Studium jedes Jahr ohne Abschluss. Bund und Handwerk wollen nun Pilotprojekte fördern, bei denen Studienabbrechern der Einstieg in die berufliche Ausbildung erleichtert werden soll.
Ein Studium abzubrechen gilt vielen als Bruch im Lebenslauf, einigen sogar als Zeichen mangelnden Durchhaltevermögens. Doch bald könnten gerade Studienabbrecher besonders gefragt sein auf dem Arbeitsmarkt. Das zumindest legen Johanna Wankas (CDU) Pläne nahe. Die Bundesministerin für Bildung und Forschung will ab Januar 2015 bundesweite Pilotprojekte fördern, die Abbrechern den Einstieg in berufliche Ausbildungen erleichtern sollen. Gleichzeitig sollen kleine und mittelständische Unternehmen darin unterstützt werden, mehr Studienabbrecher aufzunehmen. Insgesamt wird das Bildungsministerium in dieser Legislaturperiode 13,5 Millionen Euro in die Projekte investieren.
Geplant ist, mehr Beratungsangebote für Studienabbrecher zu schaffen, um diese schneller wieder für den Arbeits- und Ausbildungsmarkt gewinnen zu können. Außerdem sollen sie bald eine Art Blitz-Ausbildung absolvieren können: Leistungen, die sie zuvor im Studium erworben haben, sollen sie sich dann großzügig für eine Ausbildung anrechnen lassen können. Ein ehemaliger Medizinstudent könnte so zum Beispiel im Schnelldurchlauf Hörgeräte-Akustiker, eine ehemalige Architekturstudentin Betonbaumeisterin werden.
Bewältigung des Fachkräftemangels
Bei den Pilotprojekten geht es potenziell um mehrere hunderttausend Menschen: Fast ein Drittel der Studierenden beendet das Studium jedes Jahr ohne Abschluss. Das Ministerium will mit einer verkürzten Ausbildung für Abbrecher vor allem den sich in Deutschland abzeichnenden Fachkräftemangel bekämpfen: Nach Einschätzung deutscher Arbeitgeberverbände werden bis 2030 etwa 5,2 Millionen Fachkräfte fehlen.
Weil immer mehr Menschen in Deutschland studieren, hat sich die Lage bei den akademischen Berufsfeldern aber bereits wieder entspannt. Doch Personen mit Berufsausbildungen werden noch immer händeringend gesucht. So konnten im vergangenen Jahr 15 000 Ausbildungsplätze nicht besetzt werden. Die Zahl der Studienanfänger stieg dagegen um 129 000.
In Zukunft könnten noch mehr Fachkräfte fehlen, fürchtet Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH): „Wenn die Entwicklung sich so fortsetzt, haben wir in zehn Jahren vier Millionen Akademiker mehr, aber eine Million weniger Fachkräfte.“ Zusammen mit Johanna Wanka wirbt er deswegen dafür, möglichst viele Studienabbrecher für das Handwerk zu gewinnen. Sie gehörten ja schon zu den Leistungsstärkeren der Gesellschaft, sie seien deswegen für das Handwerk extrem attraktiv: „Wir brauchen diese talentierten jungen Menschen.“
Besonders die duale Ausbildung soll attraktiver gemacht werden. Denn noch im Jahr 1994 hätten 36 Prozent der Studienabbrecher eine duale Ausbildung absolviert, so Wollseifer – jetzt hätten dies nur noch 20 Prozent von ihnen getan. „Wir wissen nicht genau, warum das so ist, und auch nicht, warum immer weniger junge Menschen eine Ausbildung machen wollen“, sagt Johanna Wanka. Dies solle im Rahmen des Projektes erforscht werden, ebenso wie die Frage, warum noch immer fast ein Drittel der Studierenden abbricht. Denn trotz aller Förderung der Abbrecher will die Bundesregierung deren Zahl minimieren. Deswegen soll im Zuge des Projekts auch dafür gesorgt werden, dass an Gymnasien nicht nur über akademische, sondern auch ausführlicher über berufliche Bildung informiert wird.
Offene Fragen bei der Umsetzung
Fest steht, dass sich all jene, die trotzdem abbrechen, in Zukunft wahrscheinlich über bessere Beratung, weniger schiefe Blicke und Blitz-Ausbildungen freuen können. Doch auch hier sind viele Fragen noch offen. So erschließt es sich zwar, dass eine ehemalige Elektrotechnikstudentin sehr schnell zur Elektrotechnikerin „umschulen“ kann – doch welche Qualifikationen lässt sich ein Ex-Philosophiestudent anrechnen, der gerne Konditormeister werden will? „Das muss im Einzelfall beurteilt werden“, sagt Wollseifer, „aber auch dieser Student wird eine Verkürzung der Ausbildung erfahren. Wer schon ein paar Semester studiert hat, kann logisch und strukturiert denken und verdient einen kleinen Vorsprung.“
Lange Zeit wurde versucht, immer mehr junge Menschen für ein Studium zu begeistern. Die OECD hatte in ihrer Studie „Bildung auf einen Blick“ noch im vergangenen Jahr bemängelt, Deutschland bilde zu wenige Akademiker aus.
Doch dass dieses Land in Zukunft nicht nur MINT-Akademiker braucht – also Abschlüsse in den Fachbereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik –, sondern auch Fachkräfte mit Berufsausbildungen, machen Wollseifer und Wanka an der demografischen Entwicklung fest: Die Deutschen, so mahnte Wanka am Freitag, würden immer älter, und jeder zweite Mensch über 60 habe einen Hörschaden. „Wer soll all die Hörgeräte anpassen, wenn niemand mehr Hörgeräte-Akustiker wird?“, fragte die Ministerin, und Handwerkspräsident Wollseifer fügte hinzu: „Viele Handwerksberufe haben mit Demografie zu tun. In ihnen wird es in Zukunft sicherlich keinen Mangel an Aufträgen geben.“