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Wer suchet, der findet – manchmal. In Berlin fehlen allein für deutsche Studenten etwa 1000 Wohnungen oder Zimmer. Rechnet man Studierende aus dem Ausland noch dazu, kommt man auf die doppelte Zahl.
© picture alliance / dpa

Studierende und die Wohnungsnot: Bleibe in Berlin dringend gesucht

Jetzt beginnen an den Berliner Unis die Vorlesungen. Doch viele Studierende haben noch keine Unterkunft, Wohnungen sind knapp. Was nun? Ein Selbstversuch.

Eigentlich ist die Wohnung ein Traum: Stuckverzierte Decken, Bogenfenster und dann auch noch die Lage – mitten im Wrangelkiez mit den vielen Kneipen und Cafés. Doch es gibt einen Haken. Der ist 40 Jahre alt und sitzt neben mir auf dem Sofa, sein Schweißgeruch steigt in meine Nase. Mein potenzieller Mitbewohner, Timur (Name geändert). Seine Anzeige bei wg-gesucht.de habe ich nur überflogen: Eigenes Zimmer, Strom, Internet, 350 Euro warm – top. Jetzt erfahre ich: Timur sucht mehr als eine Mitbewohnerin. Seit zwei Jahren wohnt er hier mit immer neuen Mädchen. Sie zahlen Miete, aber nur, wenn sie nicht mit ihm schlafen. „Meine erste hat kein eigenes Zimmer gebraucht“, erzählt er, in seiner Stimme schwingt Stolz. Ich schaue zum Schlagring auf dem Couchtisch und denke: Nichts wie weg hier.

An diesem Montag beginnen die Vorlesungen, und wie viele Studienanfänger – 104 000 haben sich an den Berliner Hochschulen beworben – habe ich mich auf die Wohnungssuche gemacht. Rechtsanwalt Jürgen Schirmacher vom Berliner Mieterschutzbund gibt mir einen Ratschlag mit auf den Weg: „Niemals allein zu einer Besichtigung gehen.“ Zum einen, um Begegnungen wie die mit Timur zu vermeiden. Zum anderen, um bei Wohnungsmängeln einen Zeugen zu haben. Denn wer als Student kurz vor Semesterbeginn auf WG-Suche geht, bekommt auf dem freien Wohnungsmarkt nicht gerade Schmuckstücke präsentiert. Jetzt noch ein Zimmer im Wohnheim zu ergattern, kommt einem Lottogewinn gleich.

Etwa 1000 Wohnplätze allein für deutsche Studenten fehlen nach Angaben des Berliner Studentenwerks. Rechnet man die vielen ausländischen Studenten dazu, müssten es doppelt so viele sein, schätzt Christian Morgenstern vom Berliner Studentenwerk. Begehrte Häuser wie das am Franz-Mähring-Platz oder das Wohnheim Sigmunds Hof haben Wartezeiten von über einem Jahr. Wer dagegen in der Platte an der Allee der Kosmonauten wohnen möchte, hat mit einer Wartezeit von „nur“ sechs bis acht Wochen zu rechnen. Es kann etwas bringen, sich bei der Wohnheimverwaltung persönlich nach freien Zimmern zu erkundigen. „Es kann immer passieren, dass jemand spontan abspringt“, so Morgenstern.

Auf ein Zimmer im Wohnheim zu warten, dauert mir zu lange. Ich möchte es mir einfach machen und werde im Internet fündig. „Easy-living4u.de“ heißt die Seite. Junge Frauen und Männer lächeln mir vom Bildschirm entgegen, und die Preise scheinen okay: 310 Euro für ein möbliertes Singleapartment inklusive Strom, Wärme und Wasser, 240 Euro für ein Zimmer in einer WG. Wer will, kann auch Töpfe und Pfannen dazumieten. Für den Berliner Durchschnitt sind die Preise in Ordnung: 321 Euro zahlen Studenten im Schnitt für Miete und Nebenkosten, ergab eine Sozialerhebung des Studentenwerks. Damit ist die Hauptstadt unter den Top Ten der teuersten Studentenstädte Deutschlands.

Ein eigenes Apartment hört sich toll an. Bewerben kann ich mich online. Aber ein Zimmer mieten, ohne es gesehen zu haben? Ich rufe lieber an. Es stellt sich heraus: Die Wohnung, die ich mir im Internet ausgesucht habe, ist gar nicht mehr frei. Der Hausmeister würde mir aber eine andere zeigen, in Britz.

Die Gegend, in der ich dann lande, ist das Gegenteil von einem Studentenviertel. Hochhäuser reihen sich aneinander, die Straßen sind leer. Im Flur des Siebziger-Jahre-Baus begrüßt mich der Hausmeister im blauen Overall. Er zeigt mir die Wohnung, eine von etwa zehn weiteren, deren Türen sich im dunklen, mit blauem PVC ausgelegten Flur befinden. Platz ist zwar da, etwa 30 Quadratmeter. Doch so hübsch wie die Apartments auf den Internetfotos sieht die Wohnung nicht aus. Ein altes Sofa sehe ich und gelbe Gardinen. Im Raum wabert abgestandener Rauch. Vor zwei Tagen sei der frühere Mieter ausgezogen, erzählt der Hausmeister. „Seitdem ist es hier ein ständiges Kommen und Gehen.“ Renovierungsarbeiten? Fehlanzeige. „Ist alles aus den siebziger Jahren hier“, sagt er seufzend und öffnet die klapprige Tür eines Einbauschranks. Den Hausrat, der auf der Internetseite als eine Option angegeben ist, müsse ich übrigens mieten. Damit zahle ich automatisch 26 Euro mehr. Wir verabschieden uns. Ich nehme den Bus zur nächsten S-Bahnstation, etwa 50 Minuten brauche ich in die Innenstadt.

Ich versuche es weiter im Internet – Berlin ist schließlich groß. Auf Seiten wie wg-gesucht.de oder studenten-wg.de laufen neue Anzeigen fast im Minutentakt ein. Studentisch sind die Preise nicht gerade: 300 Euro verlangt eine Anzeige für ein zehn Quadratmeter großes Zimmer. 14 Quadratmeter im Prenzlauer Berg kosten 460 Euro. Wer in eine WG möchte, muss eben zahlen. Wer wie viel bezahlt, bestimmt in der WG der Hauptmieter, weiß Jürgen Schirmacher. „Und der kann auch Profit schlagen.“ Eine faire Mietaufteilung kann man von seinen Mitbewohnern also nicht verlangen.

Nicht nur die Preise zeigen, wer bei der Wohnungssuche im Netz im Vorteil ist. Wer einziehen will, muss seinen Mitbewohnern mehr bieten als eine kurze Nachricht über das Portal. „Bei 200 Anfragen macht ihr es mir mit einem Bild leichter“, schreibt eine Nutzerin. Viele Wohngemeinschaften fordern die Bewerber gleich auf, sich über Facebook bei ihnen zu melden. Eine WG in Berlin-Mitte hat sogar ein Facebook-Konto eigens zur Mitbewohnersuche eingerichtet. Sich selbst stellen die Mitbewohner nicht vor. Dafür fordern sie die Bewerber auf, sich mit ihnen „anzufreunden“ und sie über die Seite zu kontaktieren.

Die WG-Suche im Internet ist etwas zu cool für mich. Nach zehn erfolglosen Kontaktaufnahmen via Nachricht und Facebook suche ich gezielt nach Anzeigen mit Telefonnummern. Dennoch bin ich extra misstrauisch, als mir in einem Altbau in Moabit ein junger Kerl die Hand entgegenstreckt. Sein bester Freund ziehe nach Bayern, das Zimmer werde frei. Es ist ein bisschen wie ein erstes Date mit der Wohnung und seinen Bewohnern. Am Ende ist es wohl keine Liebe auf den ersten Blick. Aber für ein Dach über dem Kopf würde es allemal reichen. Und jetzt? Wie nach einem Date warte ich auf den alles entscheidenden Anruf.

Julia Rotenberger

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