Leere statt Lehre: Berliner Firmen fehlen Azubis
Über 550 Ausbildungsstellen sind im Berliner Handwerk noch frei. Dabei lassen sich die Firmen mittlerweile einiges einfallen, um Nachwuchs zu gewinnen.
„Eigentlich sind es doch die Möglichkeiten und Freiheiten, die eine Ausbildung vom Studium unterscheiden“, sagt Matteo Friedrich. Der Berliner beginnt wie knapp 2000 andere junge Erwachsene in Berlin in diesen Tagen seine Lehre – in den kommenden drei Jahren wird er in einem Betrieb für Elektrotechnik ausgebildet. Gäbe es zum Beispiel in mehr Unternehmen einen Austausch mit ausländischen Firmen, könne er sich vorstellen, dass noch mehr junge Leute sich für eine Berufsausbildung entscheiden würden, sagt er.
Damit spricht der Berliner zum Beginn des Ausbildungsjahres ein zentrales Problem an: Immer mehr junge Menschen studieren – während die Betriebe händeringend nach Auszubildenden suchen. Um junge Menschen für sich zu gewinnen, lassen sich die Chefs daher bereits einiges einfallen: Lernschwache Jugendliche werden mit Nachhilfe unterstützt, damit sie die Ausbildung schaffen. Einige Betriebe zahlen auch für die Monatskarte der BVG oder beteiligen sich an den Führerscheinkosten.
Bundesweit fehlen Lehrlinge
Auch bundesweit sind die Aussichten junger Leute bei der Lehrstellensuche in diesem Jahr so gut wie schon lange nicht mehr. Zumindest rein rechnerisch habe es Ende August für fast jeden Lehrstellenbewerber einen Ausbildungsplatz gegeben, berichtete die Bundesagentur für Arbeit (BA) am Dienstag in einer Zwischenbilanz einen Monat vor Ende des Berufsberatungsjahres. Allerdings lägen die freien Lehrstellen oft in Regionen, in denen es kaum Bewerber gebe und umgekehrt. Auch deckten sich die noch offenen Lehrstellen nicht immer mit den Berufswünschen der jungen Leute.
Insgesamt wurden der Bundesagentur bis Ende August 508 000 Lehrstellen gemeldet - und damit 6000 mehr als im Vorjahreszeitraum. Diesen Stellen standen 531 600 Bewerber gegenüber, dies entspricht einem Plus von 8900. Davon hätten 102 300 bislang weder eine Lehrstelle noch eine alternative Ausbildungsmöglichkeit gefunden. Zugleich seien bundesweit noch 123 100 Ausbildungsplätze unbesetzt.
Viele Jugendliche wissen nicht, wie man sich bewirbt
In Berlin stellte der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) beim „Azubi-Welcome-Day“ der Handwerkskammer am Dienstag die Probleme der Ausbildungsbetriebe in den vergangenen Jahren, neue junge Mitarbeiter zu finden, heraus: „Viele Jugendliche mit einem Schulabschluss wissen oft nicht, wie man sich überhaupt bewirbt, wie man überhaupt an einen Ausbildungsplatz kommt. Es ist unsere Aufgabe das zu ändern.“
Deshalb informiert nicht nur die Handwerkskammer Berlin in einer OnlineLehrstellen-Börse über freie Ausbildungsstellen. Auch die Gewerkschaft Verdi hat ihr Online-Berufsportal zum Start des neuen Ausbildungsjahres überarbeitet. Die Besonderheit dabei ist ein soziales Netzwerk, in dem jungen Ausbildungsplatz-Suchenden die Möglichkeit geboten wird, sich mit Verdi-Mitgliedern auszutauschen.
Wer noch eine Lehrstelle sucht, hat gute Chancen
Eine Sonderkommission zwischen Senat, Bundesagentur für Arbeit, den Kammern und Sozialpartnern hat außerdem die „Berliner Vereinbarung für Nachwuchsförderung 2015–2020“ geschlossen. Die soll für zusätzliche Ausbildungsstellen auf dem Markt sorgen. Bisher habe sie das auch erfüllt, sagt Thilo Pahl, Bildungsgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK). Im Vergleich zum Vorjahr seien 577 freie Ausbildungsplätze mehr gemeldet.
Wer momentan auf der Suche nach einer Ausbildungsstelle ist, hat noch gute Chancen, fündig zu werden. Allein im Berliner Handwerk sind derzeit noch mehr als 550 Stellen unbesetzt. Vor allem Friseure tun sich schwer, Auszubildende zu finden. Gleiches gilt für Betriebe aus dem Heizungs-, Klima-, Sanitärbereich. Letztere haben vor allem mit dem schlechten Image des Berufs zu kämpfen, obwohl die Zeiten, in denen die Handwerker in die Rohre kriechen und sie von allerlei Unrat befreien mussten, dank neuer Maschinen weitgehend vorbei sind. Bei Friseuren sind es vor allem die niedrigen Löhne, die Schulabgänger abschrecken. „Es sind aber fast alle Bereiche betroffen“, sagt Daniel Jander, Sprecher der Handwerkskammer.
Dabei könne eine handwerkliche Ausbildung den „Grundstein für einen langen Karriereweg legen“, sagt Bürgermeister Müller, der selbst nach einer kaufmännischen Ausbildung im familieneigenen Betrieb den Beruf des Schriftsetzers lernte. Er begreift vor allem die Digitalisierung als Chance für das Handwerk und spricht von einer „Renaissance des Bauhandwerks“ in Berlin. Mit einem Zuzug von jährlich über 40 000 Menschen sei hier ein großes Potenzial für das Handwerk in der Stadt.
Bis Ende des Jahres hofft das Handwerk, noch einige der offenen Stellen besetzen zu können. Während Ausbildungen in der Industrie üblicherweise im September beginnen, werden im Handwerk noch bis in den November hinein Ausbildungsverträge geschlossen. Wie das Ausbildungsjahr wirklich gelaufen ist, lässt sich erst Ende 2015 sagen, betont Jander. Vor zweieinhalb Wochen habe es noch 800 freie Lehrstellen gegeben.