Chef der Investitionsbank Berlin zu Tegel: "Bitte mehr Verstand und weniger Herz!"
Berlins landeseigene Investitionsbank hat ausgerechnet, was die Stadt gewinnen kann, wenn der Flughafen Tegel wie geplant schließt. Ein Kommentar ihres Chefs
Am 24. September können die Wahlberechtigten in Berlin nicht nur über den nächsten Bundestag abstimmen, sondern auch über die Frage, ob der Flughafen Tegel sechs Monate nach der Eröffnung des BER wie bisher geplant schließen sollte. Die Debatte über die Nachnutzung Tegels spaltet die Stadt. Es scheint leichter, für die weitere Nutzung des vertrauten Flughafen Tegels zu stimmen und so unvergleichbar schwerer für die Schließung und eine „abstrakte Nachnutzung“ des Geländes nach der Eröffnung des BER!
Als Privatleute dürfen wir es uns gelegentlich leicht machen, da wir gern aus Eigeninteresse entscheiden. Das ist in Ordnung. Politik darf es sich nicht leicht machen, sondern muss abwägen und die vielen Partikularinteressen zu einem Gesamtkonzept zusammenführen. Das ist das Wesen der Demokratie. Und deshalb ist es richtig, die Debatte mit der notwendigen Klarheit zu führen.
Die Förderbank hat drei Szenarien errechnet
Die IBB-Volkswirte haben in einer Modellrechnung drei Szenarien – moderater, mittlerer und günstigster Fall – simuliert, welche enormen positiven wirtschaftlichen Effekte die Nachnutzung Tegels als Forschungs- und Industriepark (Berlin TXL) bringen kann. Verkürzt gesagt erwarten wir einen „positiven Flughafen Schock“ - wenn wir die einmalige Chance auf ein integriertes Stadtquartier aus Wohnen, Wissenschaft und Wirtschaft ergreifen. Ausgangslage sind die von der Tegel Projekt GmbH veranschlagten Arbeitsplätze auf dem Forschungs- und Technologiepark. Die Beschäftigten in den dortigen Unternehmen werden für Einnahmen bei anderen Berliner Firmen sorgen. Diese verwenden diese, um damit wiederum Ausgaben und Investitionen zu tätigen. Somit entstehen weitere Arbeitsplätze und Umsätze in ganz Berlin.
Im günstigsten Szenario erwarten wir für die nächsten 20 Jahre auf der Grundlage von 24.000 neuen Arbeitsplätzen in Berlin TXL, die Investitionen in Höhe von mindestens 1,1 Milliarden Euro auslösen, einen Anstieg des Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 4,6 Milliarden Euro sowie weitere 34.000 zusätzliche Arbeitsplätze außerhalb des Forschungs- und Industrieparks – macht zusammen 58.000 neue Arbeitsplätze! Auch für den Berliner Landeshaushalt rechnet sich das, denn die Beschäftigten in und außerhalb von Berlin-TXL zahlen Steuern und Sozialversicherungsabgaben. Im besten Fall lägen die Mehreinnahmen Berlins bei 780 Millionen Euro.
"Alle profitieren von Investitionen in die Infrastruktur"
Selbst im moderaten Szenario, mit 15.000 neuen Beschäftigten, ergibt die Modellrechnung noch insgesamt 35.200 neue Arbeitsplätze in ganz Berlin, Investitionen in Höhe von 790 Millionen Euro, eine Steigerung des BIP um 2,7 Milliarden Euro und Mehreinnahmen für den Berliner Haushalt in Höhe von rund 470 Millionen Euro. Unabhängig davon welches Szenario eintreten wird, es sind positive Effekte, die allen in Berlin zu Gute kommen. Denn mit diesen Mitteln kann ein finanzkräftiges Gemeinwohl dringende Investitionen in die Infrastruktur tätigen, von denen wir alle profitieren.
Doch neben diesen enormen wirtschaftlichen Potenzialen sollen in Tegel 5000 Wohnungen entstehen, 30 bis 50 Prozent davon zu sozial verträglichen Mieten. Nun ist Berlin eine wachsende Stadt, mit allen Wachstumsschmerzen, die damit einhergehen. Aber lieber lebe ich in einer wachsenden als in einer schrumpfenden Stadt, die wirtschaftlich dahin siecht. Deshalb dürfen wir uns die einmalige Chance nicht entgehen lassen, in Tegel einen Forschungs- und Industriepark sowie ein Wohnviertel zu entwickeln.
Hören wir auf unseren Verstand und ausnahmsweise nicht aufs Herz: Beim Volksentscheid geht es weniger darum, ob der Flughafen Tegel offen bleiben soll, sondern darum, seinen großen Unmut über den Scherbenhaufen BER zu artikulieren. In einer Kampagne operieren beide Lager bewusst mit Zuspitzungen, um auf ihre Argumente aufmerksam zu machen. Das ist legitim. Deshalb werbe ich bewusst auf der sachlichen Grundlage unserer Zahlen dafür, Tegel nach der Eröffnung des BER wie geplant zu schließen, um für uns alle die Potenziale der wachsenden Hauptstadt zu vergrößern.
Der Autor Jürgen Allerkamp ist Vorstandschef der landeseigenen Investitionsbank Berlin (IBB). Lesen Sie hier auch den Leitartikel zum Thema von Tagesspiegel-Herausgeber Sebastian Turner.
Jürgen Allerkamp