Luftfahrt: Berlins Wirtschaft fordert mehr Langstreckenflüge
Kammern, Verbände und Gewerkschaften schmieden ein Bündnis, um mehr direkte Verbindungen in die Ferne zu forcieren. Doch die Lufthansa blockiert.
Um weitere ausländische Fluggesellschaften zur Aufnahme von Berlin-Langstrecken zu animieren, hat die Wirtschaft der Hauptstadtregion eine großangelegte Initiative gestartet. Bis 2025 sollen mindestens 17 neue Verbindungen geschaffen werden. Da die Lufthansa auch nach der Air Berlin-Pleite solche Dienste kategorisch ablehnt, fordert man von der Bundesregierung, Airlines aus der Golfregion und China zusätzliche Landerechte zu erteilen.
Die Hauptstadtregion sei das am stärksten wachsende Wirtschaftszentrum in Deutschland, hielt die Präsidentin der Berliner Industrie- und Handelskammer (IHK), Beatrice Kramm, dem Lufthansa-Argument von fehlender Wirtschaftskraft entgegen. Man könne das Marktpotential angesichts der vielen mittelständischen Firmen mit Auslandsbeziehungen nicht allein an der Zahl der Dax-Unternehmen messen. Dazu käme die Hauptstadtfunktion mit 171 diplomatischen Vertretungen, zehn globalen Organisationen, 167 Behörden- und Bundeseinrichtungen sowie internationaler Wissenschaft und Forschung.
Nur sieben Langstreckenflüge in Berlin
Gemeinsam mit den Brandenburger Kammern, den Unternehmerverbänden Berlin-Brandenburg (UVB), dem Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga), dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) und der Tourismusagentur Visit Berlin hat man deshalb die Langstrecken-Initiative gegründet. Mehr Interkontinentalflüge seien von hochrangiger strukturpolitischer Bedeutung und würden auch für qualitativ anspruchsvolle Arbeitsplätze stehen, sagte Christian Hoßbach, Vorsitzender des DGB Berlin Brandenburg. Sie seien auch die Voraussetzung für einen anderen Gästemix in den Hotels und Gaststätten, die trotz guter Auslastung bisher unter deutlich schlechteren Preisen als in anderen europäischen Metropolen leiden, betonte Christian Andresen, Präsident des Berliner Dehoga sowie Vizepräsident der UVB.
Von den 195 Langstreckenverbindungen der Bundesrepublik starten 189 von westdeutschen Flughäfen, davon allein 152 von den Lufthansa-Drehkreuzen Frankfurt und München, und nur sechs in Berlin, so Visit Berlin-Chef Burkhard Kieker (in der Statistik wurde die Verbindung zwischen Tegel und dem mongolischen Ulan Bator vergessen). Dieses Gefälle sei eine „Fortschreibung der Ergebnisse der deutschen Teilung“, die so nicht länger hingenommen werden könne.
Die Initiative hat 15 bisher nicht nonstop bediente Langstreckenziele ausgemacht, die in Berlin ein Aufkommen von jährlich mehr als 20 000 Passagieren haben. Allen voran sind das Bangkok (61 100), Miami (37 900), San Francisco (37 000) und Los Angeles (36 400).
Wegen der Grenznähe verfügt Berlin auch über das Potential, zum Flugdrehkreuz für Westpolen zu werden. Schon heute nutzen viele Reisende aus dem Nachbarland die Flughäfen der Hauptstadt. Damit wächst die Zahl der Einwohner in deren Einzugsgebiet von sechs auf 16 Millionen Menschen, was der Größe des Ruhrgebietes entspricht. Auch dem Argument der Lufthansa, es gebe zu wenige Kunden für hochpreisige Tickets, widersprach Kieker. Die Zahl der Passagiere, die ab Berlin in der Business- oder gar der First Class reisen, sei in den vergangenen vier Jahren um 20 Prozent gestiegen und liege bei jährlich knapp 280 000.
China würde gerne mehr fliegen, darf aber nicht
Gemeinsam mit der Flughafen Berlin Brandenburg hat man unter dem Motto „Connect 25“ 17 Langstreckenziele identifiziert, „die wir bis 2025 akquirieren wollen“, sagte Kieker. Sie würden sich allesamt bei fünf bis sieben wöchentlichen Flügen sofort tragen. Doch rund die Hälfte davon scheitert bisher an fehlenden Verkehrsrechten. So würde Qatar Airways das Angebot nach Doha gerne auf zwei tägliche Flüge verdoppeln und Emirates nach Dubai starten, ohne dafür eine der bestehenden Verbindungen nach Frankfurt, München, Düsseldorf und Hamburg aufgeben zu müssen. Hainan Airlines möchten die Zahl der wöchentlichen Flüge nach Peking von fünf auf sieben steigern und zusätzlich auch Shanghai bedienen. Doch die Höchstzahl von Deutschland-Flügen chinesischer Fluggesellschaften ist ausgereizt, während die Lufthansa kein Interesse hat, ihr Kontingent voll zu nutzen.
So sieht man im Verkehrsministerium bisher auch keinen Bedarf für eine Erweiterung des bilateralen Luftverkehrsabkommens. Deshalb sind alle interessierten Institutionen jetzt aufgerufen, „ein Teil dieser Bewegung zu werden“, sagte IHK-Präsidentin Kramm. Gemeinsam will man in den zuständigen Ministerien Druck machen, angesichts der Verweigerungshaltung der Lufthansa, die Anbindung der Hauptstadtregion durch ausländische Airlines auch durch die entsprechende Anpassung der Verkehrsrechte zu unterstützen.
Einig ist man sich, dass Wachstum nur am BER erfolgen kann, der nunmehr im Oktober 2020 in Betrieb gehen soll. Weil bei den internationalen Airlines inzwischen Generationswechsel stattgefunden haben, sind dort die Zweifel an dessen Fertigstellung mittlerweile verschwunden, meint Burkhard Kieker. So könne man den BER wieder als „etwas Neues, Tolles, Großes“ vermarkten.
Am 25. September beraten Experten zu diesem Thema beim „Tagesspiegel Fachforum Luftverkehr“. Fragen nach Restkarten: fachforum-luftverkehr@tagesspiegel.de
Rainer W. During